Ansprache anlässlich der feierlichen Ehrenpromotion zum Doktor der Theologie durch die Karl-Franzens-Universität in Graz

Datum:
Samstag, 16. Dezember 2000

I.

Mit großer Freude möchte ich Ihnen zunächst sehr herzlich danken für die feierliche Verleihung eines Doktors der Theologie. Ich habe diese Ehre gerne angenommen und möchte Ihnen allen, die Sie an der Vorbereitung und Verleihung beteiligt waren, ein herzliches Wort des Dankes sagen: Ihnen Magnifizenz, Herrn Prof. Dr. Lothar Zechlin, Rektor dieser Universität, an den Vorsitzenden der Professorenkurie, Herrn Prof. Dr. Bernhard Körner, Herrn Dekan Prof. Dr. Gerhard Larcher und schließlich dem Studiendekan, Herrn Prof. Dr. Franz Zeilinger. Allen beteiligten akademischen Organen sowie den Professorinnen und Professoren sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Akademischen Verwaltung möchte ich nicht minder herzlich danken. Eine besondere Freude ist es mir, dass Ihr Ehrensenator, Herr Bischof Dr. h.c. Johann Weber, anwesend ist, denn mit ihm bin ich seit fast 30 Jahren, als ich als Hochschullehrer Theologischer Berater von Julius Kardinal Döpfner war, eng und freundschaftlich verbunden. Ich danke ihm für manche Hilfe und Unterstützung, direkt und indirekt, die er auch mir in seinem langen Wirken als Bischof und als Partner im Vorsitz unserer Bischofskonferenzen geschenkt hat. Ihnen allen ein herzliches Vergelt´s Gott.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir eine Freude, Ehrendoktor dieser Universität zu sein. Gerade heute ist es wichtig, sich daran zu erinnern, welche große Bedeutung die Universität Graz für die kulturelle Entwicklung des europäischen Südostens hat. Dies ist nicht nur eine historische Aussage, sondern Sie haben bis heute für Ungarn und Kroatien, aber auch die anderen Länder und bis nach Polen hinein eine große Ausstrahlung. Dadurch haben Sie auch in schwierigen Zeiten viele Intellektuelle und Akademiker in ihrem Einsatz für die Freiheit unterstützt und schließlich zum Sieg über die Diktatur beigetragen. Dabei ist die Geschichte dieser Universität selbst von einem Ringen um Freiheit und Unabhängigkeit begleitet. Ich wünsche der ganzen Universität in allen ihren Fakultäten, die viele Verbindungen nach außen hat und hervorragende Wissenschaftler in sich birgt, in Gottes Segen ein gutes Gelingen.

 

Es ist mir aber auch eine besondere Freude, Ehrendoktor der hiesigen Kath.-Theologischen Fakultät zu sein. Neben einer gründlichen Ausbildung gibt es einige Auszeichnungen, die ich schon von meinem Studium her mit dieser Universität verbinde. Die Theologische Fakultät hatte schon sehr früh erkannt, dass es notwendig ist, das Theologiestudium von Laien zu fördern, und hat auch - wenn ich recht sehe am frühesten - im Jahre 1962 die Habilitation für Laien ermöglicht und im Jahr 1965 die Berufung eines ordentlichen Laien-Professors durchgeführt. Dies war zweifellos ein Stück Pionierarbeit für die ganze deutschsprachige Region. Schließlich hat die Fakultät, nicht zuletzt auch durch die Anwesenheit eines orthodoxen Theologen, die ökumenische Forschung und die Vermittlung ökumenischer Kenntnisse in eindrucksvoller Weise gefördert. Ich erinnere nur an das Ökumenische Forum (Graz 1977ff.), aber auch an die Grazer Theologischen Studien (1981ff.) Dies waren weitschauende Entwicklungen, die auch ein Stück weit Wiedergutmachung waren im Blick auf andere Abschnitte der Geschichte der Universität. Ich freue mich, nun enger mit dieser Fakultät verbunden zu sein, und danke Ihnen allen, ganz besonders den Damen und Herren der zuständigen Gremien.

 

II.

 

Es ist nicht üblich, aus diesem Anlass eine ganze Vorlesung vor Ihnen auszubreiten. Lassen Sie mich jedoch einige Ausführungen machen zur Theologie an der Universität, vor allem in den staatlichen Universitäten. Wir haben bei allen einzelnen geschichtlichen Entwicklungen in diesem Bereich doch auch eine gemeinsame Tradition im deutschsprachigen Gebiet, die es in dieser Form kaum anderswo gibt. Deshalb ist es mir wichtig, dazu wenigstens einige Sätze zu sagen.

 

Ich möchte durch einige Thesen, die ich im einzelnen hier nicht begründen kann, rasch zur Sache hinführen.

 

Verantwortliches Denken im Raum der christlichen Offenbarung und Theologie gibt es nur, weil und insofern beide von Hause aus auf den christlichen Glauben bezogen sind und bleiben.

 

Der Glaube braucht das Denken, wenn er sich selbst treu bleiben will.

 

Die Kirche braucht die Anstrengung des Glaubensdenkens, wenn sie verantwortlich das Evangelium der Welt vermitteln will.

 

Auch die moderne Gesellschaft kann mindestens erkennen, dass ihr Theologie bei der Aufklärung über sich selbst, ihre Herkunft und - bei der Bewältigung ihrer Lebens- und Gestaltungsprobleme - ihre Gegenwart und Zukunft „nützlich" sein kann.

 

Die Theologie als Verantwortung des christlichen Glaubens unter den Bedingungen wissenschaftlicher Methoden nimmt teil an den Wandlungen wissenschaftstheoretischer Reflexion. Davon ist jeweils ihre „Wissenschaftlichkeit" mitbestimmt.

 

Das Interesse an Staatlichen Fakultäten, d.h. an der Präsenz der Theologie in organisierter Form an staatlichen Universitäten, hat viele Gründe. Für die Universität und die Gesellschaft wurden sie soeben genannt (später ausführlicher in Teil IV). Für die Kirche und die Theologie liegen sie nicht zuletzt in der Chance des Kontaktes zu anderen Wissenschaften, in der Beteiligung der Theologie an der Auseinandersetzung um das jeweilige Verständnis der Wissenschaft und der Wahrheit und in der Freiheit und Unabhängigkeit theologischer Arbeit, aber auch im Kontakt der Studierenden mit der jeweiligen geistigen Welt.

 

III.

 

Dies ist der grundsätzliche Hintergrund für Strukturen, die wenigstens in unseren Ländern realisiert sind. Die beschriebene Synthese tritt nämlich in den Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten konkret in Erscheinung. Ich möchte dies mit Worten des bekannten evangelischen Staatskirchenrechtlers Ulrich Scheuner formulieren: „Man wird der Erscheinung und Bedeutung der Theologischen Fakultäten nur gerecht, wenn man sich das feine Gewebe der Ideen und Interessen vor Augen hält, in dem sie stehen. Der Staat bekundet mit ihrer Einfügung in seinen universitären Bildungsbereich nicht nur Offenheit gegenüber den großen geistigen Kräften im Volke, er hat auch selbst ein Interesse daran, dass die Ausbildung der Amtsträger der Religionsgemeinschaften, von denen noch immer ein erheblicher geistiger Einfluss ausgeht, sich im Kontext der allgemeinen Bildungseinrichtungen vollzieht, nicht in kirchlicher Absonderung, und dass die staatliche Gewähr kirchlicher Lehre hier eine größere Breite und Unabhängigkeit sichert, die der deutschen Theologie in der Welt eine hervorragende Stellung verschafft." Ich finde darin eine ausgezeichnete Beschreibung des Status der Theologischen Fakultäten in Deutschland und Österreich. So wichtig die in hochrangigen staatskirchenrechtlichen Verträgen verbürgte Verbindlichkeit ist, so wenig darf sie nur formell oder gar isoliert betrachtet werden. Dieser Status wird nicht einfach hergestellt durch eine vorgegebene, schon gar nicht eine prästabilierte Harmonie, sondern bedarf von allen Seiten der stetigen Pflege und einer großen Sensibilität. Sonst wird dieser Status rasch labil, für Konflikte anfällig und ist dann durch seine differenzierte Komplexität das Terrain unbeendbarer Auseinandersetzungen. Dann kann es leicht zu Forderungen kommen, man müsse ein solches System außer Kraft setzen, entweder durch einen Exodus der theologischen Bildung aus den staatlichen Universitäten oder durch eine solche Emanzipation der Theologie von der Kirche, dass sie nur noch als säkulare Wissenschaft im Kanon anderer Universitätsdisziplinen erscheint. Dann wäre sie bestenfalls Religionswissenschaft, keine Theologie mehr.

 

Die Funktionsdifferenzen zwischen Theologie und Lehramt sind bekannt und brauchen hier nicht dargelegt zu werden. Dies soll nicht heißen, dass es hier nicht immer noch klärungsbedürftige Probleme gäbe. Aber es scheint mir in der heutigen Situation weniger notwendig zu sein, diese Funktionsdifferenzen zwischen Theologie und Lehramt in die Mitte zu stellen. Zunächst muss man bei aller Funktionsdifferenzierung die gemeinsame Sorge um die Vermittlung des Glaubens heute in den Vordergrund rücken, und zwar im Sinne der Weitergabe des Glaubens an künftige Generationen, aber auch hinsichtlich einer Legitimation des Glaubens in der gegenwärtigen Gesellschaft. Hier haben Theologie und Lehramt, Kirche und theologische Wissenschaft nichts gegeneinander zu gewinnen, sondern sie können nur gemeinsam gewinnen oder gemeinsam verlieren. Beide, Theologie und Lehramt, müssen in Zukunft sehr viel größere Anstrengungen auf sich nehmen, besonders um einen beständigen Dialog dieser Gemeinsamkeit nach innen und nach außen zu festigen, vor allem aber auch, um Missverständnisse auszuräumen und Konflikten möglichst frühzeitig zu begegnen. Hier ist auf allen Ebenen immer noch viel zu tun. Seit der „Kölner Erklärung", also seit elf Jahren, haben wir in unseren Ländern von beiden Seiten aus die Bemühungen in dieser Richtung intensiviert. In der kommenden Woche treffen wir uns zu den 22. Mainzer Gesprächen, wobei wir aus Österreich, der Schweiz und Deutschland zusammenkommen, um von den Bischofskonferenzen her mit den gewählten Vertretern der einzelnen theologischen Disziplinen die Entwicklungen im ganzen, aber auch mögliche Konfliktfälle im einzelnen zu besprechen.

 

Selbstverständlich kann diese Gemeinsamkeit nicht verhindern, dass aus den bereits erwähnten Spannungen Konflikte werden. Überhaupt scheint es mir vordringlich zu sein, Funktionsdifferenzierungen, Spannungen und sogar Konflikte zwischen Theologie und Lehramt nicht von vornherein und durchgehend misstrauisch zu betrachten oder mit dem Makel eines Übels zu belegen. Wir müssen alle konfliktfähiger werden. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist es jedoch unerlässlich, vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen, gleichsam eine Früherkennung latenter oder offener Konflikte zu versuchen und ihnen möglichst bald offen und aufrichtig zu begegnen.

 

IV.

 

Vielleicht muss man jedoch die Frage nach dem Sinn und dem Dienst der Theologie überhaupt im Rahmen der heutigen Gesellschaft nochmals stellen. Glaube, Kirche und Theologie werden von manchen Tendenzen in der modernen Gesellschaft vielfach in ihrer Existenz bestritten. Die Theologie hat hier die Funktion, die Vernünftigkeit, Universalität und Unentbehrlichkeit des christlichen Glaubens überzeugend darzulegen. Sie kann dabei nicht immer ihren Wahrheitsanspruch, noch besser: den Wahrheitsanspruch des Evangeliums bei den Fragestellern einlösen. Es ist darum schon viel gewonnen, wenn die Theologie die „Nützlichkeit" der wissenschaftlichen Reflexion über Glaube und Kirche erweisen kann. Auch die moderne Gesellschaft kann mindestens erkennen, dass ihr Theologie bei der Aufklärung über sich selbst, ihre Herkunft und - bei der Bewältigung ihrer Lebens- und Gestaltungsprobleme - ihre Gegenwart und Zukunft „nützlich" sein kann.

 

Diese Überzeugung gilt zunächst in einem noch relativ vordergründigen Sinn: Die moderne Gesellschaft steht in ihrer geschichts- und herkunftslosen Struktur sehr oft in der Gefahr, dass sie ihre eigene Genese und die Bedingungen ihrer Entstehung nicht mehr kennt. Bei der Herkunft der modernen Welt haben aber Christentum, Kirche und Theologie - oft verborgenerweise - einen maßgeblichen Anteil gehabt, auch wenn es oft im Modus der Auseinandersetzung, des Streits und der Entfremdung geschehen ist. Man denke z.B. an die Voraussetzungen zur Entstehung der modernen Wissenschaften (Rolle des Schöpfungsgedankens), an die Wurzeln der Menschenrechte und vor allem auch des Postulats der Menschenwürde. Eine Gesellschaft, die sich selbst in ihren Bedingungen aufklären und verändern will, muss zuerst einmal um ihre Herkunft wissen. Es geht dabei nicht nur um rein historische Herkunftsnachweise oder gar späte Elternrechte. Vielmehr gibt es in der heutigen Gesellschaft unter vielen Formen pseudotheologische Relikte, die in säkularisierter Gestalt in der Politik, in den Ideologien und oft - freilich unerkannt - in den Geisteswissenschaften auftreten. Messianische oder pseudo-messianische Traditionen, religiös anmutende Totalitarismen sind nur wenige Beispiele dafür. Hier muss die Theologie durchaus ideologiekritische Aufgaben erfüllen: sie muss aufweisen, wo ehemals theologisch-religiöses Gedankengut in anderen Ableitungen weiterlebt, unerkannt seinen Anspruch erhebt und inhuman werden kann. Solche Relikte müssen erst einmal identifiziert und auf ihre Bedingungen zur Realisierung überprüft werden.

 

Eine solche Antwort mag manchem schon für die Existenzberechtigung der Theologie genügen, aber es ist doch nur eine minimale Aussage, gleichsam eine Schwundstufe. Die Theologie muss nämlich über den Nachweis ihrer konstitutiven Rolle im Zusammenhang der Genese z.B. der europäischen Zivilisation oder der Neuzeit offensiv zeigen, was sie zur Bewältigung heutiger Lebensprobleme des einzelnen und der Gesellschaft leisten kann. Unsere Welt ist pluralistisch, und zwar grundlegend. Sie kennt in der Beantwortung der Frage nach einem letzten Sinn des Lebens keine gemeinsame Antwort mehr. Sie ist ganz von der Frage nach den „Bedürfnissen" gesteuert, welche die wirtschaftliche, biologische, physische Dimension des Menschen betreffen und andere Wirklichkeitsbereiche ausgrenzen; sie ist perspektivisch und spezialistisch: kaum einer fragt nach dem Ganzen des Menschen, der Welt und der Geschichte, weil jeder unendlich in seinen Partikularismen verstrickt ist. Wo sind die Grundwerte, die alle miteinander verbinden. Die Theologie hat hier - gewiss nicht allein - die Aufgabe, die Frage nach dem Woher und dem Wohin, dem Ganzen und dem Sinn von Welt und Geschichte offenzuhalten und so auch die Spur für einen Zugang zu „Gott" freizuhalten. Viele andere Themen und Probleme wären zu nennen: z.B. der Mensch als Person und als Wesen der Transzendenz, Schuld und Vergebung, Verminderung der Gewaltanwendung, Sterbebegleitung. Hier gibt es eine stärkere Verknüpfung mit der Philosophie, den Sozialwissenschaften, der Historie und vielen anderen Disziplinen im Raum der Universität.

 

Auch für Konflikte sind in diesem Kontext viele Hilfen bereitgestellt. Es bleibt jedoch die Frage, ob wir den großen Raum wissenschaftlicher Arbeit und Freiheit im Rahmen der Universität - direkt von der Theologie und indirekt vom Lehramt - immer auch nützen. Jedenfalls haben wir noch viele Aufgaben und Chancen vor uns. Theologie und Lehramt werden eines Tages nicht daran gemessen, wie viel Konfliktpotential sie in dieser Zeit angehäuft haben, sondern ob sie gemeinsam dem Schwund von Religion und Glaube in unseren Gesellschaften wirksam und überzeugend begegnet sind und den Menschen eine neue Bewährung des Glaubens angesichts unserer heutigen Lebensprobleme geschenkt haben.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verleihung der Ehrenpromotion ist nicht nur für mich persönlich eine große Ermutigung auf diesem wichtigen Weg. Sie haben ein unübersehbares Zeichen zum intensiven Diskurs gesetzt. Dafür nochmals herzlichen Dank und Gottes Segen für die Universität Graz und ihre Theologische Fakultät im besonderen.

 

 

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz