5. Fastensonntag - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 17. März 2013
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

5. Fastensonntag - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder,

eines Tages, so wird erzählt, schlug Franz von Assisi einem jungen Mitbruder vor, gemeinsam in die Stadt zu gehen, um dort zu predigen.
So machten sie sich also auf den Weg nach Assisi.
Sie gingen durch die Straßen und über den Marktplatz der Stadt, ganz vertieft in ihr Gespräch und den Austausch ihrer geistlichen Erfahrungen und Erkenntnisse.
Als sie wieder auf dem Weg nach Hause waren, rief der junge Mitbruder des Franziskus auf einmal ganz erschrocken aus:
„Aber Vater, wir haben ganz vergessen, den Leuten zu predigen!"
Franz von Assisi legte lächelnd die Hand auf die Schulter des jungen Mannes:
„Wir haben", sagte er, „ die ganze Zeit nichts anderes getan. Wir wurden beobachtet. Vielleicht wurden Teile unseres Gesprächs gehört. Unsere Gesichter und unser Verhalten wurden gesehen. Und so haben wir gepredigt."
Und dann fügte er noch hinzu:
„Merke dir: Es hat keinen Sinn zu gehen, um zu predigen, wenn wir nicht beim Gehen predigen."

Am Mittwochabend vergangener Woche waren die Augen der Welt auf den Balkon des Petersdoms gerichtet und auf das Gesicht und das Verhalten eines älteren Herrn, der dort seine erste Ansprache hielt:
„Liebe Brüder und Schwestern, guten Abend!"
Mehr als die einfachen Worte, die der neue Papst bei dieser Gelegenheit gefunden hat, haben sein Auftreten selbst und die Zeichen, die er dabei gesetzt hat, beeindruckt und die Phantasie der Menschen wie die Hoffnung der Gläubigen beflügelt:
Die Schlichtheit seiner weißen Soutane und der Verzicht auf die Insignien der Macht. Dass er kein prunkvolles Kreuz angelegt hatte. Die Demut, mit einer tiefen Verneigung zuerst um das Gebet der anderen zu bitten, ehe er sie segnet.
Der Name, den Jorge Mario Bergoglio sich als Papst gewählt hat, steht für das alleranspruchvollste Programm: der heilige Franziskus wusste sich berufen, eine von innen her verfallende Kirche wieder aufzubauen, indem er ihr in der Zuwendung zu den Armen und zur Armut in der Nachfolge Jesu den Weg zur Mitte wies und das Fundament wieder freilegte, auf das sie gegründet ist.

Gewaltig erscheinen die Herausforderungen, vor denen dieser neue Papst steht. Und groß sind die Erwartungen, die sich auf ihn richten. Nicht nur bei Katholiken und Christen anderer Konfessionen. Sondern bei allen „Menschen guten Willens", denen er zum ersten Mal den Segen „urbi et orbi" gespendet hat.
Am Mittwochabend hat er sich als Diener, als „Bruder Papst" vorgestellt, der mit seinen Brüdern und Schwestern einen Weg beginnen will.

Niemand vermag heute zu sagen, wie dieser Weg verlaufen wird.
Für einen Augenblick aber ist hinter der Person dieses bescheidenen Mannes dort auf dem Balkon über dem Petersplatz das Bild einer Kirche aufgeleuchtet, die nicht nur daherkommt, um zu predigen, sondern die beim Gehen predigt.

Einer Kirche nicht der fertigen Antworten, sondern des Zuhörens und der Zuwendung.
So sah man ihn dann ja auch tags darauf in einem Bild in den Zeitungen: als Erzbischof von Buenos Aires mit anderen in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit im Gespräch mit einem Fahrgast, zuhörend.
Theologisch sei er ein Konservativer, ist inzwischen zu lesen. Aber das war Johanes XXIII. auch. Der aber hatte, wie er selbst einmal festgestellt hat, ziemlich große Ohren, wie geschaffen dazu, in den Fragen der Menschen die Zeichen der Zeit herauszuhören und sie im Licht des Evangeliums zu deuten.
Was seither über den neuen Papst bekannt geworden ist, passt in dieses Bild:
einer Kirche, die im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils an der „Freude und Hoffnung, der Trauer und Angst der Menschen in der Welt von heute , besonders der Armen und Bedrängten aller Art" teilnimmt und die sich mit ihnen auf dem Weg des Fragens und Suchens unterwegs weiß, auch noch im Scheitern und in der Schuld, darin verstrickt und verwickelt und gerade so ein wirkliches Zeichen und Zeugnis des Vertrauens, dass Christus mit jedem Menschen verbunden ist.

Denn das ist zutiefst das Geheimnis, aus dem die Kirche lebt und von dem sie auf ihrem Weg durch die Zeit und Geschichte Zeugnis zu geben hat:
Dass sie, obwohl sie weiß, selbst die Kirche der Sünder und eine sündige Kirche zu sein, auf die unzerstörbare Liebe Gottes vertraut, durch die allein sie heilig, geheiligt ist.

In einer fast mystischen Deutung hat deshalb der große katholische Theologe Karl Rahner das heutige Evangelium, auf das ich am Ende wenigstens noch einen Blick werfen will, auf die Kirche bezogen:
Sie erkennt sich selbst in jener Ehebrecherin. Sie ist untreu geworden. Sie hat den Herrn verraten und ist zum Ärgernis geworden. Er aber ist treu:

„In allen Jahrhunderten stehen neue Ankläger neben „dieser Frau". Und schleichen immer wieder davon, einer nach dem anderen, denn es fand sich nie einer, der selbst ohne Sünde war.
Und am Ende wird der Herr mit der Frau allein sein. Und dann wird er sie aufrichten, anblicken und sie fragen: „Hat keiner dich verurteilt?" Und sie wird verwundert sein und bestürzt, dass keiner es getan hat. Der Herr aber wird ihr entgegengehen und sagen: „So will auch ich dich nicht verurteilen." Er wird ihre Stirn küssen und sprechen: „Meine Braut, heilige Kirche."

Davon beim Gehen zu predigten, auf dem Weg durch die Zeit und das Leben, ist der Auftrag der Kirche: vom Geheimnis der vorbehaltlosen Liebe und Treue Gottes.
Diesen Weg gemeinsam zu gehen, als einen Pilgerweg des Vertrauens und der Barmherzigkeit, hat der neue Papst uns eingeladen.