3. Fastensonntag - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 3. März 2013
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

3. Fastensonntag - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder,


ich kann mich an die Szene erinnern, als sei es gestern gewesen: Sie spielt im Zimmer des Subregens des Mainzer Priesterseminars. Der Subregens ist zuständig für die Studienordnung und also auch für die Zulassung der Alumnen zu den Prüfungen.
Und ich saß an jenem Nachmittag nun also vor ihm, ein Häufchen Elend, mit den Trümmern meiner Diplomarbeit: Der Abgabetermin war da, alle Fristen möglicher Verlängerung ausgereizt und ich war immer noch nicht fertig geworden.
Heute noch, Jahrzehnte später, kann ich empfinden, wie mir zumute war, als besagter Subregens dann sein Urteil über mich sprach: Aus und Vorbei, kein Aufschub mehr möglich, die Studienordnung lasse keine weitere Verlängerung mehr zu, auch nicht für ein paar Tage. Ich müsse das verstehen.
Ich war ein Versager ohne Aussicht auf Bewährung. Ich hatte zur vorbestimmten Zeit die verlangte und erwartete Leistung nicht erbracht. Nun wurde ich aussortiert: Nicht zugelassen zur Diplomprüfung!

Die Szene fällt mir ein, wenn ich Jesu Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum lese:
„Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt und finde nichts. Hau ihn um! Was soll erweiter dem Boden seine Kraft nehmen!"
Hat der Besitzer des Weinbergs denn nicht recht? Ich habe mich damals jedenfalls nicht laut beklagt: Wer als Student seine Zeit vertrödelt und sich verzettelt, der muss die Folgen tragen und fliegt dann eben aus dem Priesterseminar und muss noch mal von vorn anfangen.
Man kann das den „Tun-Ergehens-Zusammenhang" nennen. Was wir tun und was wir unterlassen, hat Folgen. Die Konsequenzen muss man auf sich nehmen.
So einfach ist das!

Ist es wirklich so einfach?
Zumindest der umgekehrte Schluss, der vom Ergehen auf das vorausgegangene Tun, den wir, wenn wir ehrlich sind, oft auf unsere Mitmenschen anwenden, ist in höchstem Maße problematisch:
Der Obdachlose, der in der Augustinerstrasse bettelt, hat sich durch eigene Schuld in diese Lage gebracht? Mag sein, dass solcher Rückschluss von der Situation, in die ein Mensch geraten ist, manchmal auch zutrifft. Oft, allzu oft, wird ihm so bitter Unrecht getan.

„Über die Unfruchtbarkeit".
So ist ein Gedicht von Berthold Brecht überschrieben. Es liest sich so, als wären darin die Fragen und Gedanken des barmherzigen Gärtners in Jesu heutigem Gleichnis formuliert:

„Der Obstbaum, der kein Obst bringt,
wird unfruchtbar gescholten. Wer
untersucht den Boden?

Der Ast, der zusammenbricht,
wird faul gescholten, aber
hat nicht Schnee auf ihm gelegen?"

„Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen", sagt der Weingärtner in unserem Evangelium, den wir getrost mit Jesus identifizieren dürfen, „ich will den Boden um ihn herum umgraben und düngen, vielleicht trägt er ja doch noch Früchte."

Dass ich heute vor Ihnen stehe, verdanke ich Menschen, die damals im Geist dieses Gärtners an mir gehandelt haben.
Die Szene im Zimmer des Subregens aber ist mir zur Schlüsselszene geworden, die mich das heutige Evangelium vielleicht etwas besser verstehen lässt:

Die Frage, die da verhandelt wird, das Thema, um das es im Zusammenhang des Gleichnisses geht scheint doch zu sein, ob der „Tun-Ergehens-Zusammenhang", nach dem wir oft übereinander urteilen, etwa auch für unser Verhältnis vor Gott Geltung hat.
Jene Galiläer, die Herodes gemeuchelt hat oder die Arbeiter, die beim Zusammenbruch des Turms von Schiloach umgekommen sind, - waren das möglicherweise Sünder, die auf diesem Weg die Konsequenz für ihr Tun eingeholt hat, scheinen die Zuhörer Jesu sich zu fragen.

Mit seinem Gleichnis macht Jesus ihnen deutlich, dass wir uns Gott eben so gerade nicht vorstellen dürfen: als einen Richter, der uns nach dem Zusammenhang von Tun und Ergehen beurteilt.
Dann nämlich wären wir alle schon durch die Prüfung gefallen. Wir sind doch allemal recht unfruchtbare Feigenbäume. Wir leben von seiner Geduld, von seinem Erbarmen, obwohl er unsere Schuld, unsere Fruchtlosigkeit sieht. Wir leben, weil er die Prüfungsordnung immer wieder außer Kraft zu setzen bereit ist.
So sollen wir uns vor Gott, scheint Jesus sagen zu wollen, durchaus als diejenigen verstehen, die jeden möglichen Kredit und Aufschub eigentlich schon überzogen haben. Und die trotzdem noch eine Chance erhalten.
Eine „auf Widerruf gestundete Zeit", die nichts anderes als die Frist unseres Lebens ist.

Sie wird uns gewährt im eigentlich durch nichts begründeten Vertrauen, dass wir doch noch Früchte bringen, Früchte der Umkehr. Es sind die Früchte des Erbarmens mit uns selbst und mit unserem Nächsten:
Beeile dich, wird Jesus an anderer Stelle sagen, mit deinem Nächsten Frieden zu schließen, solange ihr noch auf dem Weg zum Richter seid. Nutze die Zeit, die dir gegeben ist, dich dem armen Lazarus vor deiner Tür zuzuwenden. Lebe aus dem Erbarmen, das dir selbst geschenkt worden ist und dem allein du dich verdankst.

Isaak von Ninive, ein Christ des 7. Jahrhunderts schreibt:
„Gleichwie ein Sandkorn nicht eine große Menge Gold aufwiegt, so wiegt bei Gott das Bedürfnis nach einem gerechten Urteil nie so viel wie seine Barmherzigkeit."
Und dann gibt er folgenden Rat:
„Lass die Barmherzigkeit in dir so lange überwiegen, bis du der Welt gegenüber das gleiche Erbarmen empfindest wie Gott."

Amen