Allerheiligen - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 1. Nov. 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Allerheiligen - Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

heute feiern wir sie alle. Heute feiern wir die „Freunde Gottes allzugleich" wie wir es im Eingangslied gesungen haben.

Wir feiern nicht nur die großen Vorbilder der Nächstenliebe, der Mystik, Buße und Askese, deren Namen die Kirchengeschichte kennt und der Heiligenkalender verzeichnet. Auf die wir wohl manchmal mit einem Gefühl ehrfürchtiger Bewunderung schauen. Oft aber auch mit Fremdheit und Beklemmung, weil wir schon wissen: das werden wir niemals schaffen! So entschieden und klar wie diese werden wir unser Christsein wohl niemals leben können! 

Nein: heute feiern wir sie alle.

Nicht nur die strahlenden Helden der Nachfolge. Und man müsste dem Lied von den „Freunden Gottes" eigentlich noch eine Strophe hinzudichten:

Für die Heiligen des Alltags, die anonym gebliebenen Christen, die sich bemüht haben, ihr Leben und ihren Lebensstil am Leben Jesu auszurichten. Vielleicht sehr alltäglich und fast unbemerkt. Aber doch so, dass etwas von der Selbstlosigkeit und Güte, der Barmherzigkeit und dem Vertrauen, zu dem uns unser Glaube ermutigt, an ihnen wahrnehmbar geworden ist.

Es sind die, die - nach einem Wort der Dichterin Hilde Domin - „für einen Augenblick ihr eigenes Schwergewicht überwunden haben".

Die sich fallen lassen konnten, loslassen und tragen vom Geist Jesu Christi, leicht geworden, und sei es nur für einen Augenblick ihres Daseins, frei von der Sorge um sich selbst. Und die so für andere, für uns, zu Zeugen des Vertrauens geworden sind. 

Die Schrift sagt, es sei eine Schar, die niemand zählen kann.

Deshalb dürfen wir diese Heiligen durchaus auch in unseren Reihen suchen.

Wir sind ihnen schon begegnet. Wahrscheinlich wäre wir sonst gar nicht hier: Stärker als die Lektüre von Heiligenlegenden prägt uns doch das Leben von Menschen, die mit uns und vor uns versucht haben ihren Glauben zu leben.

Sollten wir heute oder in den nächsten Tagen auf den Friedhof gehen - oft genug werden wir Grund haben, an einem Grab zu verweilen und zu sagen: Dank sei Gott, wieviel Licht und Wärme hast Du durch diesen Menschen in mein Leben gebracht. Durch seinen Humor, durch seine Zuversicht, durch seinen Beistand, durch eine Geste oder ein Wort, die er mir mitgegeben hat und die bis heute in mir nachklingen. Wie arm wäre ich geblieben ohne ihn.

Der Blick auf diese anonymen Heiligen, auf unsere Weggefährten im Glauben, die Erinnerung an Eltern und Lehrer, Seelsorger und Freunde, die es vermocht haben, in aller Gebrochenheit, an die wir uns dann vielleicht auch erinnern, wenn wir an ihren Gräbern stehen, etwas vom Evangelium zu leben und von denen wir spüren, dass ihr Leben vor Gott gelungen ist, mag uns dann auch selbst Mut machen für unseren eigenen Weg zur Heiligkeit. Auch wenn wir vor diesem großen Wort vielleicht zurückschrecken.

 „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat", heißt es im Johannesbrief, „Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es."

Wahrscheinlich werden wir keine heroischen Tugenden entwickeln und auch keine strahlenden Helden der Nachfolge werden.

Das heutige Fest erinnert uns aber an unsere Berufung, das zu werden, was wir sind: Kinder Gottes:

Menschen, die das Gelingen ihres Lebens nicht zuerst und vor allem von sich selbst und der eigenen Anstrengung und Leistung erwarten, sondern als Geschenk einer Liebe, die all unserem Mühen zuvorkommt.

Die deshalb auch nicht verzweifeln müssen, wenn sie auf dem Weg des Glaubens und der Nachfolge sich doch immer wieder in Schuld verstricken und in Halbheiten steckenbleiben.

Die dankbar bekennen dürfen: trotz allem, was dagegen zu sprechen scheint in dieser Welt und in uns selbst, glauben wir. Und in diesem Glauben wissen wir uns von Gottes Liebe gehalten und zum Vertrauen gerufen. 

Darum heißt es: „Jeder der diese Hoffnung auf Gott setzt, der heiligt sich".

Wen diese Hoffnung, dieser Glaube, dieses Vertrauen im Leben trägt, der kann erfahren, und sei es eben für einen Augenblick, für einen Moment seines Daseins, wie das „eigene Schwergewicht überwunden" wird und dass es möglich ist, wie frère Roger Schutz, der Gründer von Taizé es einmal formuliert hat, das vom Evangelium zu leben, was man begriffen hat und was die Situation erfordert. Mag es auch wenig sein oder wenig scheinen.

Und auch wenn wir es dann nie wirklich durchhalten, aus dem Geist der Bergpredigt zu leben, als Menschen der Versöhnung, des ersten Schritts, der Großmut, der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, als solche, die von der Selbsthingabe mehr erwarten als von der Selbstbehauptung,

auch wenn wir immer wieder in alte Muster zurückfallen und von der eigenen Schwerkraft doch wieder nach unten gezogen werden

und am Ende schließlich wirklich keine strahlenden Heiligen sind, sondern uns eher als Sünder erfahren,

dann ist gerade das noch einmal ein Grund des Vertrauens und der Hoffnung:

denn es sind eben genau die unvollkommenen Menschen, die Sünder, die die unendliche und unbedingte Liebe Gottes auf sich ziehen und die er in Christus annimmt als seine Kinder. 

Darum feiern wir sie an „Allerheiligen": alle die „Freunde Gottes", die wie wir auf dem Weg des Glaubens, suchend und angefochten, gegangen sind. Und in ihnen feiern wir unsere Hoffnung.

Amen