2. Sonntag nach Weihnachten  - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 5. Jan. 2014
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

2. Sonntag nach Weihnachten  - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder,

unaufhörlich wird geredet. Wir reden miteinander und noch lieber reden wir übereinander. Und auf allen Kanälen klappert die Mühle der Talkshows, in denen Prominente und solche, die sich dafür halten, Experten, Politiker und Showstars, die Vertreter der Kirche dürfen auch nicht fehlen, sich über Gott und die Welt verbreiten.
Nicht, dass sich aus diesem Strom des Geredes nicht hin und wieder auch ein Goldkorn an Einsicht und Weisheit heraus sieben ließe. Auf´s Ganze gesehen stellt sich aber der Eindruck ein, dass mit der Vermehrung der Worte eine Inflation der Bedeutung einhergeht. Da ist viel leeres Geschwätz ohne tieferen Sinn in unserem alltäglichen Plaudern, im Diskurs der Gesellschaft und wohl auch in unserem kirchlichen Reden und in mancher Predigt.

„Alles Unglück der Menschen liegt darin begründet, dass sie unfähig sind, in Ruhe in ihrem Zimmer zu bleiben", wusste schon Blaise Pascal. Und schon Jahrhunderte vor Pascal schrieb ein anderer: „Besser ist es zu schweigen und zu sein, als zu reden und nicht zu sein." Ignatius von Antiochien war als Gefangener auf dem Weg zum Martyrium, als er diesen Satz notierte. In seiner Situation macht man keine leeren Worte mehr.

Immerzu redend vertreiben wir uns die Zeit, vertreiben wir unsere Langeweile und verdecken uns unsere Leere. Manche versuchen so vielleicht die Angst zu verscheuchen, die sich einstellen könnte, würden sie sich ihrem Leben wirklich stellen. Das Reden ähnelt dann dem Pfeifen im Wald. Es vermag die Angst aber nicht wirklich zu bannen, weil es ja doch nur die eigene Stimme ist, die wir hören. Es verdeckt uns nur unsere tiefere Bedürftigkeit.

Und so hat Ignatius vermutlich recht: Auch wir müssten wieder lernen zu schweigen und zu sein. Nicht vor uns selbst zu fliehen ins Reden und Tun. Unseren Fragen nicht auszuweichen, sondern uns ihnen zu stellen. Den Ängsten, dem Zweifel, unseren Enttäuschungen: All dem eben, was in uns hochkommen könnte, wenn wir mit uns alleine im stillen Kämmerlein sind.
Erst wenn das Gewirr der Stimmen in uns und um uns verstummt, tritt die Wahrheit unseres Lebens ans Licht.
Solches Schweigen meint dann nicht bloß, dass ich nichts sage. Sondern, dass ich aufhöre zu fliehen und versuche, mich auszuhalten, wie ich bin.
Schweigend entdecken wir, wie es um uns steht.

Und im Schweigen, mehr als in den Worten, die wir über ihn machen, berührt uns der, den unsere Begriffe nicht fassen, der sich unseren Worten entzieht: Gott, das Geheimnis am Grund unseres Lebens.
Wahrscheinlich sind wir ihm näher, wenn wir schweigend uns selbst und unsere Einsamkeit aushalten, als in manchem geschäftigen religiösen Tun, näher in den Fragen, die wir stehenlassen und auf die wir keine Antwort wissen, vor denen wir verstummen, als in den Gewissheiten, die wir schon für unseren Glauben halten.

„Als tiefes Schweigen das All umfing", so heißt es im Buch der Weisheit, „und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab.
Verse von geheimnisvoller, dunkler Poesie, die noch von ferne nachklingen im Prolog des Johannesevangeliums: Aus dem Schweigen kommt das Wort, im Schweigen kommt Gott in unsere Welt, in der Mitte der Nacht, wenn die Stille am tiefsten ist. Und jene, die dem Schweigen ausgesetzt sind, die draußen ausharren, die Hirten, die es gewohnt sind in die Nacht hinaus zu lauschen, sind die ersten, die es wahrnehmen: Gottes Ankunft in der Welt, „die leiseste aller Geburten" (Nelly Sachs).

Das Wort kommt in der Nacht. Der Johannesprolog spricht von Finsternis. Es geht durch diese Finsternis hindurch, es nimmt sie nicht weg. Es geht nicht über das Dunkel hinweg, sondern in die Finsternis hinein, vor der wir so gerne fliehen möchten, um in ihr zu leuchten.

Wer schon einmal in eine existentielle Finsternis hineingehalten war, oder mit einem anderen in seiner Finsternis ausgeharrt hat, um ihm beizustehen, der ahnt vielleicht, welche Erfahrung hier beschrieben wird:
Wenn ein Unglück uns überwältigt, in tiefer Trauer über einen Verlust, wenn die Depression alles ins Dunkle taucht und wir keinen Sinn mehr sehen, wenn wir einsam sind und die Ängste kommen: in solchen Zeiten, in den Krisen unseres Lebens, bleiben uns die Worte weg, geraten wir ins Stammeln.
Da kann man keine großen Worte mehr machen. (Da weiß man mit einem Mal, dass man Worte eigentlich gar nicht machen kann. Man kann sie nur finden.) Da kann man nur noch schweigen. Und schweigend einander nahe sein.

Wenn dann aber ein Wort sich einstellt, nicht irgendeines, sondern das lösende Wort, das jetzt an der Zeit und am Platz ist, dann ist das eine Erlösung.

Davon, meine ich, spricht der Prolog des Johannesevangeliums:
Durch unser Dunkel hindurch, unsere Fragen, unsere Schuld und unsere Angst, in all dem Sinnwidrigen, das uns bedroht, kommt ein Wort auf uns zu und setzt sich gegen alle Widerstände durch.
Es ist uns geschenkt. Und wer ein hörendes Herz sich erhalten hat, das das Schweigen aushält, der wird es finden und etwas davon erfahren, dass dieses Wort leuchtet als Trost und Ermutigung zum Leben.
Und kann vielleicht einstimmen in den Jubel, in den unser heutiges Evangelium mündet:

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen. Die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater voll Gnade und Wahrheit."

Amen