Theologie der Arbeit

Vortrag beim Bildungskongress „Person - Persönlichkeit - Bildung. Aufgaben und Möglichkeiten des Berufsschul-Religionsunterrichts" am 10.12.2015 in Mainz (Erbacher Hof)

Datum:
Donnerstag, 10. Dezember 2015

Vortrag beim Bildungskongress „Person - Persönlichkeit - Bildung. Aufgaben und Möglichkeiten des Berufsschul-Religionsunterrichts" am 10.12.2015 in Mainz (Erbacher Hof)

I.

Die Theologie tut sich, wie ihre Geschichte zeigt, nicht leicht mit dem Phänomen „Arbeit". Sie hat zunächst ihre sehr reichhaltige Geschichte. Nirgends aber scheint mir die vom Zweiten Vatikanischen Konzil nachhaltig hervorgehobene Sachgesetzlichkeit der gesellschaftlichen Sachbereiche (vgl. z.B. GS 36) so berechtigt zu sein wie im Bereich der Wirtschaft und in der Arbeit selbst.

Zudem ist der Begriff der „Arbeit" nur auf den ersten Blick eindeutig. Menschen haben zu allen Zeiten Nahrungsmittel produziert, Güter hergestellt und Dienstleistungen verrichtet. Insofern kann man sagen, dass Arbeit zum Menschsein gehört. Deshalb gibt es auch keine Gesellschaft und Kultur ohne Arbeit. Allerdings unterscheiden sich die Gesellschaften und Kulturen darin, welchen Wert sie der Arbeit beimessen. Während die Moderne die Produktivität der Arbeit preist, sah die Antike weitgehend nur die Mühsal und Notwendigkeit der Arbeit. Ebenso unterscheiden sich Kulturen und Gesellschaften darin, welche Tätigkeiten sie als Arbeit anerkennen und dann meist auch entsprechend entlohnen. Es ist offenkundig, dass in unserer Gesellschaft Arbeit deutlich mehr umfasst als Tätigkeiten in der Landwirtschaft, in der Industrie oder im Handel. Mindestens müsste man den stark gewachsenen Dienstleistungssektor einbeziehen. Zudem haben die technologischen Veränderungen, die moderne Massenarbeitslosigkeit und die Entwicklung globaler Märkte in den Sozialwissenschaften eine lebhafte Diskussion über die Zukunft der Arbeit ausgelöst. Einige Autoren prognostizieren das Ende der Arbeitsgesellschaft oder die Ablösung der klassischen Berufsarbeit durch neue Formen von Arbeit. Die Zukunft der Arbeit wird zudem sehr unterschiedlich beurteilt. Während die einen befürchten, dass die Flexibilisierung und Fragmentarisierung der Arbeit die Identität des Einzelnen und die sozialen Beziehungen destabilisieren, hoffen andere, dass der technologische Fortschritt die Arbeit von Mühsal und Zwang befreien und für alle zu einer schöpferischen Tätigkeit werden lässt. In diesem Zusammenhang wird auch darüber diskutiert, ob neben der Erwerbsarbeit nicht auch andere Formen von Arbeit größere gesellschaftliche Anerkennung verdienen. Hier denkt man insbesondere an die Erziehung von Kindern und die Betreuung von Kranken und Alten in der Familie.

Angesichts der kontroversen Debatten in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wird man als Theologe in der Beurteilung der Zukunft der Arbeit eher zurückhaltend sein. Eine Theologie der Arbeit, die ja von ihrer Sache her elementar auf die Kenntnisse der Geschichts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften angewiesen ist, läuft sonst leicht Gefahr ein einseitiges oder realitätsfernes Verständnis von Arbeit religiös zu überhöhen. Vielleicht sollten wir bescheidener statt von einer Theologie der Arbeit eher von einer Ethik der Arbeit sprechen. Doch auch dann bleibt die Frage, was wir unter Arbeit verstehen.

II.

Was also ist Arbeit? Einen ersten Hinweis gibt uns die Sprache. In fast allen europäischen Kultursprachen hat „Arbeit" zwei oder mehrere Bezeichnungen. In der deutschen Sprache erkennen wir einen Unterschied zwischen „arbeiten" und „werken" bzw. „schaffen". So ist es in den alten und den neuen Sprachen, im Griechischen und Lateinischen, im Französischen und Englischen. Diesen beiden Dimensionen lassen sich zwei Grundbedeutungen zuordnen: Arbeit ist „Mühe, Qual, Last, Not". Dies ist zunächst eine negative Bedeutung. „Arbeit" geht auf das germanische „arba" zurück, was Knecht sein heißt. In dieser Bedeutung schwingt alles mit, was den Menschen bei der Arbeit von innen und außen bestimmt: das Auszehrende, das Fordernde, das Auslaugende. Man arbeitet sich im Lauf der Jahre ab, jemand arbeitet sich zu Tode. Hier kommt mehr der passive Aspekt der Arbeit, ja das menschliche Leiden zum Vorschein. Die andere Dimension richtet sich mehr auf ein positives Element und besagt Leistung, Werk. Hier steht weniger das manuelle Sich-Plagen mit Zwang und Mühsal im Vordergrund, sondern eine bejahte und gesuchte Anstrengung um eines Zieles willen. Dies ist mehr ein aktiver Aspekt, der die Freiheit, Zielrichtung und den Sinngehalt unserer Arbeit zur Sprache bringt. In der Nähe dieser Bestimmung steht auch Arbeit als Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur Verbesserung der Lebensbedingungen.

Arbeit ist jedenfalls weder „reines" noch schlechthin „freies" Handeln, sondern es ist abhängig von der Natur und der natürlichen Bedürftigkeit des Menschen, von geschichtlich gewordenen Herrschafts- und Gesellschaftsverhältnissen. Arbeit ist also immer schon eine Vermittlung zwischen Mensch und Natur, ein gesellschaftlich-geschichtlich bedingtes Handeln. Für uns ist die Not und Beschwerde der Arbeit im körperlichen Sinne oft in den Hintergrund getreten, dennoch bleibt der Aspekt der Arbeit bestehen, dass sie Abhängigkeiten vielfacher Art schafft. Durch planvolle Aneignung, Indienstnahme und Aufbereitung der Natur, durch „Produktion" von Werkzeugen, von Gebrauchs- und Verbrauchsgütern unterscheidet sich der Mensch im Vorgang der Arbeit vom Tier. Dabei ist die Bearbeitung der Natur vor allem von Grund und Boden sowie der Naturdinge nach dem Modell handwerklicher Tätigkeit ein Grundmuster, nach dem wir bis heute Arbeit verstehen. Das arbeitende Subjekt formiert einen Stoff. Freilich erschöpft sich Arbeit nicht im Herstellen und im instrumentellen Handeln, wie schon ein Blick auf Tätigkeiten wie Sammeln und Jagen, aber auch auf die Dienstleistungen zeigt.

Karl Rahner hat in einem kurzen, fast meditationsartigen Versuch Arbeit zu erschließen sich bemüht. So heißt es in einer kleinen Schrift „Alltägliche Dinge". „Sie ist einfach - Arbeit: mühsam und doch erträglich, durchschnittlich und gewohnt, sich gleichmäßig wiederholend, in einem das Leben erhaltend und es langsam abnützend, unvermeidlich und (wo sie nicht zu bitterer Fron verdirbt) nüchtern freundlich. Sie kann uns nie ganz ‘liegen'; selbst wo sie als die Durchführung der höchsten Impulse des Menschen beginnt, wird sie auch unvermeidlich Trott, graue Mühseligkeit der Wiederholung des Gleichen, Behauptung gegenüber dem Unvorhergesehenen und der Last dessen, was der Mensch nicht von innen tut, sondern von außen, vom Fremden her erleidet. Und immer ist die Arbeit auch ein Sich-Einfügen-Müssen in die Verfügung der anderen, in den Rhythmus, der vorgegeben ist, ein Beitrag zu einem gemeinsamen Ziel, das keiner von uns allein sich ausgesucht hat, also Gehorsam und Verzicht in das Allgemeine hinein. - Das erste somit, was eine Theologie der Arbeit zu sagen hat, ist gerade, dass Arbeit - Arbeit bleibt und bleiben wird: das mühsam Gleichförmige, das Entsagung seiner selbst Fordernde, das Alltägliche. Die Arbeit mag immer mehr sich anreichern mit Elementen schöpferischer Tat, sie bleibt im Menschen an eine biologische Grundlage gebunden, die das Ende im Tod sucht, sie bleibt immer in Wechselwirkung mit einer nie restlos verfügbaren Außenwelt, sie wird also - Arbeit bleiben."

Diese sehr nüchternen Sätze Rahners können uns davor bewahren, Arbeit zu verherrlichen, wie es in den letzten Jahrhunderten immer wieder geschehen ist und auch heute noch manchmal geschieht. Arbeit bleibt Mühsal. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt der Neuzeit hat uns die Arbeit zweifellos erleichtert, unseren Wohlstand vermehrt und uns freie Zeit geschenkt, von der unsere Vorfahren nur träumen konnten. Doch auch die technischen Erleichterungen haben die Mühsal nicht abgeschafft, sondern oft neue Zwänge im Arbeitsleben geschaffen.

Nach diesen sehr grundsätzlichen Überlegungen müssen wir gewiss auch den geschichtlichen Wandel der Arbeit in den Blick nehmen. Die Gestalt der Arbeit hat sich ungeheuer verändert. Ebenso hat sich die Bewertung der Arbeit geändert. Um eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Gottesbeziehung zu finden, ist es nützlich, die verschiedenen Etappen im theologischen Nachdenken über die Bedeutung der Arbeit zumindest in groben Zügen zu skizzieren.

III.

In der griechisch-römischen Antike galt wie auch im Alten Orient Arbeit als eine zwar notwendige, aber minderwertige Tätigkeit. Man überließ sie deshalb auch den Sklaven. Einzelne antike Autoren wie Hesiod oder Cato schätzten zwar die Landarbeit. Für die meisten Bürger in einer griechischen Polis oder in der römischen Republik aber war Arbeit vor allem Mühsal und Last. Das gute Leben bestand für sie darin, von jeder Arbeit befreit sich ganz dem Gemeinwohl der Stadt zu widmen. Die eines freien Mannes würdigen Tätigkeiten waren Kriegsdienst, Politik und Philosophie. Körperliche Arbeit gehörte nicht dazu.

Im Unterschied zum antiken Denken wertete der christliche Glaube von Anfang an Arbeit nicht als minderwertige Tätigkeit ab. Dies zeigt sich schon in der Heiligen Schrift. In beiden biblischen Schöpfungserzählungen wird der Mensch als arbeitendes Wesen geschaffen. Nach dem älteren Schöpfungsbericht setzt Gott den Menschen nach seiner Erschaffung in den Garten Eden, „damit er ihn bebaue und bewahre" (Gen 2, 15). Der Mensch im Gottesgarten arbeitet. Durch seine Arbeit soll er den Garten gestalten und erhalten. Auch in der jüngeren Schöpfungserzählung mündet die Erschaffung des Menschen in den Auftrag, die Welt zu gestalten (vgl. Gen 1, 28). Arbeit gehört zur biblischen Bestimmung des Menschen. Allerdings wird der Mensch nicht durch Arbeit zum Menschen. Was ihn von den anderen Geschöpfen unterscheidet ist die Gottesebenbildlichkeit (vgl. Gen 1, 26). Es ist sein besonderer Gottesbezug und nicht seine Arbeit, die ihn als Menschen auszeichnet und die seine Würde begründet. Der von Gott unter allen Lebewesen so ausgezeichnete Mensch erhält dann den Auftrag, die Welt durch seine Arbeit zu gestalten. Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber wird sich nachher eigens diesem Aspekt widmen.

Die Schrift ist weit davon entfernt, das Hohelied auf die Arbeit zu singen. Sie berichtet sehr eindringlich von der Mühsal und Anstrengung der Arbeit (vgl. Gen 3, 17-19). Sie erzählt von der Fronarbeit in Ägypten (vgl. Ex 1-2) und von der steten Gefahr, dass der Mensch zum Diener seiner eigenen Werke wird (vgl. Jes 44, 9-20). Wie alles menschliche Handeln ist auch die Arbeit von der Sünde gezeichnet. Die Arbeit ist jedoch nicht die Folge der Sünde oder gar ihre Strafe. „Verflucht" ist nicht die Arbeit, sondern der Ackerboden (Gen 3, 17b). Gebrochen ist das Verhältnis des Menschen zu Gott, zum Mitmenschen und zur Schöpfung. Deshalb ist die Arbeit diesseits von Eden Mühsal, deshalb muss der Mensch „im Schweiße seines Angesichtes" sein Brot essen (Gen 3, 19). Deshalb werden die Früchte der Arbeit zum Gegenstand von Neid und Zwietracht, die sich wie in der Geschichte von Kain und Abel bis zum Brudermord steigern kann (vgl. Gen 4, 1-16). Bei aller Wertschätzung der Arbeit zeichnet die Schrift somit ein sehr realistisches Bild der Arbeit. Sie ist oft mühselig und eintönig, kräftezehrend und leidvoll. Um wahrhaft human zu sein, bedarf die Arbeit wie alles menschliche Handeln der ethischen Weisung und der rechtlichen Regelung. Letztlich bedarf sie wie die ganze Schöpfung der Erlösung.

Die in den Schöpfungserzählungen grundgelegte Vorstellung vom Menschen und von der Arbeit findet ihre Entsprechung in den eschatologischen Entwürfen. Nirgends kommt im Alten Testament ein Leben ohne Arbeit in den Blick. Die Propheten verheißen kein Schlaraffenland. Die Hoffnung auf „einen neuen Himmel und eine neue Erde" wird im Buch Jesaja vielmehr so beschrieben: „Sie werden Häuser bauen und selbst darin wohnen, sie werden Reben pflanzen und selbst ihre Früchte genießen. Sie bauen nicht, damit ein anderer in ihrem Haus wohnt, und sie pflanzen nicht, damit ein anderer die Früchte genießt. (...) Was meine Auserwählten mit eigenen Händen erarbeitet haben, werden sie selber verbrauchen. Sie arbeiten nicht mehr vergebens, sie bringen nicht Kinder zur Welt für einen jähen Tod." (Jes 65, 21 - 23a) Die Hoffnung richtet sich hier auf ein Leben ohne Ausbeutung und auf ein Leben, in dem die Arbeit nicht ins Leere geht, in dem sie nicht sinnlos wird. Die eschatologischen Bilder der Schrift sind Bilder einer gerechten Welt. Ihnen liegt die Einsicht zugrunde, dass das Problem des Menschen nicht eigentlich die Arbeit, sondern das Unrecht ist.

Die biblische Sicht der Arbeit wäre jedoch unvollständig ohne den Sabbat. Nach dem priesterlichen Schöpfungsbericht beendet und vollendet Gott sein Werk, indem er am siebten Tag ruht, den siebten Tag segnet und für heilig erklärt (vgl. Gen 2,2f). Im dritten der Zehn Gebote heißt es: „Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht." (Ex 20,9f; Dtn 5,13f) An einem Tag in der Woche soll jeder Mensch in Israel - ob Mann oder Frau, Herr oder Knecht, Jude oder Fremder - die Arbeit ruhen lassen. Am Sabbat soll der Mensch von der Mühsal der Arbeit frei werden. Mit dem Arbeitsverbot unterbricht der Sabbat das Wechselspiel von Produktion und Konsum, das den Alltag beherrscht. Das dritte Gebot meint dabei mehr als eine bloße Auszeit, um wieder zu Kräften zu kommen. Der Sabbat ist vor allem der Tag des Herrn, ein Tag ausgesondert für Gott, ein „Heiligtum in der Zeit", wie der jüdische Religionsphilosoph Abraham Heschel ihn nennt.

Die Wertschätzung der Arbeit und die nüchterne Sicht der Arbeitswirklichkeit sind grundlegend für das christliche Verständnis der Arbeit. Vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Texte sind die viel zitierten Sätze des Apostels Paulus, der selbst ein Handwerk erlernt und ausgeübt hat (Apg 18, 3; 20, 34), zu verstehen, dass wer nicht arbeiten will, auch nicht essen soll (vgl. 2 Thess 3, 10) oder dass der Verkünder des Evangeliums ein Recht auf Entlohnung hat (vgl. 1 Kor 9, 14). Die älteste überlieferte Gemeindeordnung, die Didache (11, 4f.; 12,2), legt entsprechend fest, dass Durchreisende, die länger als drei Tage in der Gemeinde verbringen, arbeiten sollen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Durch ihr biblisches Arbeitethos unterschieden sich die christlichen Gemeinden von ihrer heidnischen Umwelt, in der Handarbeit als eine niedrige Tätigkeit galt, die eines freien Mannes nicht würdig war.

IV.

Sowohl die Kirchenväter als auch die mittelalterlichen Theologen haben weniger eine Theologie der Arbeit als vielmehr eine Arbeitsethik entwickelt. Grundlegend für die Diskussionen im Mittelalter ist die benediktinische Formel „ora et labora" („bete und arbeite"). Die Formel nimmt gleichsam die biblische Komplementarität von Arbeit und Sabbat auf und wendet sie auf das Leben der Mönche an. Nach der Regel des Heiligen Benedikt sollen sich im Leben der Mönche Zeiten des Gebets und der geistlichen Lesung mit Zeiten der Handarbeit abwechseln. Die Arbeitspflicht der Mönche begründet Benedikt im 48. Kapitel seiner Regel zunächst mit der Furcht vor dem Müßiggang als „der Seele Feind", dann aber auch mit dem Vorbild der Apostel, die von ihrer Hände Arbeit lebten. Die Arbeit soll also zum einen den Lebensunterhalt der Mönche sichern. Zum anderen soll sie dazu beitragen, die Moral und Disziplin der Mönche zu stärken. Die Verpflichtung zur Arbeit verstand sich für viele Klöster nicht von selbst und musste in den späteren Reformbewegungen der Zisterzienser und der Prämonstratenser immer wieder neu in Erinnerung gerufen werden. Dabei müssen auch die weltlichen Folgen der benediktinischen Arbeitsethik gesehen werden. Die Klöster waren oft bedeutende Wirtschaftseinheiten und Stätten technischer Innovationen in der Landwirtschaft und im Handwerk.

Nun verstehen wir auch besser, warum auch der Meisterdenker des Mittelalters, Thomas von Aquin, in seiner Summa theologiae das Thema Arbeit im Zusammenhang mit den Aufgaben der Ordensleute behandelt. Die Thematik ist für den Aquinaten nicht ohne Schwierigkeiten, gehört er doch als Dominikaner einem Bettelorden an, dessen Angehörige im Unterschied zu den Mönchen der benediktinischen Tradition nicht von ihrer Hände Arbeit, sondern von den freiwilligen Gaben der Gläubigen leben. Für Thomas ist die sittliche Pflicht zu arbeiten zunächst ein Gebot, das für Ordens- und Weltleute gleichermaßen gilt. Auch seine Begründung der Arbeitspflicht bewegt sich in den Bahnen Benedikts. Arbeit dient vor allem der Sicherung des Lebensunterhalts, sodann um Müßiggang zu vermeiden, die Begierden zu zügeln und um die Armen mit Almosen zu unterstützen (vgl. S. th. 2 II q. 187 a. 3). Infolge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sei jedoch nicht jeder zu Handarbeit oder körperlicher Arbeit verpflichtet, nämlich dann nicht, wenn derjenige seinen Lebensunterhalt auf andere rechtmäßige Weise bestreiten kann. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn Ordensangehörige wie die Dominikaner von Almosen leben, die die Gläubigen ihnen für ihre seelsorglichen Tätigkeiten geben. Mit Aristoteles ist Thomas der Meinung, dass geistige Tätigkeiten wertvoller als körperliche Arbeit sind und das beschauliche Leben, also die vita contemplativa, dem tätigen Leben, der vita activa, vorzuziehen sei (vgl. S. th. 2 II q. 182 a. 1). Allerdings fügt er am Ende seiner Überlegungen hinzu, dass Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts das beschauliche Lebens keineswegs mindern müsse (vgl. ebd.). Hier wird der Unterschied zu Aristoteles und den antiken Schriftstellern deutlich: Thomas hält Handarbeit oder körperliche Arbeit keineswegs für eine Tätigkeit, die der Würde des Menschen widerspricht.

Hier können wir nun ein erstes Ergebnis in unserer Frage nach dem theologischen Verständnis von Arbeit festhalten. Die mittelalterliche Diskussion über die Arbeitspflicht der Mönche zeigt, dass die Arbeit ebenso zu einem Leben in der Nachfolge Christi gehört wie das Gebet. Arbeit ist zwar zunächst eine Notwendigkeit, die zum menschlichen Leben gehört. Als menschliches Handeln aber steht sie wie die Schöpfung als ganze immer schon in einem Bezug zum Schöpfer.

V.

Neue Impulse hat die Theologie der Arbeit später in der Reformation erhalten. Nun wird man nicht sagen können, dass Arbeit ein Grundthema reformatorischer Theologie ist. Vielmehr führen die Veränderungen, die die Reformatoren im theologischen Koordinatensystem vornehmen, auch zu einer veränderten Sicht der Arbeit. Kurz gesagt, die Reformatoren lösen das Thema Arbeit z.T. aus dem monastischen Kontext heraus und stellen es stärker in den neuen Zusammenhang der Alltagsfrömmigkeit der einfachen Christen. Den Hintergrund dieser neuen Sicht bildet die reformatorische Kritik am zeitgenössischen Mönchtum und an der Unterordnung der vita activa unter die vita contemplativa. Ausgangspunkt der reformatorischen Arbeitsethik ist Luthers Deutung der Rechtfertigungslehre. Sie schließt bekanntlich die für die mittelalterliche Frömmigkeit so wichtige Idee der verdienstvollen Werke prinzipiell aus. Vor Gott gelten keine Werke, sondern nur der Glaube. Denn das Heil, das Christus für uns am Kreuz erwirkt hat, kann der Mensch nach Luther nur passiv im Glauben empfangen. Gleichzeitig fügt Luther jedoch hinzu: Der Glaube bewirkt gute Werke. Die Werke des Christen begründen keine Verdienste vor Gott, sondern dienen dem Wohl des Nächsten. Folgerichtig ist auch die menschliche Arbeit für den Reformator zunächst Dienst am Nächsten und als solcher dann auch Gottesdienst. Denn im Dienst am Nächsten dient der Christ immer auch Gott. Diese Einsicht verbindet Martin Luther mit einer neuen Interpretation von Berufung. War in der mittelalterlichen Theologie die Rede von der inneren Berufung (vocation interna oder spiritualis) auf das Priester- und Mönchtum bezogen, so wendet Luther diesen Begriff nun auf die weltlichen Tätigkeiten in Beruf und Familie an. Die etymologische Herkunft des Wortes ‚Beruf' von ‚Berufung' hat hier ihren theologischen Grund. Für Luther ist jeder Beruf Berufung und soll vom Christen auch so ausgeübt werden. Der berufliche Alltag wird zum Ort christlicher Frömmigkeit. Hier hat der Christ sich zu bewähren.

Johann Calvin übernimmt Luthers Bewertung der Arbeit. Er ordnet sie jedoch dem Leitgedanken seiner Theologie „Soli Deo gloria" („Allein Gott die Ehre") unter und bezieht sie auf die Lehre von der doppelten Prädestination. Nach dieser auf Augustinus zurückgehenden Lehre Calvins hat Gott in einem uns nicht zugänglichen Ratschluss die einen zum Heil oder die anderen zum Unheil vorherbestimmt. Nur im Glauben kann der Christ seiner Erwählung gewiss sein. Berufsarbeit ist wie das ganze Leben des Christen Antwort auf die göttliche Erwählung und damit Gottesdienst. Der Christ darf zudem darauf vertrauen, dass seine Werke und damit auch seine Arbeit in dieser Welt Früchte tragen. „Wenn wir unserem Beruf gehorchen", schreibt Calvin, „so wird kein Werk so unansehnlich und gering sein, dass es nicht vor Gott leuchtet und für sehr köstlich gehalten würde." Hier deutet sich bereits die Frage an, ob der Erfolg in der Arbeit dann nicht auch als Zeichen für die göttliche Erwählung gedeutet werden kann. Calvin selbst hat es abgelehnt, nach äußeren Zeichen der Erwählung zu suchen. Die wohl als quälend empfundene Ungewissheit, ob man selbst zu den Erwählten oder zu den Verworfenen gehört, hat jedoch seine Nachfolger, vor allem die englischen Puritaner, bewogen, die Früchte der Arbeit zum gewissen Zeichen persönlicher Erwählung durch Gott zu erklären. In dem calvinistisch-puritanischen Lebensstil, der Tugenden wie Fleiß, Pflichterfüllung, Verzicht und Bescheidenheit kultiviert, wird Max Weber später den Ursprung des neuzeitlichen Arbeitsethos, ja der kapitalistischen Wirtschaftsweise überhaupt erkennen.

Wir können hier ein weiteres Ergebnis in unserer Frage nach dem theologischen Verständnis von Arbeit festhalten. Auch im Rahmen einer katholischen Theologie kann man Arbeit als eine Form der Nächstenliebe verstehen. Natürlich arbeiten wir zunächst, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber die Produkte, die wir herstellen, und die Dienstleistungen, die wir erbringen, kommen grundlegend auch anderen zugute. Mit unserer Arbeit tragen wir zum Wohlstand und Wohlergehen der Gesellschaft bei. Auf der Arbeit als einer Form der Nächstenliebe liegt dann auch Gottes Segen. Das gilt nicht nur für Arbeiten oder Berufe, die sich einer hohen gesellschaftlichen Wertschätzung erfreuen, sondern auch für die unscheinbaren, fälschlicherweise wenig beachteten Tätigkeiten, deren Wert wir oft erst dann erkennen, wenn sie fehlen. Für einen Christen ist auch der Arbeitsplatz ein Ort, an dem er Gott dient. Das hat dann natürlich auch Folgen für das Arbeitsethos, also die Art, wie wir unsere Arbeit verrichten.

VI.

Webers Herleitung des modernen Kapitalismus aus dem Geist des calvinistisch-puritanischen Protestantismus wird in der Religionssoziologie und der Geschichtswissenschaft kontrovers diskutiert. Wir sehen heute deutlicher als früher, dass die Reformation nicht einfach ein Bruch mit der Vergangenheit und der Anbruch einer neuen Zeit war. In vielem blieben die Reformatoren dem spätmittelalterlichen Denken und Handeln verhaftet, in anderen Punkten bahnten sie in der Tat neuen Entwicklungen den Weg. So wird man etwa die Tugenden, die das Arbeitsethos der Puritaner bildeten, ohne viel Mühe auch in der Lebensweise der mittelalterlichen Klöster finden. Das protestantische Arbeitsethos ist zunächst eher eine Verallgemeinerung des klösterlichen Arbeitsethos. Die Wertschätzung der alltäglichen Arbeit und Pflichterfüllung als Ort christlicher Frömmigkeit und die Wertverschiebung von der Arbeitsanstrengung auf die Arbeitsleistung verweisen hingegen auf das moderne Verständnis von Arbeit.

Worin besteht nun das Neue des modernen Verständnisses von Arbeit? Arbeit wird nun nicht mehr weitgehend als Mühsal, Last und Fron verstanden, der sich der Mensch zur Lebenserhaltung unterwerfen muss. Arbeit ist nun vor allem eine produktive und schöpferische Tätigkeit, durch die der Mensch seinen Wohlstand mehrt, aber auch seine Welt gestaltet und dabei sich selbst verwirklicht. Für den Ahnherrn der modernen Wirtschaftslehre, Adam Smith, ist Arbeit die Quelle allen Wohlstands. Dieses neue Verständnis von Arbeit steht, ohne dass dies hier im Einzelnen entfaltet werden könnte, in engem Zusammenhang mit der Entwicklung einer freien Marktwirtschaft, der beginnenden Industrialisierung in England und der fortschreitenden Arbeitsteilung im Produktionsprozess. Es steht aber auch im Kontext einer Welt- und Lebensanschauung, die den menschlichen Tätigkeiten einen Wert zuschreiben, den sie in sich haben und nicht erst durch ihren Bezug auf transzendente Zwecke bekommen. Arbeit und Beruf werden zu identitätsstiftenden Tätigkeiten, durch die sich das Bürgertum vom Adel abgrenzt und aus denen sich das Selbstbewusstsein des Bürgers speist. Ein gutes Leben ist ohne Arbeit bald kaum vorstellbar. Denn die Arbeit ermöglicht dem Einzelnen ein selbstständiges, von anderen unabhängiges Leben. Mit dem neuen Arbeitsverständnis bildet sich bei Adam Smith und den französischen Physiokraten zugleich die moderne Vorstellung von Wirtschaft, die nicht mehr Teil der Moralphilosophie, sondern einen eigenen Bereich menschlichen Handelns bildet, das eigenen Gesetzen folgt.

Der neue Begriff von Arbeit konnte kritisch gegen die realen Arbeitsverhältnisse gewendet werden und wurde es auch. Dies zeigte sich schon anfänglich bei Schiller , dann bei Hegel und vor allem bei Karl Marx und den von ihm beeinflussten Autoren. Im Lichte eines Verständnisses von Arbeit als Selbstverwirklichung des Menschen und Grundlage einer selbstständigen Lebensführung erschienen die realen Arbeitsverhältnisse, wie sie sich im Zuge der Industrialisierung herausbildeten, nur umso skandalöser und ihre Veränderung umso dringlicher. Das materielle Elend der neu entstandenen Arbeiterklasse machte augenfällig, dass die neuen Arbeitsverhältnisse einen wachsenden Teil der Gesellschaft in neue Abhängigkeiten brachten, die ihnen eine selbstständige Lebensführung oft unmöglich machten. Zudem beklagten die Sozialkritiker die menschliche Verarmung durch Arbeitsbedingungen, die den Einzelnen der zweckrationalen Logik eines mechanisierten Arbeitsprozesses unterwarfen und zum funktionalen Element der Produktion erniedrigten. Charly Chaplins Film „Modern Times" (1936) hat diese abstumpfende Wirkung monotoner Arbeitsabläufe in der Fließbandproduktion in satirischer Weise dargestellt. Deshalb gehörte die Veränderung der Arbeitsbedingungen neben der gerechten Entlohnung der Arbeit zu den wesentlichen Zielen der verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung, der christlichen ebenso wie der sozialistischen. Was unter Humanisierung der Arbeit verstanden wurde, war und ist jedoch unterschiedlich. Während die Gewerkschaften vor allem für konkrete Verbesserungen am Arbeitsplatz wie die Gestaltung der Schichtarbeit oder Pausenregelungen und für eine Verkürzung der Regelarbeitszeit streiten, erhoffen andere, dass der technologische Fortschritt und die sozialen Reformen die Arbeit von Mühsal und Zwang befreien und für alle zu einer schöpferischen Tätigkeit werden lassen. Wie ich zu Beginn meiner Ausführungen erwähnt habe, sind diese Arbeitsutopien auch in der gegenwärtigen Diskussion um die Zukunft der Arbeit noch lebendig.

VII.

Die Industrialisierung mit ihren sozialen und kulturellen Folgen und das sie begleitende neue Verständnis von Arbeit bildete natürlich auch eine Herausforderung für die Kirche. Dabei standen zunächst das Verhältnis von Kapital und Arbeit und die Fragen der Verteilungsgerechtigkeit im Vordergrund. Schon bald aber reflektierte die Kirche auch die moralische und religiöse Bedeutung der Arbeit. Ich kann hier schon aus Zeitgründen nicht den Weg nachzeichnen, den das theologische Nachdenken über die Arbeit im letzten Jahrhundert genommen hat. Wichtige Impulse sind sicher vom Werk des französischen Theologen Marie-Dominique Chenu OP , aber auch von den Arbeiterpriestern in Frankreich und den katholischen Arbeiterorganisationen ausgegangen. Viele dieser Impulse hat das Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (1965) aufgenommen. 1981 hat dann Papst Johannes Paul II. erstmals in der Kirchengeschichte eine Enzyklika (Laborem exercens) der Arbeit gewidmet. Eine umfassende Würdigung dieser Enzyklika, die hier nicht geleistet werden kann, müsste sicher den geschichtlichen Kontext stärker beachten, als das hier möglich ist. 1980 war das Jahr des großen Arbeiterstreiks auf der Danziger Leninwerft, in deren Verlauf die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc gegründet wurde. Die Streikbewegung wurde von den kritischen Intellektuellen Polens und der katholischen Kirche unterstützt und läutete rückblickend betrachtet den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa ein.

Die Bedeutung der Enzyklika Laborem exercens besteht vor allem darin, dass sie das moderne Verständnis von Arbeit, das ich soeben skizziert habe, aufnimmt und es in das christliche Verständnis des Menschen und seiner personalen Würde integriert. Zu Beginn spricht der Papst von der „Entdeckung der neuen Bedeutungsgehalte der menschlichen Arbeit" und der „Formulierung der neuen Aufgaben", die sich auf diesem Gebiet stellen (Nr. 2). Wörtlich heißt es dann: „Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen - für sein Menschsein -, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpasst, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen ‚mehr Mensch wird'." (Nr. 9) Arbeit ist „eines der Kennzeichen, die den Menschen von den anderen Geschöpfen unterscheiden" (Vorrede). Arbeit ist ein spezifisch menschliches Tun und damit immer auch Ausdruck der Würde des Menschen (vgl. Nr. 9). Diese theologische Verknüpfung von Arbeit und Menschenwürde findet ihren programmatischen Ausdruck in der oft zitierten Formel, dass „die Arbeit für den Menschen da (ist) und nicht der Mensch für die Arbeit" (Nr. 6). Entsprechend kritisiert der Papst Arbeitsverhältnisse, die den Menschen zum funktionalen Element des Produktionsprozesses erniedrigen (vgl. Nr. 7).

Der Papst versteht den biblischen Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen (Gen 1,28), als Aufforderung zur Umwandlung der Erde durch Arbeit (vgl. Nr. 4). Mit seiner Arbeit trägt der Mensch zur „Vollendung des Schöpfungswerkes Gottes" bei. Auch im Beruf und am Arbeitsplatz ist der Mensch dazu berufen, Mitarbeiter Gottes zu sein. Es lohnt sich diesem Leitgedanken einer christlichen Theologie der Arbeit nachzugehen. Denn unter diesem Leitgedanken lassen sich die Aspekte einer Theologie der Arbeit gut zusammenfassen, die ich in dem kurzen geschichtlichen Abriss genannt habe. Mir scheinen auch mit Blick auf das Zeugnis der Heiligen Schrift drei Aspekte besonders bedeutsam zu sein.

1. Zum einen ist auch die Arbeitswelt ein Ort christlicher Frömmigkeit. Arbeit und Beruf sind kein gottferner Bereich, den der Christ zu meiden hätte oder in dem er sich nur notgedrungen aufhält. Arbeit ist in dem Sinne Selbstverwirklichung, als der Mensch in der Arbeit seine Gaben und Talente fruchtbar machen und neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben kann. Arbeit bildet die wirtschaftliche Grundlage für eine selbstständige Lebensführung. Gleichzeitig ist sie ein Dienst am Nächsten, am Wohl der Gesellschaft, und damit auch ein Dienst an Gott. Dieses theologische Verständnis von Arbeit ist auch sozialethisch bedeutsam. Wenn wir Arbeit als Mitarbeit am Schöpfungswerk Gottes verstehen, dann dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass ganze Gruppen der Gesellschaft dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Die päpstlichen Sozialenzykliken haben deshalb von Anfang an nachdrücklich auf die wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Folgen der Arbeitslosigkeit aufmerksam gemacht und das Recht jedes Menschen, besonders auch der Ausgeschlossenen, auf Teilnahme am Leben der Gesellschaft in allen Dimensionen und auf allen Ebenen verteidigt. Dieses Recht haben auch die deutschen Bischöfe im Gemeinsamen Sozialwort mit der EKD Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit und in der Kommissionserklärung Das Soziale neu denken nachdrücklich hervorgehoben. Wir werden diese Fragen der Beteiligungs- und der Verteilungsgerechtigkeit zukünftig noch stärker im weltweiten Zusammenhang bedenken müssen, als wir es bislang getan haben.
Ein schöpfungstheologisches Verständnis von Arbeit verbindet schon im Ansatz Ökonomie und Ökologie. Nach den biblischen Schöpfungsberichten hat der Mensch zwar den Auftrag, die Erde zu beherrschen (Gen 1, 26 - 28). Gleichzeitig ist er jedoch als Geschöpf Gottes in die Schöpfung eingebunden und dem Schöpfer gegenüber für sein Handeln in der Schöpfung verantwortlich. In theologischer Perspektive ist Natur niemals bloße Ressource zur Erreichung technisch-ökonomischer Ziele. Natur hat vielmehr einen Eigenwert, den der Mensch auch um seines eigenen Überlebens willen zu achten hat. Der biblische Auftrag, die Erde durch Arbeit zu gestalten, meint nicht einfach souveräne Herrschaft des Menschen über die Natur, sondern schließt immer die Verantwortung für den Erhalt der Natur ein. Zum biblischen Sinn von Weltverantwortung in der Arbeit gehört nicht nur die Aktion, sondern auch das Schonen und Bewahren, Verzichten und Pflegen. Dies ist noch fundamentaler als die ökologisch verstandene Umweltrettung für sich allein. Die Arbeitswelt ist gerade dann ein Ort christlicher Frömmigkeit, wenn die Einzelnen wie auch die Institutionen ihre soziale und ökologische Verantwortung wahrnehmen. Hier hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si" im amtlichen Sprechen der Kirche neue Akzente gesetzt, vgl. Art. 98, 124-129; 127, 128.

2. Zu einem schöpfungstheologischen Verständnis gehört sodann ein zweiter Aspekt. Nach christlichem Verständnis ist die Schöpfung Gottes immer auch von der Sünde des Menschen gezeichnet. Arbeit ist deshalb immer auch Mühsal, Auszehrung, Fron und Entbehrung. Man darf diese Einsicht sicher nicht missbrauchen, um Anstrengungen zur Humanisierung der Arbeit zu unterlassen. Aber es gibt durchaus Arbeiten, die für den Erhalt der Gesellschaft notwendig und in diesem Sinne sinnvoll sind, die jedoch von demjenigen, der sie ausführt, in erster Linie, wenn nicht sogar ausschließlich um des Lohnes willen übernommen werden. Derjenige wird seine Fähigkeiten und Interessen dann weniger am Arbeitsplatz als in der Familie und der Freizeit verwirklicht sehen. Daher ist es unter sozialethischen Gesichtspunkten sinnvoll und notwendig, zwischen unterschiedlichen Arbeiten zu unterscheiden und diese Unterscheidung etwa bei der Frage der Arbeitzeitverkürzung oder der Dauer der Lebensarbeitszeit zu berücksichtigen.

3. Wenn wir Arbeit als Mitwirkung am Schöpfungswerk Gottes verstehen, dann gehört zur Arbeit - und das ist mein dritter Aspekt - immer auch die Ruhe. Bei aller Wertschätzung der Arbeit betont Laborem exercens, dass der Mensch Gott nicht nur in der Arbeit, sondern auch in der Ruhe nachahmen soll, denn zum Schöpfungswerk Gottes gehört gleichsam als Vollendung die Ruhe am siebten Tag (Nr. 25). Der Mensch verwirklicht sich selbst eben nicht nur in der Arbeit. Selbst in einer Gesellschaft, in der die Arbeit für alle Menschen eine schöpferische Tätigkeit wäre, könnten nicht alle wahrhaft menschlichen Werte in der Arbeit oder durch Arbeit verwirklicht werden. Was unser Leben wertvoll macht, ist oft gerade das, was wir nicht herstellen können, sondern was uns geschenkt wird: Freundschaft, Liebe, ein gelingendes Familienleben. Der arbeitsfreie Sonntag ist deshalb nicht einfach ein Tag der Erholung, der Regeneration unserer Arbeitskraft. Als solcher wäre er durch einen beliebigen anderen Tag zu ersetzen. Der gemeinsam begangene Sonntag ermöglicht uns vor allem eine neue Sicht auf uns selbst, unsere Mitmenschen und die Welt. Der arbeits- und verkaufsfreie Sonntag ermöglicht uns Distanz zum Alltag, zu den Selbstverständlichkeiten der ökonomischen und technologischen Entwicklung, Distanz auch zu den eigenen Bedürfnissen und Interessen und damit Offenheit für die Erfahrung des Anderen, für Gott.

Das Wechselspiel von Sonntag und Werktag, von „ora et labora" (Hl. Benedikt) meint kein beziehungsloses Nebeneinander von Arbeit und Muße. In der Eucharistie nehmen wir vielmehr Bezug auf die Arbeit. Wir bringen Gott Brot und Wein als „Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit" dar, auf dass sie zum Ort der Gegenwart Gottes in unserer Welt werden. In die Eucharistie wird deutlich, dass das christliche Arbeitsethos von der Hoffung getragen ist, dass die vom Menschen gestaltete Schöpfung einst verwandelt und zum Ort der Gegenwart Gottes wird, dass das Streben des Menschen über die Arbeit hinausgeht. Zum Menschsein gehört sowohl die Arbeit als auch die Muße, die ihren Ursprung in der Gottesverehrung, im Kult hat. Josef Pieper hat diesen Zusammenhang von Muße und Kult in einem noch heute lesenswerten Buch gut beschrieben.

Es wäre daher fahrlässig, wenn wir den arbeits- und verkaufsfreien Sonntag durch eine immer weitere Lockerung des Arbeitsverbotes und der Ladenöffnungszeiten um kurzfristiger ökonomischer Vorteile willen in seinem Stellenwert mindern oder gar verlieren würden. Denn der Verlust des Sonntags wäre ein Verlust an Menschlichkeit.

Diese drei Aspekte - Arbeit als Mitarbeit an der Schöpfung Gottes, als Mühsal und das Wechselspiel von Arbeit und Muße - scheinen mir zentrale Bausteine für ein christliches Verständnis der Arbeit zu sein. Sie dürften auch die zentralen Aspekte bei der Behandlung des Themas Arbeit im Religionsunterricht sein. Dabei wäre es aus meiner Sicht auch sinnvoll, dass die Erfahrungen und Aktivitäten der Arbeitnehmerorganisationen wie CAJ und KAB oder die Erfahrungen der Betriebsseelsorge zur Sprache kämen. Doch ist dies nicht mehr meine Kompetenz und Aufgabe. Denn das Zeugnis von Christen in der Arbeitswelt ist meist ansprechender und überzeugender als manche theologische Darlegung, die zweifellos auch ihr Recht hat.

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Der Religionsunterricht in den berufsbildenden Schulen braucht das persönliche Zeugnis. Er braucht aber auch wissenschaftliche Begleitung und öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung. Beides leistet, wie wir heute einmal mehr feststellen können, das Institut für berufsorientierte Religionspädagogik in Tübingen seit mehreren Jahren in sehr überzeugender Weise. Dafür gebührt Ihnen, Herr Professor Biesinger, Herr Professor Dr. Reinhold Boschki, Herr Prof. Dr. Friedrich Schweitzer und Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck sowie Prof. Dr. Klaus Kießling und allen ihren Mitarbeitern Dank und ein herzliches Vergelt's Gott.

Mein besonderer Dank aber gilt Ihnen, den Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Sie dürfen sich zu Recht als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes bei der Vollendung der Schöpfung sehen. Dabei müssen die Schwierigkeiten und Belastungen, die der Religionslehrerberuf in der Berufsschule mit sich bringt, nicht verschwiegen werden. Doch auch und gerade in den Belastungen dürfen Sie gewiss sein, dass auf Ihrem Tun Gottes Segen ruht und dass Ihr Unterricht Frucht bringt, auch wenn diese Frucht sich oft erst Jahre später zeigt. Ebenso darf ich Ihnen versichern, dass wir Bischöfe Ihr Engagement für die christliche Botschaft zu schätzen wissen und auch zukünftig nach Kräften fördern werden.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Es gilt das gesprochene Wort. Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Anmerkungen enthalten.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz