Schmuckband Kreuzgang

Interview mit Pfarrer Barton in der Offenbach-Post vom 29. Januar 2022

Niels Britsch von der Redaktion der OP führte ein Gespräch mit Pfarrer Barton zu den Enthüllungen in München

Barton_Portrait (c) St. Martin Dietzenbach
Barton_Portrait
Datum:
Fr. 4. Feb. 2022
Von:
Helena Doetsch

Wie ist die Stimmung angesichts der neuen Missbrauchs- und Vertuschungsenthüllungen in ihrer Gemeinde?

Die Nachrichten beschäftigen uns seit Jahren und wir erleben mit jeder neuen Meldung echte Empörung und gleichzeitig auch so etwas wie Bestätigung: Wir haben es immer gewusst. Schwierig scheint mir aber zu sein im Blick zu behalten: Kirche ist mehr als Missbrauch und Vertuschung. Unzählige Menschen erfahren in Seelsorge und gemeindlichen Aktivitäten Halt, Bestärkung und auch Freude am Miteinander und im caritativen Engagement.

Sind wegen der Skandale Gemeindemitglieder aus der Kirche ausgetreten?

Für nicht wenige Menschen in der Kirche ist der vollzogene Austritt aus der Gemeinschaft der Kirche ein für sie deutliches Zeichen ihrer Empörung über die Verbrechen und ihre Vertuschung. Allerdings erlebe ich viele engagierte Christinnen und Christen, die in ihrer kritischen Haltung und ihrem Mitstreiten viel dazu beitragen, dass wir hier in der Prävention etwa einen guten Weg für die Zukunft einschlagen haben. Zur Prävention müssen und können alle aktiv beitragen und so mithelfen, Missbrauch zu verhindern.

Was sagen Sie als Pfarrer und Vertreter der Kirche dazu, dass der ehemalige Papst Benedikt offensichtlich gegen das achte Gebot verstoßen hat?

Mehr und mehr wundere ich mich darüber, dass Benedikt XVI. sich so indifferent äußert. Und wie schon in der Vergangenheit immer wieder zurückrudern muss. Im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen darf es keine Versuche zu Vertuschung und zur Verleugnung eigener Verantwortung geben. Ich möchte mich hier einer Äußerung unseres Mainzer Bischofs anschließen: „Sie können nicht mehr meine Vorbilder sein“.

Wie wird der frühere Papst in ihrer Pfarrgemeinde wahrgenommen?. Wächst die Kritik an ihm?

Wenn ich mich recht erinnere, stand Benedikt XVI. stets in einem wie immer auch gearteten Sperrfeuer von Kritik. Das hat wohl viel mit seiner eigenen Entwicklung, seiner traumatischen Erfahrung der 68iger Ereignisse und mit seiner späteren Tätigkeit als Präfekt der Glaubenskongregation zu tun. Ich kenne ihn ausschließlich aus der Lektüre seiner Bücher als Theologe und als Präfekt der Glaubenskongregation. Die Wahrnehmung seiner Person und seines Wirkens in unserer Gemeinde ist vielgestaltig: von Bewunderung über seinen Aufstieg zum Papstamt bis hin zur kritischen Ablehnung vieler seiner theologischen Aussagen. Und schließlich jetzt müssen wir als christliche Gemeinde damit umgehen lernen, dass es einen emeritierten Papst gibt, der entgegen seiner ursprünglichen Aussage sich dem Gebet zu widmen, sich immer wieder zu Wort meldet. Leider oft genug auch von konservativen Kreisen dazu gedrängt wird. Zu den theologischen Begriffen „Stellvertreter Christi“ auf Erden und „unfehlbar“ müssten wir eigens ins Gespräch kommen.

Erschweren die Skandale Ihre seelsorgerische Tätigkeit?

Mit großer Gewissheit! Allerdings erlebe ich unsere Gemeinde als eine offene Gemeinschaft von Menschen mit einem kritischen Blick auf die Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft. Wir müssen uns der bitteren und beschämenden Wahrheit von Missbrauch und dessen Vertuschung in unserer Kirche stellen. Viele Menschen erleben aber auch unsere Gemeinde als einen Ort des offenen Miteinanders und eines gelebten Glaubens der uns bestärkt diesen Auftrag anzunehmen und mit zu helfen, das Leid der Betroffenen zu lindern und künftige Vergehen zu verhindern.

Gibt es einen Punkt, an dem Sie als Pfarrer von den Skandalen der Kirche, ihrer Führung, genug haben und persönliche Konsequenzen ziehen würden?

Ich bin seit annähernd einem Vierteljahrhundert Priester. Dieser Auftrag und die damit verbundenen Herausforderungen sind jeden Tag erfahrbar. In meiner seelsorglichen Tätigkeit erfahre ich viel Offenheit und Bestärkung gleichermaßen. Hier kann ich Zeichen setzen im wahrsten Sinne des Wortes. Ich freue mich unbändig mit den jungen Eltern, wenn sie ihr Kind zur Taufe bringen, ich freue mich mit jenen, die heiraten wollen, ich sehe mit großer Freude wie Kinder und Jugendliche die Erstkommunion und die Firmung empfangen und ich auch in der Feier der Versöhnung Vergebung zusprechen kann. Was mich im innersten berührt ist, wenn ich Kranken die Krankensalbung spenden darf. Diese Erfahrungen bestärken mich zu bleiben. Manchen Sturm auf dem See der Kirche auszuhalten und immer wieder danach Ausschau zu halten, welche Hoffnung mich erfüllt, von der ich bereit sein will Rede und Antwort zu stehen, allen, die mich danach fragen (1 Petr 3,15).