19. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 9. Aug. 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

19. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,
„Wofür arbeite ich? Wenn es keinen Gott gibt, kann es auch keine Seele geben. Wenn es keine Seele gibt, dann Jesus, bist auch du nicht wahr. Der Himmel - welche Leere."

Worte an der Grenze des Unglaubens. Man findet sie an unerwarteter Stelle: Die erst lange nach ihrem Tod veröffentlichten Aufzeichnungen und Notizen von Mutter Teresa zeigen eine der größten christlichen Gestalten unserer Zeit in spiritueller Nacht und der Trockenheit einer jahrzehntelang anhaltenden religiösen Krise.
Die Begeisterung, mit der sie einmal aufgebrochen war, die unerschütterliche Energie, mit der sie ihr Projekt, einen neuen Orden zu gründen und mit den Ausgestoßenen, den Bettlern, Straßenkindern, Leprösen und Sterbenden in den Elendsvierteln von Kalkutta zu leben, betrieben hatte, vor allem: die tief im Innern empfundene Gewissheit, zu diesem Werk, „ihm in den Ärmsten der Armen zu dienen", von Gott selbst gerufen zu sein - alles das ist, kaum ist die neuen Gemeinschaft der „Missionarinnen der Nächstenliebe" ins Leben gerufen, wie erloschen.
„In meinem Innern ist es eiskalt", schreibt sie an ihren Bischof. Und an anderer Stelle in ihren Notizen: „abgewiesen, leer, kein Glaube, keine Liebe, kein Eifer. Der Himmel bedeutet mir nichts mehr. Für mich sieht er aus wie ein leerer Platz."

Auf mich wirken diese Sätze wie eine zeitgenössische Interpretation jenes biblischen Urbildes des an Gott verzweifelnden Menschen, das uns heute in der Lesung vor Augen gestellt worden ist:
Elija, der große Prophet, hingestreckt unter dem Ginsterstrauch in der Wüste, müde und ausgebrannt. Resigniert, weil er sich fragt, ob er sich nicht etwas vorgemacht hat, als er im Namen Gottes aufgetreten ist, und ob dieser Gott überhaupt eine Realität ist, auf die man setzen kann. Lebensmüde und dieses Gottes müde, der zu schweigen scheint und sich entzieht: der nicht in überwältigenden Erfolgen außen greifbar wird und fragwürdig, brüchig als innerer Grund des Vertrauens und der Kraft weiterzumachen.

Gott aber, so beschreibt diese uralte Geschichte eine wohl zeitlose Erfahrung des gottsuchenden Menschen, reißt den Elija nicht von oben und durch ein machvolles Eingreifen aus dem Dunkel seiner Depression und der inneren Trockenheit seiner Wüste. Er reißt ihn nicht heraus, sondern führt ihn hindurch. Er muss die Landschaft die Landschaft des Zweifels und seiner Verzweiflung ganz durchqueren, die Wüste seiner Gottferne bestehen, bis ihm am Grund dieser Erfahrung der lebendige Gott neu begegnet: Als der, der ganz anders ist als die Projektion der Interessen und Pläne von Menschen und dem wir deshalb vielleicht viel näher sind, wenn wir nichts von ihm spüren und nicht mehr viel von ihm zu sagen wissen, als in den Aufschwüngen der Begeisterung und des religiösen Gefühls, die doch sehr trügerisch sein können. Oder gar in einer vermeintlich im Glauben begründeten Selbstgewißheit.

40 Tage und 40 Nächte muss der Prophet die Wüste durchwandern, bis Gott sich ihm noch einmal neu offenbart: nicht im Sturm, so wird es in der Fortsetzung unserer heutigen Lesung erzählt, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer. Sondern als „Stimme einer zarten Stille", dicht am Verstummen, kaum mehr vernehmbar.
Martin Buber übersetzt: „als eine Stimme verschwebenden Schweigens".
Als der Gott, der sich in seiner Offenbarung verbirgt und im Verborgenen offenbart.
Am Ende aller Worte Gottes, so glauben wir, wird er in seiner Allmacht ganz verborgen sein am Kreuz und offenbar in der Verborgenheit bei den Armen und Kleinen, in denen er uns begegnet und herausfordert, ihn selbst in ihnen zu erkennen und zu ehren.

Das führt uns wieder zurück zu Mutter Teresa.
Auch die Gottesbegegnung des Elija am Horeb hat ihre Entsprechung in der geistlichen Biographie dieser Frau:
Nach Jahren der Gottferne und der inneren Trockenheit, kehrt, wie sie notiert, im Herbst 1958 das alte Gefühl der Nähe und des Getragenseins noch einmal zurück. Um nach wenigen Wochen wieder zu verschwinden. Diesmal endgültig.
Sie schreibt: „Unser Herr meinte, es sei besser für mich, im Tunnel zu sein. So ist er also wieder gegangen und hat mich allein gelassen."
So, in diesem Zustand, hat sie weitergearbeitet. Hat ihren Orden wachsen sehen, Weltruhm gewonnen, den Friedensnobelpreis erhalten, hat immer weitergemacht, Tag für Tag, bis zu ihrem Tod im Jahr 1997.

Sie mag uns in unseren Zweifeln und Fragen Mut machen, am Evangelium Jesu Christi festzuhalten, das seine Wahrheit nicht verliert, auch wenn es uns zu Zeiten das Herz nicht mehr erwärmt, den Weg der Nachfolge im Geist der Bergpredigt in den kleinen Schritten, die uns möglich sind, zu gehen, auch wenn die Verheißungen der Seligpreisungen sich an uns nicht zu erfüllen scheinen und wir Gott nicht schauen und seinen Frieden nicht unbedingt erfahren:
Lieber mit den Traurigen zu trauern, auch wenn wir selbst manchmal keinen Trost wissen, als stumpf und gleichgültig an ihnen vorbeizugehen,
lieber nach Gerechtigkeit zu dürsten, als uns mit der Resignation oder dem Zynismus zufrieden zu geben,
lieber Erbarmen zu üben, auch auf die Gefahr hin ausgenutzt zu werden, als erbarmungslos uns selbst schadlos halten zu wollen.

Darum zu beten, dass Gottes Reich komme, hat Jesus uns im Vater Unser gelehrt. Und dass sein Wille geschehe. Das tägliche Brot, um das wir dann beten dürfen, ist er selbst: Speise für unseren Weg, der manchmal auch durch Wüsten führt. Wir empfangen dieses Brot, indem wir es verschenken und uns selbst im Dienst an unseren Schwestern und Brüdern vergessen, in der Hingabe an die Herausforderungen unseres Alltags, in denen er uns anspricht, Tag für Tag.
Und bleiben so auf dem Weg, jenem Gott begegnen, der sich als der Verborgene offenbart.

Amen