4. Fastensonntag - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 26. März 2017
Von:
Pfr. Schäfer

4. Fastensonntag - Pfarrer Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

 

ein Blindgeborener begegnet Jesus. Und diese Begegnung öffnet ihm die Augen: Er erblickt „das Licht der Welt“.

In der Mitte, zur „Halbzeit“ der Fastenzeit wird uns diese Wundererzählung aus dem Johannesevangelium verkündet, damit wir uns in ihr wiederfinden:

 Der Weg auf Ostern zu, den wir gehen, ist ein Weg zum Licht. Indem wir versuchen, uns neu der Begegnung mit Jesus zu öffnen, könnte es geschehen, dass er uns tatsächlich berührt und sich das Wunder auch an uns ereignet. Wir könnten lernen, uns selbst und den andern und unsere Welt mit neuen Augen zu sehen.

 

Alles beginnt, so erzählt es unser heutiges Evangelium, mit einem  Wandel der Perspektive, einer Umkehr der Blickrichtung:

„Rabbi, hat er selbst gesündigt, oder haben seine Eltern gesündigt, so dass er blind geboren wurde?“ 

Jesus weist diese Frage seiner Jünger zurück. Es geht im Blick auf einen Menschen, auf seine Grenzen, seine Unzulänglichkeiten, seine Behinderung nicht darum, festzustellen, woher das kommt und warum jemand so geworden ist. Schon gar nicht geht es um Schuld. Nicht aus der Perspektive Gottes. Jeder Mensch ist eine Chance.

 Der Blick der Liebe, den Jesus dem Blindgeborenen schenkt ebenso wie uns mit unseren Handicaps und Grenzen, zielt nicht auf das, was da ein Mensch vielleicht sich selbst verbaut hat. Er zielt auf den Willen zum Guten, auf die Sehnsucht nach Sinn, auf die in allem Scheitern unverlierbare Würde. Er legt nicht auf die Vergangenheit fest. Er will Zukunft und Hoffnung schenken:

„Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern Gottes Werke sollen an ihm offenbar werden.“

Eine Umkehr der Perspektive. Wo wir uns in sie hineinziehen lassen, kann auch in uns etwas zu heilen beginnen.

„Gott kann nur lieben“, so schreibt einmal Frère Roger Schutz, „darin liegt das ganze Evangelium. Durch sein Verzeihen versenkt Gott unsere Vergangenheit in Christi Herz und nimmt sich unserer Zukunft an.“

 

Ein Blinder wird zum Sehenden. Die vermeintlich Sehenden aber verrennen sich immer tiefer in ihrer Blindheit.

Nicht Staunen, das die Augen öffnen würde für das Erbarmen Gottes, ist die Reaktion der Umstehenden, sondern wachsende Verhärtung, Verstockung angesichts des Wunders, das sich nicht in die vorgefertigten Kategorien einordnen lässt, nicht Freude, weil da ein Mensch dem Leben wiedergeschenkt ist und aus tiefer Dunkelheit erwacht, sondern stattdessen immer wieder der Versuch, ihn auf das festzulegen, was er gestern noch war.

Auch das Urteil über Jesus steht bald schon fest: „Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält.“

Das Überzeugtsein von der eigenen Position, das ganze religiöse Wissen, verbaut den Raum für eine neue Erfahrung und den freien Blick:

„Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.“

Während der Blindgeborene tastend, suchend die Augen immer weiter öffnet und zu verstehen beginnt, was an ihm geschehen ist und wer da an ihm gehandelt hat, scheitert der mühsame Prozess er Heilung derer, die meinen, sie wären nicht blind.

 

Wenn wir den Mut haben, uns im ganzen dieses Evangeliums, in beiden Seiten gespiegelt zu sehen, dann ist es zugleich aufrüttelnd und tröstlich, was uns da heute erzählt wird:

Nicht das immer nur bruchstückhafte Sehen und Glauben lässt uns den Herrn verfehlen, sondern die Selbstgerechtigkeit und das allzu sichere Wissen. Wer sich aber durch Blindheit und Dunkel hindurch fragend, tastend  und suchend auf die Begegnung mit Jesus einlässt, der kann ihn finden.

 

Als Jesus hört, dass der Blindgeborene, den er geheilt hat, aus der Gemeinschaft der Frommen und Rechtgläubigen ausgeschlossen worden ist, spricht er ihn noch einmal an. Und jetzt,  erst ganz am Ende dieser langen Wundergeschichte ist dann auch ausdrücklich vom Glauben die Rede.

Offensichtlich ist das Bekenntnis des Glaubens nicht die Voraussetzung dafür, dass Gott sich uns zuwendet. In der Logik dieser Erzählung ist es vielmehr gerade umgekehrt: die Möglichkeit zu glauben erwächst allmählich aus der Erfahrung, von Gott wahrgenommen, geliebt und zum Leben berufen zu sein.

 

Vielleicht ist es ja das, wofür uns das Evangelium heute die Augen öffnen will:

Angesichts der Grenzen, an denen wir in unserem Leben leiden, mancher Handicaps, unserer Belastungen und Enttäuschungen erweist sich die Fixierung auf die Frage, woher das kommt und durch wessen Schuld uns oder anderen etwas zugemutet wird, als verfehlte Perspektive. Wir sind nicht auf die Vergangenheit und die vertanen Chancen festgelegt.

Unsere Wunden und unsere Grenzen zeigen sich vielmehr manchmal gerade als der Ort, an dem Gott auf uns wartet, um uns über uns selbst hinauszuführen. In unserem Ungenügen und in unserem Schmerz meldet sich eine Stimme der Sehnsucht, mit der wir, vielleicht ohne es schon zu wissen, nach dem Gott rufen, der uns befreit und heilt. Und längst bevor wir ihn im Glauben bekennen und benennen ist dieser Gott darin wohl schon anwesend, gegenwärtig und will, dass sein Werk auch an uns offenbar werden soll.

Amen