Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Jungs Wort zum 13. Sonntag im Jahreskreis

Datum:
Sa. 27. Juni 2020
Von:
Pfarrer Ulrich Jung

Liebe Mitchristen,

nach 14 Jahren und 10 Monaten endet jetzt mein Dienst als Pfarrer in Drais und Lerchenberg. Fast jeden Sonntag habe ich in diesen Jahren versucht, vom „Wort Gottes“ im Alten und Neuen Testament eine Brücke zu bauen in unsere Zeit und unsere Lebenssituation.

Die Predigt, überhaupt die Verkündigung, ist ein Teil der Seelsorge. Im Grunde geht es in jeder Seelsorge darum, Brücken zu bauen. Brücken in einem Menschen: zwischen Angst und Hoffnung, zwischen Ratlosigkeit und einer neuen Perspektive, zwischen Einsamkeit und Geborgenheit. Und Brücken zu bauen zwischen Menschen.

Es geht darum,  so Brücken zu bauen, dass dahinter die große Brücke zu Gott sichtbar wird: dass es immer eine Verbindung gibt von Gott zu uns, von uns zu Gott. Dass wir – obwohl es oft so aussieht – nicht allein sind. Die größte, wichtigste und im Grunde auch einzige Aufgabe von Seelsorge ist es, Menschen zu sagen: „Du bist von Gott geliebt“ – und zwar in ganz unterschiedlichen Situationen und in ganz vielen Variationen.

Die Aufgabe von Seelsorge ist, Menschen spüren zu lassen, dass es in ihrer Seele, in ihrem tiefsten Innern längst schon eine Brücke, eine Verbindung, eine Beziehung zu Gott gibt, auch wenn sie diese vielleicht lange Zeit gar nicht wahrnehmen und gar nicht glauben können. Jesus, der größte Seelsorger, der Seelsorger schlechthin, hat das mit den Worten ausgedrückt: „Das Reich Gottes ist nahe! Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1, 15) In diesem kurzen, programmatischen Satz steckt im Grunde alles drin: Das Reich Gottes ist nahe! Gott ist dir nahe! Aber das siehst du nur und verstehst du nur, wenn du umkehrst! Wenn du neu denken lernst, nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen. Es ist wie eine Gratwanderung:  die göttliche Botschaft „Gott ist dir nahe“ (oder eben, was dasselbe ist, „Gott liebt dich“) kannst du nur annehmen, wenn du die Spannung aushältst zwischen zwei falschen rein menschlichen Alternativen.

Die eine falsche Alternative  - altgedienten guten Katholiken sehr vertraut – ist:

Du wirst von Gott nur geliebt, wenn du alle seine Gebote beachtest, wenn du immer brav und anständig bist. Man könnte das den einseitigen  Blick nach „rechts“ nennen. Da fehlt das Grundvertrauen in die bedingungslose Liebe Gottes. Da bin ich in Gefahr zu meinen, ich könnte oder müsste mir die Liebe Gottes verdienen. Und das funktioniert nicht.

Die andere falsche Alternative ist eher bei modern und liberal denkenden Menschen verbreitet: Du bist o.k. so wie du bist. Gott liebt dich doch, egal, wie du lebst. Das könnte man als den einseitigen Blick nach „links“ bezeichnen.  Da fehlt der Ansporn, innerlich zu wachsen, hineinzuwachsen in das Bild, das Gott schon immer von mir hat (und das nicht identisch ist mit dem Bild, das ich jetzt abgebe!). Diese Alternative funktioniert ebenfalls nicht, weil ich ja im Grunde weiß, dass ich nicht o.k. bin, dass ich – altmodisch und traditionell gesprochen – ein Sünder bin.

Beide Alternativen sind zu menschlich, allzu menschlich gedacht….

Das Göttliche, das Jesus mit seinen Worten und vor allem mit seinem Leben und Sterben weitergeben möchte, ist: Du bist von Gott geliebt, obwohl du nicht o.k. bist! Du bist eingeladen, umzukehren aus diesen menschlichen, falschen Alternativen und Schritt für Schritt zu erfahren, dass du geliebt wirst, obwohl du ein Sünder bist, obwohl du nicht perfekt bist, obwohl du es trotz aller Anstrengungen nicht schaffst, ein tadelloses Leben zu führen.

Du bist geliebtdeshalb  kannst du wachsen und reifen, deshalb musst du nicht an deiner Unzulänglichkeit verzweifeln.

Eigentlich ganz einfach – einfach gut, einfach göttlich: wie ein Kind, das seine ersten tapsenden Schritte macht, immer wieder hinfällt, immer wieder aufgehoben wird von der Mama, vom Papa – und so laufen lernt. In letzter Zeit ist mir immer mehr aufgegangen, wie zentral für unseren Glauben, für unsere Gottesbeziehung das Wort Jesu ist: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Matthäus 18,3).

Mit unserem einseitigen, verengten, rein menschlichen Blick gelingt uns die „Gratwanderung“ nicht, die so anspruchsvoll und doch so einfach ist. Der einseitige Blick nach „links“ macht uns unzufrieden, weil wir unter unseren Möglichkeiten bleiben.  Der einseitige Blick nach „rechts“ lässt uns verzweifeln, weil wir es einfach nicht schaffen, unseren Idealen gerecht zu werden.

 Unser Blick auf unserer Lebenswanderung sollte sich nicht nach „links“ und nicht nach „rechts“ richten, sondern „nach oben“: wie das Kind, das zur Mama, zum Papa hochguckt…

Liebe Mitchristen! Diese Predigt halte ich heute Ihnen zum Abschied. Aber ich halte sie eigentlich – wie so oft – mir selbst. Es dauert unter Umständen sehr lange, bis das, was so einfach ist, wirklich vom Kopf ins Herz wandert…

Ich wünsche Ihnen und Euch und mir von ganzem Herzen, dass wir diese fundamentale Botschaft des Gottessohnes und Menschensohnes Jesus Christus an uns heranlassen; dass wir umkehren und beginnen, an dieses Evangelium zu glauben. Es ist nämlich wirklich eine frohe Botschaft, die frohe Botschaft!

Amen.