2. Adventssonntag  - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 8. Dez. 2013
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

2. Advent Lesejahr A - Pfr. Stefan Schäfer


Liebe Schwestern und Brüder,

er erregt Aufsehen und zieht Menschen in seinen Bann. Er findet Zulauf von überallher: dieser Rufer in der Wüste, ein Prediger der klaren Worte, ein Prophet in Zeiten, in denen Visionen selten sind, der Mann in der auffälligen Gewandung.
Ich denke dabei jetzt nicht an das Gewand aus Kamelhaaren und den ledernen Gürtel. Ich denke an eine weiße Soutane unter der ein paar alte Straßenschuhe hervor blitzen und an eine Kette, an der ein mattes blechernes Brustkreuz hängt. Zu Zigtausenden strömen nun wieder die Menschen zum Angelusgebet auf den Petersplatz und drängen in die Audienzen. Sie wollen Franziskus hören und erleben, den ersten Papst seit langem, der die Welt zu faszinieren und zu irritieren vermag.
Anstatt im August sich nach Castel Gandolfo in den Albaner Bergen zurückzuziehen, blieb Franziskus lieber im heißen Rom, um an jenem apostolischen Brief zu schreiben, der dieser Tage erschienen ist. „Evangelii gaudium" ist ein Weckruf in diesem Advent, geschrieben gegen die traurige Gewissheit, dass sich nichts ändern kann in dieser Welt, in unserem Leben und in einer zweitausend Jahre alten Kirche:
„Kehrt um!" „Bereitet dem Herrn den Weg. Ebnet ihm die Straßen."

Erstaunt erfahren Gläubige und Ungläubige nun also, dass diesem Papst „eine „verbeulte" Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straße hinausgegangen ist" näher steht und lieber ist als eine Kirche, die krank wird, weil sie sich verschließt und aus Bequemlichkeit und Angst sich an die eigenen Sicherheiten klammert.
Es sei Zeit für eine „unaufschiebbare Erneuerung", den Aufbruch aus Strukturen, Normen und Gewohnheiten, ohne Furcht, dabei vielleicht auch Fehler zu machen, um Hindernisse wegzuräumen und den Weg zu bereiten, damit „ alle(. . .)vom Trost und vom Ansporn der heilbringenden Liebe Gottes erreicht werden, der geheimnisvoll in jedem Menschen wirkt , jenseits seiner Mängel und Verfehlungen."
Wie der Täufer am Jordan von sich selbst weg weist, auf den hin, der nach ihm kommt und vor ihm war, den Größeren, will Papst Franziskus „keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist", sondern eine Kirche, die sich als Zeichen und Werkzeug versteht und ihren Existenzgrund darin erkennt, in die Gemeinschaft mit Christus zu führen: „Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen (. . .) soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben (. . .) ohne eine Horizont von Sinn . . .".

Weil es ihm nicht um die Kirche als solche und Selbstzweck geht, wendet der Rufer in der weißen Soutane sich auch an die Welt. Von allen, die ihm zuhören, fordert er, wie Johannes der Täufer, „Früchte, die eine Umkehr zeigen":
„ . . . es geht darum, Gott zu lieben, der in der Welt herrscht. In dem Maß, in dem er unter uns herrschen kann, wird das Gemeinschaftsleben für alle ein Raum der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens sein."
Der Glaube an einen Gott, der uns nahe kommt und Mensch wird, um uns in unserem Nächsten und vor allem in den schwächsten unserer Schwestern und Brüder zu begegnen und dessen Reich hier und jetzt schon beginnen soll, hat konkrete Konsequenzen. Das Reich Gottes ist eben doch nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen:
In seinem „Nein zur Vergötterung des Geldes", dem „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung, die tötet", dem „Nein zur sozialen Ungleichheit" lehnt sich der Papst gegen eine ökonomisch beherrschte Kultur auf, die den Menschen als „Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann."

Wie es scheint, ist die Zustimmung zu diesen Aussagen von „Evangelii gaudium" bislang weitaus weniger einhellig als die zu den Passagen, in denen es „nur" um die Erneuerung der Kirche zu gehen scheint. Aber das wäre dann ja auch kein prophetischer Text, wenn er von allen Seiten einfach nur mit Applaus bedacht würde.

Wie damals die Pharisäer und Sadduzäer am Jordan mischen sich auch heute die Würden- und die Bedenkenträger unter die Menge der Zuhörer. Die Warner, denen das alles zu schnell geht, die Mahner, die es sich differenzierter wünschen und natürlich die, denen die ganze Richtung nicht passt und die im Hintergrund auf ihre Stunde lauern. Und Neugierige und Sensationslustige stehen neben solchen, die sich betreffen und vielleicht sogar begeistern lassen.
Und wir? Wir stehen vielleicht irgendwie dazwischen. Hin- und her gerissen, ob wir den Worten dieses Predigers folgen können oder ob sie uns nicht vielleicht auch überfordern, ob wir eine Hoffnung an sie knüpfen können oder ob wir dabei die nächste Enttäuschung riskieren.
Das darf so sein.
Wichtig ist nur, dass wir uns nicht einfach heraushalten aus den Auseinandersetzungen, die kommen werden, um den Weg der Kirche und die Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes in der Welt von heute.

In beidem, seiner Kritik an den verhärteten Strukturen der Kirche wie in der Kritik an den ungerechten Strukturen der Welt, geht es dem Papst schließlich um eines: die Härte und Trägheit in den Herzen der Menschen zu überwinden.
Darin wird sein prophetisches Wort zu einem adventlichen Weckruf an uns, die Gläubigen:
„Die große Gefahr der Welt von heute (. . .) ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht ( . . .)aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. Wenn das innere Leben sich in den eigenen Interessen verschließt, gibt es keinen Raum mehr für den anderen, finden die Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes (. . .), regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun."
Und dann zitiert Franziskus seinen Vorgänger:
„ Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Prägung gibt."

Dazu feiern wir Advent: um neu in diese Begegnung hinein aufzubrechen, um uns zu erinnern, dass unser Leben sich nicht darin erfüllt, reine Leistungs- und Konsumwesen zu sein, um uns aufzurichten, weil am Horizont unseres Lebens etwas in Bewegung gekommen ist, das uns über all das hinausruft, was wir von uns aus leisten und uns verdienen können.
„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe."
Durch die Begegnung mit der Liebe Gottes, die uns entgegenkommt, werden wir, sagt Papst Franziskus, „von der abgeschotteten Geisteshaltung und unserer Selbstbezogenheit erlöst."
Und dann gibt er uns ein Wort mit auf unseren Weg durch diesen Advent:
„Unser volles Menschsein erreichen wir, wenn wir mehr als nur menschlich sind, wenn wir Gott erlauben, uns über uns selbst hinaus zu führen, damit wir zu unserem eigentlicheren Sein gelangen."

Amen