Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 29. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
So. 17. Okt. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 29. Sonntag im Jahreskreis 2021

Zur 1. Lesung (Jes 53, 10-11)

Gemäß dem heutigen Evangelium ist als erste Lesung ein Abschnitt aus dem Propheten Jésaja genommen, und zwar aus dem vierten Lied vom sogenannten „Gottesknecht“ (vgl. 24. Sonntag im Jahreskreis), dessen vollständiger Text (Jes 52, 13 – 53, 12) an Karfreitag gelesen wird – weil die Christen ihn seit der Passion und Auferstehung Jesu mit ihm identifizieren.

Lesung aus dem Buch Jésaja:

„Der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen. Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.“

Zur 2. Lesung (Hebr 4, 14-16)

Der „Hohepriester“ war die Bezeichnung für das höchste religiöse Amt im nachexilischen Israel (d.h. ab dem 5. Jh. v. Chr.). Er wurde auf Lebenszeit bestimmt (vgl. auch Hebr 5, 1.5), sollte sich durch außergewöhnliche Heiligkeit auszeichnen (vgl. Lev 21, 10-15) und brachte jeden Tag im Tempel das Opfer dar (vgl. Ex 29, 42). Am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur (= Versöhnungstag) durfte er als einziger das Allerheiligste des Tempels betreten und empfing dort stellvertretend für das ganze Volk die Vergebung Gottes (vgl. Lev 16). Er war somit der Mittler zwischen Gott und dem Volk Israel. Auf Grund dieser Bedeutung wird für die Christen Jesus Christus zu dem eigentlichen und ewigen Hohepriester (vgl. Hebr 2, 17; 7, 22-28; 8, 1; 9, 11), was im Neuen Testament nur der Hebräerbrief so und ausführlich darlegt.

Lesung aus dem Hebräerbrief:

Liebe Schwestern und Brüder, „da wir nun einen erhabenen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten. Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat. Lasst uns also voll Zuversicht hingehen zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus (Mk 10, 35-45)

In jener Zeit „traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen. Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Liebe Schwestern und Brüder,

welche besondere Stellung möchte Sie denn einnehmen oder haben Sie schon? – Ich glaube, es gehört zu unserem Wesen dazu, dass wir ein Leben lang auch auf der Suche nach Bedeutung(en) sind. Und warum auch nicht?! Da wir zutiefst Beziehungswesen sind, lässt es sich ja gar nicht anders erleben, dass mit Beziehungen auch untrennbar Bedeutungen verbunden sind – die Frage ist, welche? Daher ist es umso menschlicher und nachvollziehbarer, dass auch Jakobus und Johannes sich diese Frage in Bezug auf Jesus und seine engsten Vertrauten stellen – und wie schön, dass uns auch so etwas überliefert ist. Was vielleicht ein wenig stutzig macht – wahrscheinlich sind die anderen Apostel deswegen auch so empört (vgl. Vers 41): Jakobus und Johannes fragen nicht nach ihrer Bedeutung, sie schlagen sie vor: „Lass uns in deinem Reich rechts und links neben dir sitzen“ (vgl. Vers 37)! Um den Hintergrund dazu und die möglichen Beweggründe besser zu verstehen, müssen wir näher hinschauen, was wir von Jakobus und Johannes wissen: Sie sind wie ihr Vater Fischer und gehören nach Simon und seinem Bruder Andreas zu den ersten Jüngern Jesu (vgl. Mk 1, 16-20; Mt 4, 18-22; Lk 5, 9). Dass sie wohl (generell) ein recht ungestümes Auftreten haben (vgl. auch Lk 9, 54), bringt ihnen von Jesus den Beinamen „Donnersöhne“ (Mk 3, 17) ein. Sie sind nach und mit Petrus die engsten Vertrauten Jesu und als solche in ganz besonderen Momenten mit Jesus alleine, z.B. bei der Auferweckung der Tochter des Jairus (vgl. Mk 5, 37), bei der Verklärung Jesu (vgl. Lk 9, 28) und im Garten Getsemani (vgl. Mk 14, 33). Nach dem Tod und er Auferstehung Jesu leiten sie als die „Säulen“ (Gal 2, 9) die Urgemeinde in Jerusalem. – Und was haben sie bisher (wenn wir versuchen, anhand des Evangeliums ihre bisherigen Erfahrungen chronologisch zu rekonstruieren) mit und durch Jesus erlebt? Heilungen, Heilungen, Heilungen, Berufungen, Gleichnisse, Wunder, die „Verklärung Jesu“ (vgl. Mk 9, 2-10), aber bisher auch schon zwei Mal Ankündigungen Jesu (vgl. Mk 8, 31; 9, 31), dass er für seine Überzeugung und Botschaft mit seinem Leben bezahle werde. Da die Apostel das (eigentlich bis zur Erfahrung der Auferstehung) nicht verstehen (vgl. Mk 9, 32), ist es doch durchaus nachvollziehbar, dass zwei seiner engsten Wegbegleiter gerne dauerhaft „in der ersten Reihe sitzen“ bzw. bleiben möchten. Aber was das dauerhaft bedeutet, da kann Jesus seinen Jüngern nur prophezeien, dass sie – obwohl sie das noch gar nicht richtig abschätzen können – letztendlich [durch Ostern!] die Kraft und Gnade Gottes dafür bekommen werden. Wer jedoch tat-sächlich an der Seite Jesu bleiben will, der muss heute und in jeder Situation das Reich Gottes, d.h. die Liebe Gottes, verwirklichen: „Bei euch aber soll es nicht so sein“ (Vers 43), sagt Jesus: „Ihr sollt Euch durch Eure Fähigkeiten und Bedeutungen eben nicht über Menschen erheben und Macht über sie ausüben, im Gegenteil“: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Vers 43f). Na, ob das noch so verlockend ist? Wer will das denn? Irgendwie wollen wir doch wohl alle an erster Stelle stehen, und ist es nicht tatsächlich schöner, das Essen gebracht zu bekommen, als es anderen zu bringen o.ä.?! Mag sein, aber die eigentliche Frage dahinter ist, bei welchen Menschen wir uns am wohlsten fühlen, bei denen, die ihre Ellbogen einsetzen, oder bei denen, die wirklich und von Herzen etwas für andere tun. Ich glaube, die Menschen, die aufmerksam für andere sind, die Rücksicht nehmen, die sensibel, achtsam und respektvoll sind, das sind Menschen, die einem guttun, weil sie Gutes tun. Doch dieses Gute-in-die-Welt-Bringen vollzieht sich (immer) im „Dienen“, anders wird es nicht gehen, und jeder, der liebt, fühlt das und weiß das! Denn dafür muss der Andere und sein Wohlergehen mindestens genauso wichtig sein wie ich mir selbst. Das kann man aber nur leben und durchhalten, wenn man davon sein „Glück“, seine Bedeutung, seine Erfüllung abhängig macht! Jesus hat sein ganzes Leben so gewirkt! Stellen Sie sich mal vor, wir würden das nicht nur mit unseren Lieben so machen, sondern (noch mehr) auch mit anderen Menschen, und stellen Sie sich vor, dass Menschen „Kirche“ so erfahren würden, dass sie zuerst und zuletzt „dient“ (vgl. Vers 43f)?!