Ein falsches Signal

Auf ein Wort - Juni

Datum:
Montag, 12. Juni 2000

Auf ein Wort - Juni

Wider die Börsenöffnung an Feiertagen

Banken und Börsen sind in besonderer Weise Symbole für unser Wirtschaftsleben und für Handelsgeschäfte. Den Börsen, die den meisten Menschen weniger zugänglich sind, kommt hier eine zunehmend wichtigere Stellung zu, ganz besonders im Zusammenhang des Aktienhandels und der Börsenkurse. Die Börse zeigt uns in besonderer Weise das Marktgeschehen, das hier eine relativ hohe Transparenz und geringere Transaktionskosten hat. Die Börse ist in diesem Sinn mit ein Ausdruck unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Freilich gab es immer schon Anfragen, auch wirtschaftsethischer Art, z.B. im Blick auf die Preisbildung, die Regulierung, aber auch die Spekulation und vor allem die Insider-Geschäfte, bei denen manche Börsenteilnehmer ihren Wissensvorsprung unangemessen, manchmal auch schamlos ausnützen. Ressourcen können im Börsenhandel auch fehlgeleitet werden, bis die „spekulative Blase" platzt und es auch zu dramatischen Kurszusammenbrüchen kommen kann.

Die Ethik hat das Eingehen solcher Risiken und die Erzielung von Gewinnen durch Aufgreifen von Marktchancen im Rahmen eines vor allem auch durch Wettbewerb gekennzeichneten Wirtschaftssystems nicht grundsätzlich beanstandet. Eine der ersten größeren Arbeiten des bekannten Sozialethikers Oswald von Nell-Breuning SJ „Grundzüge der Börsenmoral" (Freiburg 1928, Nachdruck 1989) beschäftigt sich gründlich mit diesen Fragen.

So weit, so gut. Es ist nichts Grundlegendes einzuwenden gegen die Börse als solche, was nicht ohne weiteres schon für jedes Börsenverhalten gilt.

In diesen Tagen aber geschieht in der Börse etwas Neues. Am 1. Juni, dem Fest Christi Himmelfahrt, wird zum erstenmal in Deutschland an einem bisher geschützten Feiertag ein regelrechter Börsenhandel stattfinden. Das veränderte Arbeitszeitgesetz hat entsprechende Beschlüsse der Deutschen Börsen AG zugelassen. Damit wird an herausragender Stelle die Feiertags- und Sonntagskultur beschädigt. Dasselbe ist an drei weiteren Feiertagen möglich (Pfingstmontag, Fronleichnam, Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober). Dies ist eine beklagenswerte Entwicklung, die die christlichen Kirchen grundsätzlich bereits bei der Verabschiedung des Arbeitszeitgesetzes in Frage gestellt und bedauert haben.

Es gibt viele feierlichen Reden zum Sonntagsschutz. Hier jedoch wird in besonderer Weise der Sonntagsschutz verletzt, weil niemand Not leidet, wenn die Börse an solchen Tagen wie bis jetzt geschlossen bliebe. Da die Börse nun mal zu den Spitzensymbolen unseres Wirtschaftssystems und damit auch der Maßstäbe unseres Zusammenlebens gehört, kann der Eindruck entstehen, es ginge in unserer Gesellschaft in erster Linie und vor allem um den Profit, den man eigentlich an allen Tagen als erstes verfolgen sollte. Manche werden ihre Angriffe auf unser Wirtschaftssystem verstärken, weil sie in der Börse nun wirklich den neuen Tempel des Strebens nach Gewinn als höchsten Wert sehen.

Es geht aber nicht um Verdächtigungen und Antipathien gegen die Börse oder unser Wirtschaftssystem. Wenn die Wirtschaft jedoch auch zur Kultur eines Landes im weitesten Sinne gehört, dann muss sie auch – und sie tut es ja auch an vielen Stellen - erkennbar mehr Sorge tragen für die Rangordnung der Werte, die so oft beschworen werden. Denn hier wird eine lange Tradition geschützter christlicher Feiertage um finanzieller Vorteile willen, die nach Angaben aus Fachkreisen relativ gering sein sollen, ausgehöhlt. Dass man vor nichts Halt macht, zeigt auch die Einbeziehung des Tages der Deutschen Einheit am 3. Oktober. Immerhin ist ja der Schutz der Sonn- und Feiertage in unserer Verfassung gewährleistet. Was ist unserer Gesellschaft eigentlich noch heilig? Dies ist die Kernfrage.

Die Globalisierung der Vorgänge ist kein guter Grund für diese Ausweitung des Börsenhandels. In einer Rede „Globalisierung und Soziale Marktwirtschaft" beim Unternehmertag 2000 in Mainz am 23.05.2000 habe ich deutlich zu machen versucht, dass es notwendig ist, gegenüber weltweiten Trends wichtige kulturelle und soziale Errungenschaften in den einzelnen Weltregionen zu schützen. Der Sonn- und Feiertag steht dabei an erster Stelle.

Wissen wir immer, was wir tun? Einige wissen es schon. Aber das Zustandekommen des Arbeitszeitgesetzes und der entsprechenden Beschlüsse sowohl der Börse als auch der zuständigen Landesregierung sind merkwürdigerweise entweder sehr rasch oder eher verborgen, jedenfalls ohne intensivere öffentliche Diskussion darüber, erfolgt. Darum brauchen wir spätestens jetzt eine Auseinandersetzung über die Folgen des Arbeitszeitgesetzes. Sonst werden Sonntagsreden aller Art, gerade auch noch über die Sonn- und Feiertage, noch unglaubwürdiger.

 

Copyright: Bischof Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Juni 2000)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz