3. Sonntag der Osterzeit - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 14. Apr. 2013
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

3. Sonntag der Osterzeit - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder,


der indische Jesuit Anthony de Mello hat die folgende kleine Geschichte aufgeschrieben:
„Da war ein Bär. Der ging tagaus, tagein in seinem sechs Meter langen Käfig hin und her. Nach vielen Jahren wurden die Gitterstäbe entfernt. Der Bär aber ging weiterhin tagaus, tagein seine sechs Meter hin und her ganz so, als ob der Käfig noch da wäre. Für ihn war er noch da!"


Mag diese Geschichte vielleicht nur gut erfunden sein,- sie ist doch allzu wahr. Wir sollten uns leicht in ihr wiederfinden können. Sie spricht von der Macht der Gewohnheit, die auch uns oft in eingespurten Bahnen laufen lässt, tagaus, tagein. Auch wir Menschen sind doch in vielerlei Hinsicht Gewohnheitstiere.
Was an sich ja noch nicht unbedingt nur etwas Schlechtes ist: Routine verleiht Sicherheit. Es wäre eine Überforderung, sich jeden Morgen neu erfinden und alles ganz neu und anders machen zu wollen. Und es ist gut und richtig, wenn Überzeugungen, die wir aus Erfahrung und im Nachdenken erworben haben, uns binden und auf Kurs halten und wir aus ihnen nicht jederzeit ausbrechen können.
Aber auch das kann es geben: Dass Gewohnheit und Anpassung uns wie in einem Käfig gefangen halten.
Dass die Macht der Gewohnheit, wenn sie unser Leben beherrscht, unser Denken und Reden, unsere Meinungen, das Handeln und die Erwartungen, die wir noch haben, uns eng werden lässt.
Als gäbe es hinter dem, was wir schon kennen und können und wissen und darüber hinaus nichts anderes mehr.
Als würde es sich nicht lohnen, neugierig zu sein und gespannt auf das Unbekannte, das noch auf uns wartet.
Als würde hinter dem Gehege des Gewohnten und Vertrauten sich nicht noch ein weiter Horizont öffnen.


Und manchem wird das Gewohnte, der Alltag mit seinen Zwängen, die Realitäten, mit denen man sich arrangiert, die Kompromisse, in die man gezwungen wird, wirklich zum Käfig, in dem sich alles wie im allerkleinsten Kreise zu drehen scheint und das Leben seine Farben verliert.
„Ihm ist als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt."
So sieht Rainer Maria Rilke in einem seiner populärsten Gedichte den Panther, den er im Pariser „Jardin de Plantes" beobachtet. Und entdeckt in diesem, in seinem Käfig hospitalisierten Geschöpf, ein Bild für die Tragik des Menschen, der in einer Enge gefangen ist, die ihm nicht entspricht und den Raum nicht einnehmen darf, für den er eigentlich geschaffen ist. Und der darüber im Herzen stumpf und hoffnungslos geworden ist:
„Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein."


Beeindruckend und fesselnd ist es, dass die Ostergeschichte der Evangelien um solche Erfahrungen zu wissen und genau davon zu erzählen scheinen: Immer wieder zeigt sich der Herr. Und immer wieder geht die alles Gewohnte und Erwartbare sprengende Botschaft von der Auferstehung den Jüngerinnen und Jüngern Jesu verloren. Sie erlischt in ihren Herzen, erstickt von Trauer und Enttäuschung und hört dort auf zu sein:
Maria von Magdala weint am Grab um den toten Jesus und erkennt den Lebenden nicht als er schon vor ihr steht.
Ganz gefangen in ihrer Erfahrung des Scheiterns bleiben die Emmausjünger blind für den, der längst schon mit ihnen geht.
Und Petrus will aus dem gescheiterten Abenteuer der Nachfolge Jesu einfach nur zurück ins Gewohnte, in die Routine und Sicherheit seines Alltags als Fischer.
Der Auferstandene erscheint. Die Jünger aber sind voller Angst, zweifeln und sind bestürzt. Kein Osterjubel ertönt.
Die Türen bleiben verschlossen. Der Käfig, in dem sie gefangen sind - für sie ist er noch da.


Offenbar braucht es Zeit, um Mut und Vertrauen zu fassen und ihn überschreiten zu können. Um die Enge und Angst, in die die Erfahrung, das Gewohnte
und Erwartbare uns eingesperrt halten, zu überwinden und zum Glauben zu finden, dass jenseits all dessen, was uns möglich erscheint und wir zu hoffen wagen, Gottes Möglichkeiten erst beginnen.
Die Apostelgeschichte nennt die symbolische Zahl von 50 Tagen, bis es für die Jüngerinnen und Jünger sich ereignet. Und endlich das, was sie erfahren haben, ihre Herzen wirklich erreicht und befreit.


Das mag uns Trost sein, wenn wir selbst manchmal das Gefühl haben, dass uns die Osterbotschaft im Alltag nicht trägt: Auch den Jüngern muss der Herr erst die Augen öffnen für das Verständnis der Schrift. Für die Botschaft von einem Gott, der sich im auferstandenen Gekreuzigten offenbart als Gott der Befreiung. Und der uns Mut machen will, aus dieser geschenkten Freiheit zu leben. Als Zeugen einer größeren Hoffnung. Als Menschen, die auf dem Weg der Nachfolge sich selbst, ihre Grenzen überschreiten. Die frei geworden sind, von der Selbsthingabe mehr zu erwarten als von der Selbstbehauptung, frei, sich selbst loszulassen im Teilen des Lebens und in der Vergebung. Als Zeugen des Vertrauens in einen Gott, der unseren Schritten weiten Raum eröffnet, der uns ins Offene und Weite ruft und der dort auf uns wartet.


Bitten wir also den Herrn - immer wieder - dass er auch uns die Augen öffne für das Verständnis der Schrift. Damit es auch unseren Herzen aufgeht und auch uns zur Erfahrung wird, was der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart einmal so formuliert:


„Wenn Gott den inneren Grund des Menschen mit der Wahrheit berührt, so ergießt sich das Licht in alle Kräfte und der Mensch kann dann bisweilen mehr als ihn jemand zu lehren vermag." Und mehr als er selbst es für möglich gehalten hätte.