28. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 11. Okt. 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

28. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer


Liebe Schwestern und Brüder,


die griechische Mythologie erzählt uns die zeitlose Geschichte von König Midas. Sein Wunsch, „alles, was mein Leib berührt, verwandle sich in Gold", geht in Erfüllung. Die Freude über den unvorstellbaren Reichtum, der dem Midas nun zufällt, ist freilich nur von kurzer Dauer. Seine Fähigkeit hat fatale Folgen: Die köstlichsten Speisen ebenso wie Wasser und Brot - alles wird ihm, sobald er es berührt, ungenießbar und zum steinharten Metall: „Nun ward ihm klar, welch ein schreckliches Gut er sich erbeten hatte; so reich und doch so arm, verwünschte er seine Torheit."

„So reich und doch so arm!" In wenigen Strichen wird die innere Gefährdung skizziert, die dem Reichtum und unserem Streben danach innewohnt: Dass wir, von ihm verblendet, das Leben verfehlen können. Wenn alles, was wir berühren nur noch der Mehrung unseres Reichtums dient - das kann auch sein: der Mehrung unseres Ansehens und unserer Geltung, unseres Einflusses und unserer Macht, all dessen eben, woran wir uns festhalten, als würde es uns schon das Leben garantieren - dann versteinert uns unter den Händen das Leben.

„ Was kostet mich das?" „Was bringt es mir?" „Lohnt es sich für mich?" - das sind die Midasfragen des rechnenden Denkens, das um die Wahrung und Mehrung des eigenen Reichtums, worin auch immer er bestehen mag, kreist, und die, wenn sie in unserem Denken und Handeln beherrschend werden, uns allen Geschmack am Leben verlieren lassen.
Daran scheitert schließlich die Berufung des reichen Mannes heute im Evangelium: Dass er in der Begegnung mit Jesus und unter seinem liebevollen Blick, die Chance nicht erkennt, glücklich zu werden, die dem sich eröffnet, der es sich leisten kann, loszulassen. Er haftet an seinem Besitz und sein Besitz haftet an ihm, als könne der Reichtum ihm das Leben garantieren. Wie das Leben zu gewinnen sei, hatte er gefragt. Nun zieht ihn die Schwerkraft des Habenwollens in sein altes Leben und Denken zurück.

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt."

Vor Jesu Wort erschrecken nicht nur damals seine Jünger. Es trifft auch uns, die wir - wir wissen es - im Weltmaßstab allemal zu den Reichen gehören. Und in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise in unserem Land fordert es uns sehr konkret heraus.

Als vor einigen Wochen der Ruhrbischof Franz Josef Overbeck in einer Predigt prophezeite, Wohlstandsverluste wegen der Flüchtlinge seien unvermeidlich, brach ein Sturm der Entrüstung los, der mit legitimer Kritik an einer durchaus ja provokanten Äußerung nicht mehr viel zu tun hatte. Schmähungen und Beleidigungen ergossen sich im Netz, verbunden natürlich mit der Ankündigung des Kirchenaustritts vermeintlich frommer Katholiken.

Wie schwer fällt es offensichtlich immer wieder denen, die viel besitzen, der gar nicht nur christlichen sondern allgemein menschlichen Wahrheit zu vertrauen, dass wir im Geben gewinnen können?

Das scheint doch die Wahrheit zu sein, für die Jesus in unserem heutigen Evangelium seine Jünger öffnen will: Dass dem, der sich selbst, der sein Leben oder was er dafür hält, nicht an seinem Besitzstand festmacht, sich eine neue Sicht der Welt erschließt. Sie dreht sich nicht immer nur um Konkurrenz im ewigen Verteilungskampf um immer knappe Ressourcen, bei dem der andere als Bedrohung erscheinen muss. Wo Menschen großherzig genug sind, zu teilen und vom Eigenen zu schenken, kann vielmehr jetzt schon etwas entstehen, das dem Reich Gottes ähnlich sieht: Ein Raum der Geschwisterlichkeit, ein Zuhause, in dem der Andere nicht als Konkurrent, sondern als Bruder und als Schwester erfahren wird.

Wer um meinetwillen loslässt, sagt Jesus seinen Jüngern, der empfängt, hundertfach, Brüder und Schwestern, in einer neuen Gemeinschaft, an der sich die Gesetze, die im Reich Gottes gelten, jetzt, in dieser Zeit, schon ablesen lassen.

Auch darum geht es ja in der gegenwärtigen Krise: dass wir unabweisbar damit konfrontiert sind, in einer Welt zu leben, in der es nicht möglich ist, sich abzuschotten und Besitzstände zu verteidigen. In der es eine Frage des Überlebens sein wird, ob wir es lernen, uns als ein Teil einer Menschheitsfamilie zu begreifen, in der die Not des Nächsten in der Ferne uns unmittelbar betrifft und angeht.

Die deutschen Bischöfe haben auf ihrer Herbstvollversammlung daran erinnert. In ihrem Hirtenwort „zur Hilfe für die Flüchtlinge" schreiben sie:
„Die Ereignisse der vergangenen Monate (zeigen uns) einmal mehr (. . .) die tiefgreifende Verflochtenheit der ganzen Menschheitsfamilie. Nur wenn überall auf der Welt menschenwürdige Lebensverhältnisse entstehen, müssen Menschen nicht ihre Heimat verlassen. Die Staaten sind hier gefordert, aber auch wir Bürger. Die Botschaft vom Reich Gottes ermutigt, uns für eine bessere Welt einzusetzen."

In der derzeit labilen Stimmungslage in unserem Land stellen die Bischöfe klar, dass „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus für Christen unannehmbar" sind und fordern, dass Deutschland „seine Kultur der Integration weiterentwickelt". Nur so könne „der gesellschaftliche Frieden bei uns (. . .) gesichert werden": Wir „alle sind zu Miteinander und Wertschätzung aufgerufen. Dazu gehört von Seiten der ansässigen Bevölkerung die Bereitschaft sich den Fremden gegenüber zu öffnen. Die Zuwanderer sind ihrerseits gehalten, Recht und Kultur ihrer vorübergehenden oder dauerhaften neuen Heimat anzuerkennen und sich auf das Gemeinwohl unserer Gesellschaft zu verpflichten."

Die Überschrift, die dieses Wort der deutschen Bischöfe trägt, ist ein Appell: „Bleiben Sie engagiert!"

Das lässt sich sicher nicht per Gesetz verordnen: Und doch sind die unzählbar vielen, die sich seit Wochen trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten in unserem Land für die ankommenden Flüchtlinge engagieren, gleich aus welcher Motivation und vor welchem weltanschaulichen Hintergrund sie sich einsetzen, Zeugen einer Erfahrung, die im buchstäblichen Sinn des Wortes „not- wendig" sein dürfte für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, soll sie nicht am Egoismus des „jeder ist sich selbst der Nächste" verhungern. Einer Erfahrung, die mitten in die Wahrheit des Evangeliums hineinweist:

Dass der Einsatz für den Anderen, die Bereitschaft aus dem eigenen Reichtum zu helfen, zu teilen und zu schenken uns nicht ärmer macht, sondern reichen Lohn in sich trägt. Weil wir nie so sehr bei uns selbst sind als da, wo wir nicht mehr um uns selber kreisen und der das Leben findet, das wir alle zutiefst suchen, der sich selbst vergisst in der Hingabe, im Einsatz für einander.

König Midas wäre an seinem Reichtum fast verhungert. Nach der Sage findet er Erlösung. Er wird in den Fluss Paktolos geschickt und muss ihn gegen den Strom hinaufgehen bis zur Quelle. So wird er von seiner Schuld befreit.

Für unseren Glauben ist die Quelle in Jesus Christus erschlossen. In ihm begegnet ein Gott, der nicht an seinem Reichtum festhält, sondern sich entäußert und verströmt, der arm wird, um in seinem Erbarmen allen Menschen nahezukommen und der uns in unserem Nächsten begegnet.

Diese Quelle für uns für andere zu entdecken sind wir berufen.
Aus ihr Mut und Hoffnung und Leben zu schöpfen lädt uns Jesu Wort und Beispiel ein.
Ihm zu folgen verlangt wohl immer wieder, auch gegen den Strom zu anzugehen.

Amen