3. Sonntag der Osterzeit - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 19. Apr. 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

3. Sonntag der Osterzeit - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder!

„Ich kann dich leiden!"
So lautet eine etwas altmodische Formulierung, mit der wir unsere Zuneigung ausdrücken. Wenn wir sagen, uns sei jemand „sympathisch" ist das gleiche gesagt und gemeint. „Sympathie" bedeutet ja, aus dem Griechischen übersetzt, nichts anderes als „Mitleid".

Wo wir uns nahestehen und einander wohlwollen, wenn Freundschaft wächst oder sogar Liebe uns zum andern zieht, zeigt sich das - immer in Graden und Abstufungen - darin, dass wir Anteil nehmen am Leben des Anderen.
Das Zentrum unseres Lebens und Erlebens verschiebt sich. Es wandert vom „Ich" hin zu jenem „Du", dessen Freuden und Leiden wir dann nicht mehr nur aus sicherer Distanz beobachten, sondern sie mitfühlen und uns zu eigen machen.
Und wahrscheinlich sind es nicht die schlechtesten Stunden in unserem Leben, in denen uns das gelingt oder es sich ganz einfach ereignet und wir selbstvergessen ganz beim Andern sind.

Das geschieht nicht nur im Nahbereich unseres Lebens.
Auch das Schicksal des Nächsten in der Ferne, von dem wir vielleicht nur in den Nachrichten hören, kann uns nahe gehen und berühren, so dass wir für einen Augenblick und natürlich immer nur sehr unvollkommen mit ihm fühlen und was er erfährt gewissermaßen von innen her mit ihm teilen.

Dass wir einander „leiden können", dass wir uns in einen anderen Menschen einfühlen und mit ihm mitfühlen können, ist geradezu eine Wesenseigenschaft des Menschen:
Wir sind das zur Sympathie begabte Wesen.
Und wo wir diese Gabe verkümmern lassen und in uns selbst feststecken bleiben, schöpfen wir die Möglichkeiten unseres Menschseins nicht wirklich aus. Wirklich menschlich ist erst der „sympathische" Mensch, der Anteil nimmt und daran wächst, dass er sich nicht zuerst von sich selbst, sondern immer auch vom andern her versteht.
In seinem Umkreis verändert sich die Welt.

Auf diesem Hintergrund lässt sich vielleicht auch deuten, was uns von den österlichen Begegnungen des Auferstandenen mit seinen Jüngern erzählt wird:
Von der neuen Gemeinschaft, in die er sie ruft, aus ihrer Vereinsammung und Selbstverschlossenheit in ein neues Leben in einer im österlichen Licht veränderten, erneuerten Welt.

Durch verriegelte Türen kommt, so wird das erzählt, der Auferstandene seinen Jüngern entgegen. Er ist ihnen nahe in dem, was sie in ihrer Trauer bewegt: in ihrer Angst und in ihren Zweifeln, in ihrer Bestürzung und Ratlosigkeit und in ihrer Freude, der sie freilich nicht so recht trauen.
Er versetzt sich in ihre Mitte und nimmt Anteil.
So zeigt er sich ihnen neu und bringt sich neu in Erfahrung als der, der er ihnen Zeit seines Lebens immer schon war:
Als der Zeuge und die Offenbarung eines mitleidenden Gottes, eines Gottes, der zum Menschen sagt: „Ich kann dich leiden", der teilnimmt an unserem Schicksal, sich einfühlt und sich darauf einlässt, so sehr, dass er es in allen Konsequenzen mit uns teilt.

So öffnet der Auferstandene seinen Jüngern die Augen für das Verständnis der Schrift. Der Schlüssel für dieses Verständnis ist die Botschaft von einem zur Sympathie, dem Mitleid, dem Erbarmen entschiedenen Gott!
„Musste nicht der Messias all das erleiden", fragt er die Emmausjünger auf ihrem Weg und öffnet ihnen Augen und Herz für die Erfahrung einer neuen Gemeinschaft mit ihm und untereinander.

Darin, dass sie seine Gegenwart erfahren in dem, was sie erleben und erleiden und umgekehrt:
dass sie zum Glauben kommen, ihm, den sie nicht greifen und festhalten können, gegenwärtig zu bleiben, dass er sie nicht vergisst und sein Mitleiden ihn bleibend prägt, wofür die Wunden stehen, an denen sie ihn erkennen,
- „er in ihnen" und sie „in ihm" -
besteht der Friede, den seine Jünger als erste österliche Gabe vom Auferstandenen empfangen: das Unterpfand einer durch das Mitleiden Gottes veränderten Welt und Wirklichkeit.

Die Osterevangelien erzählen dann auch, wie die neue Verbundenheit mit dem Herrn das Miteinander der Jünger ganz konkret verändert: Auch Thomas, der Zweifler, letzten Sonntag sind wir ihm begegnet, hat mit seinen Fragen Raum in der Gemeinschaft der anderen, der Glaubenden. Er wird nicht etwa vor die Tür gesetzt, weil er unbequem ist, sondern gehalten und getragen in einem Raum, den die Sympathie eröffnet, in dem ein Mensch nicht verurteilt und ausgegrenzt wird, sondern Verständnis erfährt.

Der Umgang der Jünger mit diesem Thomas ist ein Modell für die Kirche durch alle Zeiten:
Eine Kirche, die Zeugnis gibt vom Gott Jesu Christi, der sich rückhaltlos einsetzt auf die Schicksale der Menschen, muss eine Kirche sein, die nicht ausgrenzt und verurteilt, sondern die Anteil nimmt.
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen in der Welt von heute, vor allem der Armen", sagt das 2.Vatikanische Konzil, „sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Jesu".
Wenn Papst Franziskus nun aus Anlass des 50. Jahrestages des Abschlusses dieser so wichtigen Bischofsversammlung ein „Jahr der Barmherzigkeit" ausgerufen hat, macht er deutlich, dass er unsere Kirche auf diesen Weg weiterführen will:
„Wie sehr wünschte ich", schreibt der Papst, „dass die Orte, an denen sich die Kirche zeigt, zu Inseln der Barmherzigkeit im Meer der Gleichgültigkeit werden."

Der Auferstandene berührt das Leben jedes Menschen. In ihm offenbart sich ein Gott, der Anteil nimmt und sich mit jedem Menschenschicksal verbindet.
Wir sollen seine Zeugen sein.
Als einzelne in unserer Sympathie für den Andern, als Gemeinde, als Kirche an der Seite der Menschen.
Eine mitfühlende, barmherzige Kirche wäre eine sympathische Kirche.
Ein Zeichen und Werkzeug des österlichen Friedens, der die Welt verändert.

 

Amen