Das neue Gotteslob - ein großes geistliches und kulturelles Ereignis

Kleines Hirtenwort zur allgemeinen Einführung des „Gotteslob" am 1.11.2014 im Bistum Mainz

Datum:
Samstag, 1. November 2014

Kleines Hirtenwort zur allgemeinen Einführung des „Gotteslob" am 1.11.2014 im Bistum Mainz

Am 1. November dieses Jahres werden wir in der Vesper am Nachmittag des Allerheiligentages im Mainzer Dom feierlich das neue Gebet- und Gesangbuch in der Ausgabe für unser Bistum einführen. Es ist eine kleine Feier mit doppeltem Akzent. Zum einen schließen wir damit die gesamten Vorbereitungen ab, die seit Beginn des neuen Jahrtausends zu dem neuen „Gotteslob" geführt haben. Doch dieser Schlusspunkt ist auch ein Anfang: Denn damit eröffnen wir für dieses Buch zugleich die Zeit der intensiven Einführung und des umfassenden Gebrauchs. Der lange Weg der Drucklegung dieses großen Unternehmens dauerte fast ein Jahr. Offiziell ist das neue „Gotteslob" ja bereits vor einem Jahr, am 1. Adventssonntag 2013, in Kraft gesetzt worden, und viele Gemeinden haben es bereits im Gebrauch. Inzwischen stehen auch die wichtigsten Begleitbücher zur Verfügung, zum Beispiel für das Orgelspiel. Weitere, wie etwa das Kantorenbuch, werden bald folgen. So haben wir trotz mancher Schwierigkeiten, die es bei der Drucklegung gab, allen Grund, für den Abschluss dankbar zu sein.

1. Eine große gemeinsame Anstrengung

Das Buch ist nach und nach in 24 verschiedenen Diözesanausgaben für 38 Diözesen mit einer Gesamtauflage von geplanten 3½ Millionen Exemplaren eingeführt worden, jeweils in mehreren Ausstattungen und unter Beteiligung zahlreicher Verlage aus mehreren Diözesen und Ländern. Vor kurzem hörte ich, dass bereits über sechs Millionen Exemplare verkauft wurden. Neben der Ausgabe für die Kirchen gibt es Ausgaben für den täglichen persönlichen Gebrauch sowie teurere Geschenkformate.

Dahinter steht eine außerordentliche Leistung. Fast das gesamte deutsche Sprachgebiet (mit Ausnahme der Schweiz und einiger selbstständiger Diözesen wie Liechtenstein, Straßburg und Metz) musste in einer riesigen Anstrengung zu einer konkreten Übereinstimmung kommen. Wenn man bedenkt, wie viele Frauen und Männer in den Beratergremien und Arbeitsgruppen für den großen gemeinsamen sogenannten „Stammteil" und die Diözesanausgaben zusammengearbeitet haben, ist dies in unserer oft schwer zerrissenen Welt schon ein wahres Wunder. Der Gültigkeitsbereich dieses Buches reicht von Flensburg bis Bozen (Südtirol/Italien), von Lüttich (Belgien) bis nach Görlitz an der polnischen Grenze, von Freiburg i.Br. bis Graz und Eisenstadt (Österreich).

Deswegen konnte ein Fachmann ersten Ranges aus unserem Bistum, Prof. Dr. Hermann Kurzke, der hochverdient ist für die Gesangbuchforschung, zusammenfassend über das Buch schreiben: Es „umfasst also mehr oder weniger den deutschsprachigen Kulturraum. Das Buch ist ein übernationales, ein europäisches Ereignis." Dieses Ergebnis zeigt, dass unter den katholischen Diözesen des deutschsprachigen Gebietes entgegen dem ersten Anschein eine im Grunde weitreichende Gemeinsamkeit besteht. Allerdings kann man sie nur finden, wenn man miteinander lange und ernsthaft ringt.

2. Alte und neue Lieder

Überblickt man den Stammteil des neuen „Gotteslobs", so findet man dort insgesamt 290 Lieder. In den Eigenteilen der Bistümer sind es jeweils zwischen 70 bis 150 Lieder, wobei Mainz sich mit seinem sehr ausführlichen Eigenteil im oberen Bereich bewegt. Die gesamte Liedersammlung ist von einer großen Öffnung zur evangelischen Tradition gekennzeichnet. Etwa 130 Lieder haben wegen ihrer ökumenischen Gemeinsamkeit ein „ö" (= ökumenisch) bekommen. Etwa 80 Lieder stimmen überein mit dem Evangelischen Gesangbuch. Diese ökumenische Gemeinsamkeit ist sehr zu schätzen. Darüber hinaus gibt es viele Übertragungen aus anderen Ländern, zum Beispiel aus den Niederlanden, aus Skandinavien, Frankreich, England, China und Tansania. Unser Mainzer Professor für Liturgiewissenschaft, Dr. Ansgar Franz, schreibt dazu im Vergleich von neuem Evangelischem Gesangbuch und Gotteslob: „Auf der Grundlage einer stabilen deutschen evangelischen Tradition vollzieht das neue EG [Evangelische Gesangbuch] eine bemerkenswerte Öffnung zu einer konfessions- und sprachenübergreifenden Ökumene. ... Überblickt man den Liedteil des neuen Gotteslob, so zeigen sich ähnliche Entwicklungen, aber auch unterschiedliche Akzentsetzungen." Es gibt im neuen „Gotteslob" sogar einige fremdsprachige Lieder (vgl. das Verzeichnis S. 1251-1274).

Das neue „Gotteslob" verbindet nicht nur verschiedene Sprachen und Räume, sondern ebenso Tradition und Gegenwart: Von den insgesamt 290 Liedern stammen ca. 160 aus dem Vorgängerbuch von 1975, also etwa die Hälfte. 140 Lieder aus dem alten „Gotteslob" sind nicht wieder in das neue aufgenommen worden. Dafür sind 130 Stücke, die zu ganz verschiedenen Zeiten der Geschichte der Kirche entstanden sind, neu hinzugekommen. 70 Lieder gehen auf das 20. Jahrhundert zurück und fünf sogar auf unser noch ganz junges gegenwärtiges Jahrhundert. Das zeitgenössische Liedgut hat damit einen großen Anteil. Bei der Unzahl von in Frage kommenden Liedern musste natürlich eine strenge Auswahl getroffen werden. Der Verzicht auf manche Lieder mag von einigen als schmerzlich empfunden werden, andere hingegen wenig berühren. Ich verzichte auf viele Beispiele, möchte jedoch erwähnen, dass es trotz vieler Schwierigkeiten gelungen ist, die oft sehr eindrucksvollen Lieder des Holländers Huub Oosterhuis in geglückter Übersetzung in das neue „Gotteslob" aufzunehmen. Ich nenne nur das bekannte Lied „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr" (Nr. 422).

3. Ein Hausbuch des Glaubens

Im Vergleich zwischen der Tradition der evangelischen und dem Profil der katholischen Bücher hat man die Beobachtung gemacht, dass man evangelischerseits weitgehend von einem Gesangbuch, katholischerseits von einem Gebet- und Gesangbuch sprechen kann. Dies erklärt übrigens, warum evangelische Gesangbücher sehr viel mehr Lieder enthalten. Mit dem Einheitsgesangbuch aus dem Jahr 1975 ist auf katholischer Seite der Typ Gebet- und Gesangbuch vorherrschend geworden. Das neue „Gotteslob" ist ein regelrechtes Hausbuch des Glaubens geworden. So finden sich nicht nur die allgemeinen christlichen Gebete und die wichtigsten Kurzformeln des Glaubens, wie das Hauptgebot der Liebe, die Seligpreisungen, die Werke der Barmherzigkeit, die Zehn Gebote und die Gebote der Kirche, sondern auch prägnante, kurze Erklärungen der Sakramente und vieler kirchlicher gottesdienstlicher sowie persönlicher Gebete. Wir brauchen immer wieder solche Beispiele großer und bewährter Gebete, wenn uns selber zum Beispiel beim Sterben und Begräbnis unserer Liebsten vor Schmerz und Trauer das Wort im Halse stecken bleibt. Viele Verstehenshilfen erschließen den Glauben in diesem Buch: Schon am Anfang finden sich mehrere Seiten (15-22) mit alphabetisch geordneter Stichworten zur Frage „Was bedeutet ... ?"

Ich halte es für einen ganz großen Vorteil des neuen „Gotteslob", dass diese Angebote einer Erschließung des Glaubens aus dem Vorgängerbuch fortgeführt und ausgebaut worden sind. Wir haben zwar eine große pastorale, katechetische und theologische Literatur, die uns tiefer zu den Aussagen, Symbolen und Gesten von Glaube und Gottesdienst hinführt, aber sie ist - was ja verständlich ist - in den einzelnen Familien kaum präsent. Das neue „Gotteslob" bietet hier wirklich eine einfache, verständliche, zuverlässige und hilfreiche Darlegung des Lebens der Kirche in Glaube und Gottesdienst. Jeder Interessierte findet Zugang zu grundlegenden Stichworten wie Jesus Christus, Kirche oder Ehe, aber auch zur Bedeutung der liturgischen Farben, zu Weihwasser, Doxologie und Erzengel. Die reichhaltige Sammlung vieler Gebete habe ich bereits genannt. Gerade in Zeiten, in denen man den Verlust des Glaubenswissens und die Unschärfe, ja manchmal auch die Verzerrung des Glaubensgutes beklagt, ist es ein Vorteil, wenn man innerhalb der eigenen vier Wände sofort ein Buch findet, das erste Antworten auf viele Fragen und Zweifel geben kann. Das neue „Gotteslob" ist so etwas wie die „eiserne Ration", das „Schwarzbrot" des Glaubenswissens für einen katholischen Christen von heute.

4. Der Diözesanteil als Heimat

Es bleibt noch ein Wort zu sagen zu den sogenannten „Eigenteilen" der einzelnen Bistümer. Ihr Umfang ist beträchtlich gewachsen. Sie sind viel mehr als bloße Anhängsel. Sie haben oft einen Umfang zwischen 200 und 300 Seiten. Auch der Mainzer Bistumsteil umfasst gegen 300 Seiten (S. 961-1248). Der Eigenteil ist aber nicht nur umfangreicher geworden, sondern er hat zugleich an Bedeutung, gleichsam an kirchlichem Selbstbewusstsein gewonnen. Man hat Mut, sich zu den eigenen, gewiss begrenzten, aber auch tief verwurzelten Überlieferungen einer Region und des eigenen Bistums zu bekennen. Dabei hat man eine gute Mitte gefunden zwischen einer Zentrierung auf das jeweilige Bistum hin und zugleich einer Öffnung gegenüber den Nachbardiözesen, dem ganzen deutschen Sprachgebiet und der weltweite Kirche. Im diözesanen Eigenteil erfährt man etwas über die Geschichte der einzelnen Bistümer, die Gedenktage der eigenen Heiligen, die Wallfahrten in den verschiedenen Diözesen und steht treu zu alten, aber nicht antiquierten Liedern und Andachten. So sind die Eigenteile der Bistümer - manchmal sind sie mehreren Bistümern gemeinsam - eine Stärkung des kirchlichen Bewusstseins in größeren Einheiten vor Ort; man könnte auch sagen, die Eigenteile bieten so etwas wie „Heimat".

5. Das persönliche Buch

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir fast in jedem Gotteshaus Exemplare des „Gotteslob" vorfinden, die Eigentum der Kirchengemeinde sind. Dies ist ein guter, relativ neuer Brauch. Wir unterstützten dadurch nicht nur das gemeinsame Singen und Beten in den Gottesdiensten, sondern bieten auch dem einzelnen Besucher einer Kirche die Gelegenheit, still und persönlich jene Gebete zu finden, die in einer jeweiligen Lebenssituation hilfreich sein können. Dieses Angebot darf uns jedoch nicht vergessen lassen, dass das neue „Gotteslob" eben auch, wie wir schon darlegten, ein Hausbuch des Glaubens für Familien und für den Einzelnen ist. Deswegen möchte ich gerade im Blick auf die ausleihbaren Bücher in den „Gesangbuchkästen" unserer Kirchen eine besondere Lanze brechen für den Besitz eines eigenen, persönlichen Exemplars des „Gotteslob".

Früher sah man neben der Bibel besonders das „Gesangbuch" als Markenzeichen der Zugehörigkeit zu einer konkreten Kirche. Noch heute tragen viele auf dem Weg zum Gottesdienst sichtbar und ganz bewusst das Gesangbuch mit sich, um sich in der Öffentlichkeit zum Glauben zu bekennen. Und die vielen eingelegten Gedenk- und Gebetsbildchen erinnern ebenso an die Verstorbenen wie auch an viele freudige Ereignisse. So wird jedes Gesangbuch zum Zeugnis für einen eigenen unverwechselbaren Lebensweg. Ich weiß noch heute, wie stolz ich war, als ich während der Vorbereitung zur Erstkommunion mein eigenes Buch bekam. Es hat mich lange begleitet, auch als es längst nicht mehr das amtliche Buch war. Es wäre sehr schön, wenn diese Wertschätzung eines persönlichen Gesangbuchs auch dem neuen „Gotteslob" entgegengebracht würde, zumal dieses Buch gewiss ein sinnvolles Geschenk zu verschiedenen Festen des Lebens und des Glaubens ist.

6. Dank und Einladung

Gerade die Kirche von Mainz hat eine große Geschichte des katholischen Gesangbuches und hat mit ihren Fachleuten vielfach an der Entwicklung dieser Tradition mitgearbeitet. Aus jüngster Zeit nenne ich nur die Namen von Heinrich Rohr und Josef Seuffert. Wir finden vieles, was für unsere früheren Mainzer Gesangbücher erarbeitet worden ist, auch im neuen „Gotteslob" wieder. Ich danke allen, die besonders am Mainzer Eigenteil mitgearbeitet haben: Herrn Domdekan Prälat Heinz Heckwolf, Herrn Diözesankirchenmusikdirektor Thomas Drescher, dem früheren Liturgiereferenten im Bistum: Herrn Wolfgang Fischer, Frau Regionalkantorin Mechthild Bitsch-Molitor und der ganzen Liturgischen Kommission.

Prof. Dr. Hermann Kurzke hat zu diesem Buch geschrieben: „Das neue Gotteslob ist ein schönes, starkes, eindrucksvolles Buch ... Es atmet Kultur." Wir dürfen durchaus stolz sein, dass uns dank der Mitarbeit von Hunderten dieses Buch gelungen ist. Auch viele evangelische Mitchristen schätzen es bereits und freuen sich darüber. Es könnte uns helfen, viel Kleinglaube, Enttäuschung und Missmut in der Kirche von heute von innen her zu bewältigen. Hier haben wir ein Buch, das wir uns in vielen Situationen unseres eigenen Lebens und der Kirche wirklich zu eigen machen können. Außerdem verbindet es die verschiedenen Gruppierungen und manche liebenswerten Eigenbröteleien, die es bis zu einem gewissen Grad zu Recht geben darf, die sich aber auch nicht gegeneinander verschließen dürfen. Ich sehe im neuen gemeinsamen Gebet- und Gesangbuch eine große Chance der Erneuerung und Wiedererstarkung des Glaubens in unserem Land. Darum sollten wir uns nun alle in dieses neue Buch einlesen und dürfen auch Fortbildung nicht scheuen. Der Fortbildung dient zum Beispiel die Aktion „Eine Stunde mit dem neuen Gesangbuch Gotteslob" am Vierten Fastensonntag 2015 (15.3.), zu der ich heute schon einlade. Das Erlernen neuer Liedes gibt uns frischen Schwung. Manche Engstirnigkeit in uns selbst können wir dadurch weiten. „Der christliche Glaube aber soll die Herzen frei und weit, weich und liebevoll machen. Dazu können Poesie, Musik und Gottesdienst verhelfen, dazu möge auch das neue ‚Gotteslob‘ dienen."

Ich darf alle Gemeinden sowie Schwestern und Brüder im Bistum Mainz herzlich einladen, sich mit dem neuen „Gotteslob" bekannt zu machen. Aus einem Bekannten wird ein guter Freund, wenn man erst einmal miteinander vertraut geworden ist, und aus einer guten Freundschaft erwächst viel Freude.

Mainz, im Oktober 2014
+ Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz