Verborgener Lichtblick

Auf ein Wort

Datum:
Sonntag, 24. September 2000

Auf ein Wort

Überraschendes zur Seelsorge für Zwangsarbeiter

Die in diesen Monaten immer wieder erhobene Forderung, die Situation und das Schicksal der sogenannten Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg besser zu erforschen, will selbstverständlich – im Gegenteil – nicht den Blick verstellen für das, was diesen Menschen angetan worden ist, und auch nicht dazu beitragen, ihnen durch Entschädigung eine ohnehin sehr späte und geringe Gerechtigkeit, wenigstens durch symbolische Handlungen, zu versagen. Der Wunsch nach Aufklärung ist nicht mit heißgestrickter Nadel rasch zu befriedigen. Er hindert auch nicht sofortige Hilfe. Nichts wird auf die lange Bank geschoben. Eine differenzierte Forschung bringt aber manches an den Tag, was nur relativ wenige wissen.

 

Ein Beispiel dafür, das mich selbst im Ausmaß überraschte, ist die Seelsorge der Kirche im Blick auf die Zwangsarbeiter. Die für die Seelsorge verantwortlichen Bischöfe und Priester ließen es sich nämlich auch durch viele Erlasse, Schikanen und Strafen nicht nehmen, gerade für die Zwangsarbeiter als Seelsorger zur Verfügung zu stehen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Kirche in unserem Land. Heute wissen wir, dass unter den 700.000 französischen Arbeitern, die auf 22.000 Lager verteilt waren und in 400 deutschen Städten lebten, während des Krieges 300 französische Priester und 10.000 französische Laien der Katholischen Aktion in einer Art Untergrundseelsorge wirkten. In ähnlicher Weise haben auch holländische katholische Christen ihren Landsleuten zu helfen versucht (Miarka-Bewegung). Der Vatikan hat diese Bemühungen unterstützt.

 

Für Frankreich ist dies auch noch mit einem besonders wichtigen Strang von Seelsorge verbunden. Die Priester, die zum größten Teil geheim als Arbeiter eingeschleust wurden, gehörten weitgehend zu den sogenannten Arbeiterpriestern. Sie wurden besonders von Kardinal Suhard (Paris) unterstützt. In dem bekannten, auch übersetzten "Tagebuch eines Arbeiterpriesters" von Henri Perin (München 1955) wird diese Aktion eindrucksvoll beschrieben. Die Geburt der Arbeiterpriester hängt also eng mit dieser Seelsorge für die Zwangsarbeiter zusammen.

 

Die deutschen Priester haben sich an dieser Seelsorge trotz aller Drohungen intensiv beteiligt. Ich sehe ab von der konkreten Zuwendung in kirchen- oder ordenseigenen Einrichtungen. In der Dokumentation "Priester unter Hitlers Terror" (von Hehl/Kösters, 4. Auflage 1998) ist nachzulesen, dass 547 deutsche Priester in 977 Fällen wegen Ausländerseelsorge in Konflikt mit dem Regime geraten sind. Die Maßnahmen reichen von Verhören über Ausweisung bis zu Freiheitsstrafen und Einweisung in ein Konzentrationslager. 46 deutsche Priester – dies sind 11% aller KZ-Fälle – sind u.a. mit dem Vorwurf der Ausländerseelsorge in das KZ eingeliefert worden. Davon sind 11 dort umgekommen. Nicht zu übersehen sind auch die besonders hohen Geldstrafen. So musste der spätere Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen 10.000 Reichsmark Strafe bezahlen. Dies alles gilt nicht weniger für Laien, nicht zuletzt auch Ordensschwestern.

 

Dies sollte ein kleines Beispiel dafür sein, dass es sich auch heute noch lohnt, vielen Aspekten der damaligen Situation genauer nachzugehen. Neben dem auch heute noch tief in das Gewissen reichenden Erschrecken über das Unrecht darf man solche verborgenen Lichtblicke nicht vergessen. Gerade diese Seelsorge für die Zwangsarbeiter ist in den Quellen gut belegt. Sie zeigt uns auch, dass man gerade bei aller heute noch gegebenen Haftung der Menschen unseres Landes für das, was geschehen ist, über die Vergangenheit nicht pauschal urteilen darf, sondern immer wieder den Blick auch auf den Mut, das Zeugnis und die Widerstandskraft einzelner lenken muss.

 

Hier kann man nicht aufklären, ohne Mut zu einer differenzierten Beurteilung einer sehr komplexen Realität zu haben. Im Medienzeitalter, in dem immer alles sehr kurz und knapp sein soll, darf dies nicht untergehen. Sonst gelangt man am Ende weder zur Wahrheit noch zur Gerechtigkeit.

 

Copyright: Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, September 2000)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz