21. Sonntag im Jahreskreis -

Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 26. Aug. 2018
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

Madeleine Delbrel, Sozialarbeiterin in den Vorstädten von Paris, Schriftstellerin, Mystikerin der Nachfolge Jesu unter den Bedingungen des Lebens in der Moderne, gestorben 1964, vergleicht einmal den Glauben mit dem Fahrradfahren:

„"Immer weiter!" sagst du, Gott zu uns
in allen Kurven des Evangeliums.
Um die Richtung auf dich zu behalten,
müssen wir immer weitergehen,
selbst wenn unsere Trägheit verweilen möchte.

Du hast dir für uns
ein seltsames Gleichgewicht ausgedacht.
Ein Gleichgewicht,
in das man nicht hineinkommt
und das man nicht halten kann,
es sei denn in der Bewegung,
im schwungvollen Voran.

Es ist wie mit einem Fahrrad,
das sich nur gerade hält,
wenn es fährt;
es lehnt schief an der Wand,
bis man es zwischen die Beine nimmt
und davonbraust."

Glaube als Aufbruch und Bewegung in einem unabschliessbaren Prozess, in Fragen und Zweifeln einem Ziel entgegen, das uns im Unterwegssein hält und trägt und bei dem wir in diesem Leben niemals ankommen, das uns zieht, indem es sich entzieht: Gott!

Nicht mehr geführt durch Leitplanken der Tradition und auf schwankendem Boden fragwürdig gewordener (auch) religiöser Gewissheit ganz auf die eigene Freiheit gestellt, sieht Madeleine Delbrel den modernen Menschen, der den Glauben zu leben versucht, in einem „schwindelerregenden, allgemeinen Ungleichgewicht":

„Sobald wir uns hinsetzen, um es zu betrachten, neigt sich unser Leben und fällt."
„Wir können", schreibt sie, „uns nur aufrecht halten, wenn wir weitergehen,
wenn wir uns hineinwerfen in das Abenteuer verzehrender Liebe."

Ein steiler, anspruchsvoller Satz. Herausfordernd. Und vielleicht auch eine Überforderung für Durchschnittschristen wie uns.
Auf jeden Fall eine Provokation.

Und doch verweist, was diese innerlich brennende Gottsucherin über den Glauben als ständigen Aufbruch, als Bewegung und Schwung zu sagen hat, unmittelbar auf den Ursprung und Anfang dieses Glaubens in Jesus Christus, der ja nicht einfach der Vergangenheit angehört, sondern auch für uns die Herausforderung und Provokation bleibt, von ihm her immer wieder neu zu beginnen:

„Ich bin der Weg", sagt der Herr von sich selbst. Und mutet seinen Jüngern zu, sich ganz darauf einzulassen und von ihm sich mitnehmen zu lassen auf diesen Weg, der er selber ist, in das Wagnis des Sich Aussetzens und der Liebe:
Ohne Sicherheit und nur im Vertrauen auf sein Wort, den Weg der Selbstentäußerung zu gehen, auf dem der das Leben findet und Gott ent-deckt mitten in der Alltäglichkeit des Lebens, der sich hingibt und sich selbst vergisst.

Die Christen der ersten Jahrhunderte nannten sich selbst „Menschen des Weges". Und als solche wurden sie wohl auch von den anderen wahrgenommen. Ihre Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit gewannen sie dadurch, ein Aufbruch, eine Bewegung zu sein.

Wenn heute wieder viele sich zurückziehen und auf diesem Weg nicht mehr wandern, hat das vielerlei Gründe. Auch gute, nachvollziehbare. Auch solche, die auf der Hand liegen, wenn man etwa in diesen Tagen die Zeitung aufschlägt und fassungslos wieder vom Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche liest.
Ein Grund könnte auch sein:
Dass wir, die noch geblieben sind, nicht mehr als „Menschen des Weges" wahrgenommen werden. Sondern als eingerichtet in unseren Traditionen und in einer Sprache in Verkündigung und Liturgie, die unsensibel ist für die Fragen von heute, trotz allem zufrieden mit dem Status Quo und mit der Routine im Leben der Gemeinde und den Binnenproblemen des kirchlichen Lebens vollauf beschäftigt.

„Wollt auch ihr weggehen?"
Die Frage, die Jesus an die klein gewordene Schar seiner Jünger richtet, ist nicht rhetorisch gemeint.
Sie fragt, ob da noch Glut ist unter der Asche.
Die Antwort, die Petrus damals gefunden hat, hallt nach.
Vielleicht findet sie ein Echo in unseren Herzen:

„Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens."

Worte, die uns aufbrechen lassen in die Solidarität und das Engagement. Die durch uns zu Tätigkeitsworten werden:
„Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit", ist ein solches Wort.
Worte, die uns über uns hinausrufen und die das rechnende Denken durchbrechen, in dem wir selbst oft gefangen sind und in das unsere Zeit so sehr verstrickt ist:
„Wer sein Leben hingibt, der wird es gewinnen."
Worte, die auf die Lücke hinweisen, auf den Riss in unserer nur scheinbar in sich geschlossenen und zu Ende erklärten Welt:
„Ich bin die Auferstehung und das Leben."
Die uns ausgerichtet bleiben lassen auf ein „Darüber Hinaus", auf das große Geheimnis am Grund und am Ziel unseres Lebens, dem wir Menschen, Wesen der Erde und der Sehnsucht zugleich, in einem „schwindelerregenden Ungleichgewicht" entgegengehen.

Es lässt sich nicht herbeipredigen und ganz sicher nicht herbeimissionieren. Wo aber in der Gemeinde der Christen, in unseren Kirchen eine Bewegung, ein Prozess, ein Aufbruch in das Fragen und Suchen, in das Zeugnis für eine größere Hoffnung erfahrbar würde – es könnte wohl doch auch heute Menschen faszinieren, ergreifen, bewegen.

„Du hast uns in eine Zeit gestellt", schreibt Madeleine Delbrel, „die in ihre Freiheit verliebt ist.
In ihr spielt das Abenteuer deiner Gnade. Du willst uns keine Landkarte zur Orientierung geben. Unser Weg soll durch die Nacht führen.
Kommt eine neue Strecke, leuchtet ein Licht auf, wie die Lampe eines Signals"

Ein Wort, um uns im Dunkel zu leuchten.

Amen