Neues Licht auf die Reformationszeit

Gastkommentar von Kardinal Lehmann in der Kirchenzeitung "Glaube und Leben" zur Ausstellung "Schrei nach Gerechtigkeit" des Dommuseums

Datum:
Samstag, 5. September 2015

Gastkommentar von Kardinal Lehmann in der Kirchenzeitung "Glaube und Leben" zur Ausstellung "Schrei nach Gerechtigkeit" des Dommuseums

Ein eigener katholischer Beitrag im Mainzer Dommuseum

Im Laufe der Vorbereitung des 500-jährigen Reformationsjubiläums im Jahr 2017 ergab sich allmählich der Gedanke, neben den großen Feiern, Ausstellungen und wissenschaftlichen Veranstaltungen, besonders im Osten unseres Landes, vor allem in Sachsen-Anhalt, auch im Südwesten einen Schwerpunkt zu setzen. Es geht ja - auch dies eine kleine Änderung in der Akzentsetzung der 10-jährigen Vorbereitung (Dekade) - nicht nur um ein Luther-Jubiläum, sondern um ein differenziertes Gedenken der vielschichtigen Reformationszeit.

Vor diesem Hintergrund haben drei Mainzer Museen beschlossen, durch drei Ausstellungen in Mainz einen besonderen Schwerpunkt im Südwesten zu schaffen. Man denke nur an Luthers Auftritt 1521 in Worms, um die Bedeutung wichtiger Reformationsstätten bei uns in Erinnerung zu rufen. Das Gutenberg-Museum, durch die außerordentliche Bedeutung der Buchdruckerkunst ohnehin mitten im Thema, erinnerte an die ganz herausragende Stellung der Medien für das Reformationsereignis. Das Landesmuseum widmete einem vor allem in der Frühzeit der Reformation wichtigen politischen Unterstützer, Franz von Sickingen, eine eigene Ausstellung. Das Dommuseum wird nun in diesen Tagen den Reigen dieser Ausstellungen mit dem Thema „Schrei nach Gerechtigkeit, Leben am Mittelrhein am Vorabend der Reformation" durch einen dritten Akzent abrunden. Er fügt sich in das dreifache Ganze dieses südwestdeutschen Gedenkens ein und ist auch von einem sehr verdienstvollen gemeinschaftlichen Handeln dieser drei wichtigen Museen geprägt.

Das Thema „Schrei nach Gerechtigkeit" hat dabei eine besondere Bedeutung. Wir haben in der neueren Erforschung der Reformationszeit viele Fortschritte gemacht, indem wir entdeckten, wie sehr Martin Luthers eigene Gestalt in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kultur wurzeln, auch wenn ihm damit nicht seine unleugbare Originalität abgesprochen werden soll. Wir wissen heute, wie wichtig die spätmittelalterliche Frömmigkeit, die Theologie dieser Zeit, die deutsche Mystik und das Mönchtum für das Verständnis des Reformators sind. In dieses neue Verständnis der Reformation fügt sich auch die Ausstellung des Dommuseums ein, doch zweifellos mit einem neuen und eigenen Akzent.

So erstaunlich es klingen kann: Dies ist vor allem das alltägliche Leben der Menschen am Vorabend der Reformation. Wir wissen zwar viel von den sozialen Komponenten und Verwicklungen der späteren Reformationszeit, wenn wir z.B. an die Bauernkriege denken. Aber, soweit ich sehe, hat das Leben der Menschen am Vorabend, hier dargestellt durch die Situation am Mittelrhein, keine so große Aufmerksamkeit gefunden, wie man sich dies eigentlich denken sollte.

Die Ausstellung zeigt uns, wie die Zeit um 1500 von Armut, Krankheit und der ständigen Furcht vor Hölle und Fegfeuer geprägt war. In dieser Situation erheben die Menschen den Anspruch auf ein besseres Leben und vor allem soziale Gerechtigkeit. Es ist erstaunlich, dass gerade die große Kirche von Mainz mit einer Bildungs- und Wirtschaftsoffensive, wozu auch die Gründung der Mainzer Universität im Jahr 1477 gehört, reagiert. Dazu gehören aber auch viele Erzeugnisse der damaligen Kunst im weitesten Sinne, neue Produktionstechniken in der Wirtschaft und viele Innovationen, die man heute erst so recht entdeckt oder mindestens in größerer Breite zur Kenntnis nimmt.

Ich will nur neugierig machen auf diese Ausstellung, die am 4. September eröffnet wird und bis zum 17. Januar 2016 im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum ihre Pforten offen hält. Nicht nur viele bisher weitgehend unbekannte Ausstellungsstücke und große Zeugnisse, wie z.B. die berühmte Doppelmadonna aus der Michaelskapelle in Kiedrich, sondern auch der umfassende Ausstellungskatalog (Verlag Schnell & Steiner) mit fast 500 Seiten sind eine regelrechte Offenbarung dieser Zeit.

Heute schon darf ich allen Mitwirkenden und Leihgebern, vor allem auch dem überaus tüchtigen Direktor des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums Mainz, Dr. Winfried Wilhelmy, und seinem ungewöhnlich kompetenten und fleißigen Team, das sich mit allen Kräften dieser Aufgabe hingab, in jeder Hinsicht einen ganz herzlichen Dank sagen. Wir danken ihnen am besten, wenn wir die Ausstellung besuchen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Kirchenzeitung "Glaube und Leben" - "Auf ein Wort" September 2015

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz