Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 30. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
So. 24. Okt. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 30. Sonntag im Jahreskreis 2021

Zur 1. Lesung (Jer 31, 7-9)

Jeremia gehört zu den vier „großen“ Propheten des Alten Testaments und lebt wohl etwa 50 Jahre vor der Babylonischen Gefangenschaft Israels (586-539 v. Chr., vgl. 2 Kön 25, 8-21), als Jerusalem dann vom babylonischen König Nebukadnezzar II. erobert, der Tempel zerstört und die jüdische Oberschicht nach Babylon deportiert wird. Jeremia warnt v.a. (den judäischen König, aber auch das Volk) vor dieser Babylonischen Bedrohung (bis Kapitel 30), verheißt aber auch die heilende Rettung Gottes (ab Kapitel 30), die so kraftvoll sein wird, dass sogar die Schwächsten im Volk (Blinde, Lahme, Schwangere und Wöchnerinnen, vgl. Vers 8b) getröstet, gestärkt und wieder in die sichere Heimat geführt werden. Im heutigen Abschnitt richten sich Jeremias Trostworte zunächst noch an das Nordreich Israel (vgl. Vers 8a, auch kurz „Éfraim“ genannt, vgl. Vers 9c), das seit der Reichsteilung 926 v. Chr. (nach dem Tod König Salomos) vom Südreich Juda getrennt ist und 722 v. Chr. durch den assyrischen König erobert wurde. Dort ist schon das geschehen, was sich 586 v. Chr. im Südreich wiederholen wird (und wovor Jeremia warnt): Nicht nur die Zerstörung von Tempel, Hauptstadt und Eigenständigkeit, sondern auch die Verschleppung großer Bevölkerungsteile in die Ferne. Aber Gott wird alle seine Kinder (vgl. Vers 9c) sammeln und wieder in die sichere Heimat führen.

Lesung aus dem Buch Jeremia:

„So spricht der Herr: Jubelt Jakob voll Freude zu und jauchzt über das Haupt der Völker! Verkündet, lobsingt und sagt: Der Herr hat sein Volk gerettet, den Rest Israels. Seht, ich bringe sie heim aus dem Nordland und sammle sie von den Enden der Erde, darunter Blinde und Lahme, Schwangere und Wöchnerinnen; als große Gemeinde kehren sie hierher zurück. Weinend kommen sie und tröstend geleite ich sie. Ich führe sie an Wasser führende Bäche, auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln. Denn ich bin Israels Vater und Efraim ist mein erstgeborener Sohn.“

Zur 2. Lesung (Hebr 5, 1-6)

Auf zwei wichtige „Priester“ im Alten Testament nimmt der heutige Abschnitt aus dem Hebräerbrief Bezug: Aaron ist der ältere Bruder Mose (vgl. Ex 4, 14), durch ihn wird Aaron das erbliche Amt des Hohepriesters übertragen (vgl. Lev 9, 7; Ex 29, 29). Melchisedek (Priester und König von Jerusalem, vgl. auch Ps 110, 4) hat deswegen eine so wichtige Bedeutung, weil er der erste im Alten Testament erwähnte Priester ist, und er bringt Abra(ha)m – nicht wie sonst wohl zu dieser Zeit üblich – nicht das Fleisch von Opfertieren zur Begrüßung (vor die Tore der Stadt) heraus, sondern Brot und Wein (vgl. Gen 14, 18). Besonders der Hebräerbrief verweist (auch damit) auf den einzig wahren und ewigen Hohepriester Jesus Christus, den Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Lesung aus dem Hebräerbrief:

Liebe Schwestern und Brüder, „jeder Hohepriester wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. Er ist fähig, für die Unwissenden und Irrenden Verständnis aufzubringen, da auch er der Schwachheit unterworfen ist; deshalb muss er für sich selbst ebenso wie für das Volk Sündopfer darbringen. Und keiner nimmt sich eigenmächtig diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron. So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde eines Hohenpriesters verliehen, sondern der, der zu ihm gesprochen hat: Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt, wie er auch an anderer Stelle sagt: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus (Mk 10, 46-52)

In jener Zeit, „als Jesus mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jéricho wieder verließ, saß an der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele wurden ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können. Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.“

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie kennen sicherlich dieses Gedankenspiel: Wenn die gute Fee kommen würde und Sie hätten drei Wünsche frei, welche wären das (ganz ehrlich!) für Sie? – Geld, Gesundheit und langes Leben, nicht nur für Sie, sondern auch für Ihre Lieben? Ich finde das durchaus verständlich, dass wir uns danach sehnen. Aber diese Sehnsüchte sind doch zu pauschal und deswegen auch illusorisch. Ich finde, viel spannender wird es, wenn wir in unserer persönlichen Lebens- und Alltagssituation angesprochen werden, wobei uns jemand helfen könnte? Da sind wir dann schon bei dem, was wir gerade von Jesus und Bartimäus gehört haben. Es ist übrigens die letzte Heilungsgeschichte im Markus-Evangelium (und somit die wichtigste?). Jesus ist auf seinem Weg nach Jerusalem und auf seiner letzten Station

Jericho findet diese Begegnung mit dem blinden Bettler statt. Eine Woche später wird Jesus schon verurteilt und auf dem Weg zu seiner Kreuzigung sein. Aber das wissen zu diesem Zeitpunkt weder Bartimäus noch die Jünger Jesu. Bartimäus sitzt also am Straßenrand und wartet, dass ihm die Pilger auf ihrem Weg nach Jerusalem Almosen geben. Als er aber hört, dass Jesus vorbeikommt, bricht es aus ihm heraus: Wenn dieser Jesus der Messias ist, dann muss doch die Zeit anbrechen, in der die Verheißungen in Erfüllung gehen, in der Lahme wieder gehen und die Blinden wieder sehen können. Auf ihn will sich Bartimäus ganz verlassen, er ist die große Chance seines Lebens, vielleicht die letzte Chance für ein neues Leben. Also schreit er – auch gegen den Widerstand der Leute – nach Jesus. Jesus hört ihn und lässt ihn zu sich rufen – warum macht er das nicht selbst? Ich glaube, schon darin liegt eine tiefe Bedeutung: Jesus braucht Menschen, die sich für seine Zuwendung offenhalten, die es weitersagen: „Hab keine Angst, er ruft dich!“ Nachdem so eine beiderseitige Verbindung hergestellt ist, kommt es jetzt auf Bartimäus an: Wie stark wird sein Glaube und seine Sehnsucht sein? Sie sind so stark, dass er das weglässt, das hinter sich lässt, was er bisher gebraucht hat, um sich zu schützen, seinen Mantel? Dieser Mantel ist ihm Schutz vor der Kälte in der Nacht und vor der Sonne am Tag, nur mit diesem Mantel konnte er überleben. Doch wenn er ein neues Leben wagen will, kann und darf er den alten Schutz für das alte Leben nicht mitnehmen! So springt er auf in (der Hoffnung auf) ein neues Leben – und was er in seinem neuen Alltag braucht, wird sich dann schon zeigen. So stehen sie sich jetzt gegenüber, auf Sichthöhe, aber ohne Sichtkontakt. Noch nicht einmal die Stimme Jesu kennt Bartimäus, hat er doch bisher nur von ihm und nicht ihn gehört, er vertraut ihm als buchstäblich blind. Und dann fragt die ihm unbekannte Stimme eines ihm unbekannten Menschen, auf den Bartimäus seine ganze Hoffnung setzt: „Was soll ich Dir tun?“ (Vers 51) – warum? Es ist doch klar, was der Blinde braucht und will. Sicher, aber Bartimäus muss es aussprechen! Er muss (buchstäblich) dazu stehen und er muss es sagen. Neue Freiheiten können sich nur verwirklichen, wenn die Entscheidung dafür klar benannt wird: „Das will ich, und dafür setze ich alles ein!“ Und durch dieses Vertrauen in sich und in den, der helfen will, öffnen sich seine Augen für das, was er so sehr ersehnt.

Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht können wir an der Bartimäus-Erzählung am besten ablesen,

wie Heilung im Sinne Jesu geschieht. Ich finde sieben einzelne Schritte, die Not-wendig sind:

  1. Sich nach Heilung sehnen!
  2. Auch gegen Widerstände nicht aufgeben!
  3. Bisherigen Schutz / Sicherheiten aufgeben!
  4. In Bewegung kommen / alte Positionen verlassen!
  5. Zu den Sehnsüchten stehen!
  6. Ziele konkret formulieren!
  7. Auf dem neuen, guten Weg bleiben!