Schmuckband Kreuzgang

Nicht nur Erntedank

Rundbrief Nr. 27

Predigerin beim Patronatasfest (c) rüdiger torner
Predigerin beim Patronatasfest
Datum:
Fr. 25. Sep. 2020
Von:
Winfried Hommel

Liebe Interessierte,
gerade ist der neue Pfarrbrief für Oktober/November erschienen - der Rundbrief bringt das Aktuelle für die Woche.
Ihnen allen eine gute Zeit.
Winfried Hommel

 

Hinweis aus dem Rundbrief: hier die Predigt zum Patronatsfest:
Gottesdienst anlässlich des Patronatsfestes am 22. Juli 2020
Katholische Pfarrei Sankt Maria Magdalena Friesenheim-Undenheim-Weinolsheim
Lesung: Aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther
Der eine Geist und die vielen Gaben: 1 Kor 12, 4-11
Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.
Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn.
Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen.
Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.
Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem anderen durch
denselben Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, einem anderen in demselben Geist
Glaubenskraft, einem anderen - immer in dem einen Geist - die Gabe, Krankheiten zu
heilen, einem anderen Kräfte, Machttaten zu wirken, einem anderen prophetisches Reden,
einem anderen die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden, wieder einem anderen
verschiedene Arten von Zungenrede, einem anderen schließlich die Gabe, sie zu
übersetzen. Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere
Gabe zu, wie er will.
Evangelium: Das leere Grab: Joh 20, 1-2; 11-18
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war,
zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.
Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte
zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin
sie ihn gelegt haben. (…)
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich
in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen
dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten.
Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen
Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.
Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht,
dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie
meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag
mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.
Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm:
Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch
nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe
hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.
Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn
gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.


Predigt:
Guten Abend liebe Schwestern und liebe Brüder!
Ich freue mich sehr, dass ich heute anlässlich unseres Gemeinde-Patroziniums zu Ihnen
sprechen darf und danke meinem Pastoralteam für das mir hiermit entgegengebrachte
Vertrauen.
„Was mache ich eigentlich hier? Habe ich hierfür das nötige Talent?“ Wann haben Sie sich
Fragen wie diese das letzte Mal gestellt? Und – wüssten Sie spontan eine Antwort darauf?
Als junge Abiturientin war ich fest entschlossen, an meinem Gymnasium einen
Abschlussgottesdienst auf die Beine zu stellen. Und da kein Seelsorger für die Leitung zur
Verfügung stand übernahm ich die Predigt. Vor der bunten Festgemeinde sinnierte ich
über das „Gleichnis über die anvertrauten Talente“1, das ich damals selbst ausgewählt
hatte. Die fleißigen Diener in der Geschichte bemühen sich, ihre Silbertalente zu mehren,
und erhalten dafür Lohn und Zuspruch ihres erfreuten Herrn. Nur einer vergräbt ängstlich
und mutlos sein Talent in der Erde und bleibt enttäuscht und mit leeren Händen zurück.
Anderen von meinem Glauben erzählen und sie dafür begeistern – das ist mein Talent,
dachte ich. Nur ein halbes Jahr später begann ich hochmotiviert mein Theologie-Studium
– und landete schmerzhaft auf dem harten Boden der katholischen Realität.
In Dogmatik erfuhr ich, dass das, was ich tatsächlich in meiner jugendlichen Naivität im
Abiturgottesdienst für eine echte Predigt gehalten hatte, lediglich als „Ansprache“
bezeichnet werden dürfe.
Ich lernte: Irgendwann hatten einige Kirchenleute wohl die Idee gehabt, den Begriff
„Predigt“ für geweihte Männer patentieren zu lassen. Ich war also diesbezüglich ganz klar
außen vor.
In Liturgiewissenschaften musste ich erfahren, dass ich in einer „normalen“ Messe nur
eingeschränkt und an bestimmten Stellen zur Gemeinde sprechen durfte. Ich wäre ja
schließlich „nur ein Laie“.
Ich lernte: Reihenfolge ist Rangfolge. Und ich stand eindeutig am unteren Ende der
Gebetskette.
Im Fach Neues Testament wurde mir erklärt, dass das Verkünden von Lesungstexten aus
dem zweiten Teil der Heiligen Schrift zwar im Rahmen des Lektorendienstes durchaus
auch Frauen zugestanden wurde. Das geistbegabte Sprechen über Texte aus den
Evangelien sei jedoch in erster Linie dem würdig geweihten männlichen Kirchenpersonal
vorbehalten.
Ich lernte: Der Geist ist willig, aber die Frau ist schwach. Und nach Klärung der
Geschlechterfrage interessierte in diesem Punkt auch niemanden in der Kirche mein
kreatives Potenzial oder die Qualität meines Verkündigungs-Charismas.
In Kirchenrecht musste ich mich schließlich darüber belehren lassen, gegen wie viele
Vorschriften ich mit meinem freidenkerischen Auftreten als junge Abiturientin wohl mutwillig
verstoßen hatte. Wie eitel von mir, zu glauben, dass ich einfach mal eben die Frohe
Botschaft verkünden dürfe, wie es mir der Geist eingab.
Ich lernte: nur (Zitat) "wenn das unter bestimmten Umständen notwendig oder in
Einzelfällen als nützlich angeraten ist" (Zitatende) sei überhaupt eine Schriftauslegung von
mir als Laie gestattet. Und dabei las ich doch parallel dazu voll Erstaunen in Canon 211
des Codex iuris Canonici: „Alle Christen sind verpflichtet, zur Verbreitung der göttlichen
Heilsbotschaft beizutragen.“. Das widersprach den Gesetzen der Logik, fand ich…
1Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten Silbergeld: Mt 25,14–25
Je länger mein Studium andauerte, desto größer wurde meine Verwunderung über viele
Dinge in der Kirche, deren Begründung sich dem modernen Menschenverstand überhaupt
nicht erschlossen. Aber ganz besonders nahm ich immer wieder Anstoß daran, dass mir
von vorneherein eine geringere oder gar keine Kompetenz für bestimmte Dienste in der
Kirche zugesprochen wurde – bloß, weil ich ein Laie und dazu leider noch eine Frau bin.
Das Verwirrendste war für mich, dass die meisten Dozenten und viele meiner Mitstudierenden
angesichts dieser kirchlichen Weisungen genauso unzufrieden waren wie
ich. Und trotzdem hielten all diese klugen Christen diese emotionalen und rationalen
Widersprüche aus. Kaum einer zeigte den Mut durch öffentlich wirksames Aufbegehren
auf die internen Spannungen aufmerksam zu machen.
Vielleicht haben auch Sie in Ihren Erfahrungen mit der Kirche bereits ähnlich
widerstreitende Gefühle in sich gespürt wie ich damals? Vielleicht haben Sie sogar
Schritte unternommen, um Ihren Unmut kundzutun oder Dinge in einer Gemeinde
anzusprechen, die es Ihrer Meinung nach zu verändern gäbe? Vielleicht hatten Sie das
Glück, dass Ihre Seelsorger Sie ernst genommen haben, oder mussten umgekehrt
erfahren, wie es ist, nicht gehört zu werden?
Als Studentin wuchs jedenfalls mein Frust über viele Ungereimtheiten in der Theologie
mehr und mehr. Und trotzdem war ich fest überzeugt, dass es doch anders gehen muss.
Als ich im Hauptstudium freiwillig den Hebräischkurs besuchte, weil ich den Ehrgeiz besaß
meine Hausarbeit im Fach Altes Testament sprachlich adäquat zu verfassen, fragte mich
einer der Priesteramtskandidaten empört, was ich denn dort zu suchen habe – als
angehende Lehrerin bräuchte ich das ja gar nicht. Ich konterte daraufhin seinen
herablassenden Kommentar mit einem aussagekräftigen Prüfungsergebnis.
Mehr aus Protest denn aus Interesse wählte ich zudem Kirchenrecht als Prüfungsfach. Ich
hatte zu oft die Erfahrung gemacht, dass ich in manchen katholischen Kreisen nur dann
ernst genommen wurde, wenn ich die Wissenschaft der kirchlichen Vorschriften besser
beherrschte als alle anderen.
Am Ende meines Studiums war ich regelrecht dressiert auf die erfolgreiche Verteidigung
meines persönlichen Glaubensstandpunkts. Mühelos konterte ich theologische
Anfeindungen von außen, sowie aus den eigenen Reihen, auf hohem intellektuellem
Niveau.
Und gleichzeitig fühlte ich zunehmend eine spirituelle Leere und eine tiefe Traurigkeit.
War mir meine jugendliche Begeisterung für die „Sache Jesu“ abhanden gekommen?
Ging es denn am Ende in der Theologie nur um Rechthaberei und Macht?
Würde ich die unbegreiflichen Widersprüche in der Kirche als emanzipierte Frau mein
Leben lang aushalten können?
Möglicherweise fragen Sie sich jetzt, warum ich Ihnen ausgerechnet am Patronatsfest von
Maria Magdalena von diesem sehr persönlichen Zeugnis und einigen meiner eher
unangenehmen Erfahrungen erzählt habe.
Wenn ich an Maria Magdalena denke, dann fällt mir zunächst ein, dass wir über sie, wie
bei den meisten biblischen Frauenfiguren, leider viel zu wenig wissen. Um ihr Leben
ranken sich zahlreiche Legenden. Aber ganz unbestritten ist in allen Konfessionen ihre
bedeutsame Rolle in den Tagen der Passion und um das Ostergeschehen.
Diese Frau ist für mich Sinnbild für das, was viele andere Frauen in der Nachfolge Jesu
seit je her waren: unbeirrbare, friedliche, und meist wenig beachtete Kämpferinnen für das
Gute im Namen Gottes.
Maria von Magdala hat – im Gegensatz zu vielen männlichen Jüngern Jesu – in dessen
schmerzlichsten Momenten treu zum ihrem Herrn gestanden, obwohl sie als Frau schon
per se eine schwache Position in der damaligen Gesellschaft hatte und sich durch ihre
öffentlich gezeigte Zuwendung selbst großer Gefahr aussetzte.
Sie wird als Frau mehrfach namentlich in der Bibel erwähnt – entgegen aller literarischen
Trends der damaligen Zeit. Wie viele andere Theologen bin ich absolut überzeugt, dass
alleine dieses Zugeständnis in der männerdominierten Überlieferung rechtfertigt, dass
Maria von Magdala von den Kirchenvätern ehrenvoll als „Apostelin der Apostel“ tituliert
wurde.
Oft schon habe ich mich gefragt, was sie selbst wohl darüber gedacht haben mag, wie die
Männer in ihrem Umfeld zu Jesu Lebzeiten und darüber hinaus mit ihr umgegangen sind...
Im Rahmen meines Engagements bei der Reformbewegung Maria 2.0 ist mir noch stärker
bewusst geworden, wie wichtig es ist, dass wir in der Kirche einander respektvoll und auf
Augenhöhe begegnen. Das gilt sowohl für die Beziehungen zwischen Frauen und
Männern, als auch zwischen Laien und Geweihten. Kein Dogma und keine
kirchenrechtliche Verordnung kann so wichtig sein, dass sie sich zwischen Menschen
stellen, die doch eigentlich von sich selbst sagen möchten, dass sie Gott und der
Gemeinde ehrlich dienen und einander nach Jesu Vorbild liebend zugewandt sein wollen.
Gerade Jesus hat es uns doch vorgemacht: Selbst seine engsten Vertrauten hat er mit
seiner Haltung gegenüber Menschen, die am Rande der damaligen Gesellschaft standen,
überrascht. Und Frauen gehörten bei ihm ganz oben auf die Liste derjenigen, deren
Ansehen er als gottgewollt wertvoll emporhob.
Jesus hat Frauen wie Maria Magdalena bewusst als Gesprächspartnerinnen aufgesucht,
empfangen, vom Boden aufgerichtet und ermutigt. Er hat sie genauso achtungsvoll
behandelt wie die Männer, die ihm gefolgt sind.
Wie in Gottes Namen konnten die nachfolgenden Männergenerationen in der Kirche das
über die Jahrhunderte nur so erfolgreich verdrängen?
Ja, ich begehre laut auf auf gegen Ämterungerechtigkeit, gegen mangelnde Toleranz bei
Andersgläubigen und „Andersfühlenden“, sowie gegen fehlende Gleichberechtigung in
jeder Hinsicht!
Es gibt vieles, das mir in der Kirche als Großinstitution widerstrebt, vieles, das mich
entsetzt und traurig macht, vieles, wo ich mich diskriminiert und ausgeschlossen fühle.
Wenn jedoch Glaube, Hoffnung und Liebe die Pfeiler meines christlichen Handelns sein
sollen, dann darf mich dieser berechtigte Zorn über die Amtskirche nicht auffressen.
Ich will angesichts dieser institutionellen Ärgernisse meine von Gott gegebenen Talente
nicht einfach frustriert begraben, so wie es der verzagte letzte Diener im Bibelgleichnis tut.
Wenn ich meine Talente aktiv und zum Wohle vieler einsetze, dann kann ich ein Stück weit
das erreichen, was die Reformbewegung Maria 2.0 schaffen möchte:
In den Fokus rücken, was nach Jesu Willen Wesentlich sein sollte.
Dienen statt Ämter bekleiden, Handeln statt Reden.
Für mich persönlich bedeutet die Bewegung Maria 2.0: Selbstbewusst und laut weibliche
Präsenz zeigen, in Bescheidenheit vor Gott, aber nicht kopflos-unterwürfig vor kirchlichen
Patriarchen dienen. Nicht einfach still schweigen darüber, was mich als katholische
Christin beschäftigt. Anlässe wie diesen Festgottesdienst nutzen, um mit meiner Haltung
Diskussionen zu entfachen und Anlässe für konstruktive Gespräche zu schaffen.
An dieser Stelle möchte ich meinen großen Dank und Respekt allen starken Frauen und
Männern aussprechen, die sich im Sinne der Bewegung Maria 2.0 engagieren. Ich bin
sehr froh, dass einige von ihnen heute sogar extra meiner Einladung hierher gefolgt sind.
Durch Maria 2.0 gab es im Mai 2019 eine bundesweite Streikwoche, in der alle
Katholikinnen aufgefordert waren, sieben Tage lang ihre Ehrenämter ruhen zu lassen, um
auf die essentielle Bedeutung der Frauenrolle für das Miteinander in der Kirche
hinzuweisen. Statistisch gesehen werden über 70% aller unbezahlten Dienste in einer
Pfarrei von Frauen getragen. Alleine unsere Musikproben bei Cantemus2 zeigen: Ohne
uns Frauen säße unser Chorleiter leider manchmal ganz alleine in der Probe…
Die „Corona-Zeit“ hat nun vielen Kirchengemeinden sehr drastisch gezeigt, dass
besonders das erzwungenermaßen ausbleibende Ehrenamt all dieser engagierten
Menschen die Pfarreien auf Dauer zum völligen Stillstand bringen kann.
Wer kümmert sich jetzt eigentlich um die Senioren, deren Wochentreff nicht mehr
stattfinden darf? Wer fragt auf der Straße oder in der Nachbarschaft nach den
enttäuschten Kommunionkindern, die ihr Sakrament nicht feiern konnten? Wer stellte den
Kontakt zu möglicherweise auch kirchenfernen Menschen her, die durch den
Büchereibesuch sonst wenigstens auf diese Weise ein bisschen von der Gemeinde
spüren durften? Es gäbe noch unzählig mehr solcher Beispiele zu nennen…
Die Frage ist also: Wie können wir ein Bewusstsein schaffen für die, die die Gemeinde
zusammenhalten, nämlich die unzähligen Frauen und Männer, die keine Weihe brauchen
um wirkungsvoll diakonisch und im ureigensten Sinn sakramental zu handeln; die das
Gebot der Demut als Alltagshelden längst verinnerlicht haben, weil sie all das im Stillen
umsetzen, was die Kirche Gutes predigt, wo sie selbst aber häufig institutionell versagt.
Wie ist es wohl damals den Frauen um Jesus ergangen? Ob sie auch gewagt haben zu
hinterfragen, ob ihr Dienst, den sie für Jesus und die Jüngerschar leisteten, genug
Würdigung erfahren hat? Ich denke da spontan an die Schwestern des Lazarus, Maria und
besonders Martha, die Jesus und seine Freunde mit ihrer Gastfreundschaft ganz
selbstverständlich unterstützten.
Wissen Sie eigentlich, was der Name „Mirjam“, also die hebräische Variante von „Maria“,
bedeutet? Es gibt spannenderweise sehr unterschiedliche Übersetzungsvarianten.
Traditionell stellen besonders Kirchenmänner beispielsweise bei der Gottesmutter gerne
die Begriffe „die Erhabene“, „die Schöne“ oder „die von Gott Geschenkte“ in den Fokus.
Das passt ja auch. Rein und vollkommen soll sie sein, die Maria, so wird es uns von
Kindesbeinen an als Katholiken beigebracht.
Rein, vollkommen, und am besten schweigend!
Meine Lieblingsdeutung, mit der ich mich in Bezug auf meinen eigenen Namen am besten
identifizieren kann, lautet ganz anders: Mirjam ist „die Widerspenstige“.
2 Chorgemeinschaft der Pfarrei Sankt Maria Magdalena Rheinhessen
„Meine“ widerspenstige Mirjam musste sich als Frau mitunter gegen ihre Brüder Mose und
Aaron behaupten. Laut und kräftig, so überliefert es das Buch Exodus, hat die Prophetin
Mirjam „auf die Pauke hauend“ das Volk Israel aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt.
Die widerspenstige Mirjam von Magdala ist für mich als „erste Zeugin der Auferstehung“
besonders die Frau, die allen Widerständen zum Trotz Jesus nachgefolgt und unbeirrt
ihren Glaubensweg gegangen ist.
Diese widerspenstige Mirjam hat plötzlich Jesu Füße gesalbt, völlig unvorbereitet für alle
dabei Anwesenden. Sie hat sich in diesem Moment nicht um gesellschaftliche
Konventionen geschert und schon gar nicht um die Meinung der Männer, die sie dafür
verurteilten und die letztlich von Jesus sogar wegen ihrer Kritik an ihr zurechtgewiesen
wurden.
Diese widerspenstige Mirjam hielt es am Ostermorgen auch überhaupt nicht für nötig,
Petrus, Jakobus oder die anderen Jünger angesichts der gefährlichen Lage zuvor erst um
Erlaubnis zu bitten zum Grab gehen zu dürfen. Vielleicht hat sie dazu auch etwas absolut
Historisches gesagt! Nur hat das der Evangelist, weil sie ja bloß eine Frau war, nicht für
wichtig genug gehalten, um es aufzuschreiben. So einen Satz wie: „Hier gehe ich, ich
kann nicht anders.“ Und dann hat sie es einfach getan und ist zu ihrem Herrn gegangen.
Zu Beginn habe ich Sie gefragt, zu überlegen, wo Sie Ihre Talente sehen.
Weniger eine Antwort als vielmehr eine Aufforderung an uns alle finden wir in den
paulinischen Briefen (1 Kor 12):
„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. (...) einem jeden teilt er
seine besondere Gabe zu, wie er will.“
Wir alle sind Begabte, Geist-Begabte! Bitte teilen Sie Ihre Gnadengaben mit uns anderen!
Ich bin sicher, wir werden uns im Sinne des Gleichnisses von Jesus mit unseren Talenten
in der Kirche von Heute und Morgen gegenseitig reich beschenken.
So. Was mache ich eigentlich hier? Habe ich hierfür das nötige Talent?
Vielleicht haben Sie mich kürzlich einmal als Kantorin in der Kirche singen hören.
Möglicherweise wundert es Sie, wenn ich Ihnen an dieser Stelle mitteile, dass ich niemals
in meinem Leben eine professionelle Gesangsausbildung erhalten habe. Kantorin ist nicht
mein Beruf – aber vielleicht ist es meine Berufung?
Nennen Sie es, wie Sie wollen: Berufung! Talent! Gnadengabe! Charisma!
Ist so eine Unterscheidung denn überhaupt wichtig?
Und ich möchte es in diesem Punkt auch ganz bewusst ökumenisch verstanden haben,
wenn ich Sie frage: Wollen wir als Christen nicht als „vor Gott Gleiche“ auch
gleichberechtigt für die „Sache Jesu“ begeistern?
Ich werde Sie abschließend nicht überraschen, wenn ich Ihnen verrate, dass ich am Ende
meines Theologiestudiums keine Priesterweihe empfangen habe.
Aber ob Sie es jetzt glauben wollen oder nicht:
Widerspenstig und mutig, wie es vielleicht auch eine Mirjam von Magdala getan hätte,
habe ich Ihnen doch gerade tatsächlich eine Predigt gehalten….
Undenheim am 22. Juli 2020, Fest der Heiligen Mirjam von Magdala
© Mirjam Elisabeth Heider