Christmette - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
Mi. 24. Dez. 2014
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Christmette - Pfr. Stefan Schäfer


Liebe Schwestern und Brüder,

in diesen Weihnachtstagen zieht eine hilflose Prozession landauf, landab durch die Stationen der Krankenhäuser und Pflegeheime. Ärzte und Pflegepersonal treten an die Betten derer, die über die Feiertage nicht nachhause können und wünschen ein „frohes Fest". Es treten dann manchem die Tränen in die Augen.
Um den Weihnachtsbaum im Foyer des Mainzer Thaddäusheims sind zu dieser Stunde die Obdachlosen versammelt, die dort ihre Schlafstätte haben. Manche wohl in Gedanken versunken, die einem Leben gelten, das irgendwann einmal aus den Fugen geraten ist.
Und auch in den Strafanstalten, bei den harten Jungs, dürfte heute heimlich geweint werden.

Das ist verständlich.
Und es ist gar nicht allzu weit von dem entfernt, wie wir selbst, deren Leben wahrscheinlich doch eher in bürgerlich geordneten Bahnen verläuft, das Weihnachtsfest manchmal erleben. Auch wir empfinden klarer vielleicht als sonst im Jahr an Weihnachten die Diskrepanz zwischen dem, wie es ist und dem, was wir wünschen und wie es eigentlich sein sollte. Auch uns ist die Traurigkeit wahrscheinlich nicht völlig fremd, die einen unterm Weihnachtsbaum für Augenblicke ergreifen kann.
Wir wären gerne liebevoller und gütiger. Und sind über´s Jahr doch immer wieder gezwungen mit harten Bandagen uns zu behaupten. Und auch am Heiligen Abend bringt vielleicht das Geschenk, das wir ausgewählt haben, nicht wirklich zum Ausdruck, was wir sagen wollten und fällt uns das richtige Wort nicht ein, das dem andern sagen würde, was er uns bedeutet. Manchmal spüren auch wir mitten im Fest eine Trauer, eine Einsamkeit, die wir nicht wegschieben können.

Wir sollten nicht meinen, solche Gefühle verdrängen und überspielen zu müssen. Als würde Weihnachten von uns fordern, in festliche Kleidung zu schlüpfen, die uns zu weit ist und vor uns selbst und einander eine Rolle zu spielen. Das Gefühl, manchmal im eigenen leben ein wenig fremd herumzustehen, bringt uns der Geschichte, die am Ursprung von Weihnachten steht, sehr viel näher, als alle Feierlichkeit, Harmonie oder auch Frömmigkeit, zu der wir uns zwingen müssten:
Das Licht, von dem uns heute und alle Jahre wieder erzählt wird, leuchtet ja gerade deshalb so hell und strahlend und Wärme verbreitend, weil es in einer dunklen und kalten und alles andere als heilen Welt aufgeht.

Wenige Verse zeichnen die Szene. Sie geben ein Bild von der Bedrohtheit und Zerbrechlichkeit unseres Lebens:
Wir hören von einem Mann, einer Frau und einem neugeborenen Kind. Wir ahnen etwas von ihrer Armut. Und davon, wie schrecklich es sein muss, in dieser Situation äußerster Angewiesenheit vor verschlossenen Türen zu stehen. Wir hören von der Krippe draußen und sehen den Stall, die letzte Zuflucht der Armen, „weil in der Herberge kein Platz für sie war".
Über dieser Szene geht das Licht auf. Und wir hören vom Glanz, der mitten in dieser Nacht, in Dunkelheit und Kälte, aufgeht und von der Botschaft der Engel.

Es sind nur wenige Verse. Und doch zeichnen sie eine Szene, in der schon alles enthalten ist, was das Christentum als Geheimnis des Glaubens verkündet und als frohe Botschaft seit 2000 Jahren in diese Welt getragen und ihr eingeschrieben hat. Überall auf der ganzen Welt, wo heute Weihnachten gefeiert wird, leuchtet sie denen, die arm sind und draußen stehen, den Einsamen und den Traurigen, den Suchenden und denen, die noch eine Sehnsucht im Herzen haben:

Die Weihnachtsgeschichte zeigt uns einen Gott, der sich gerade nicht auf Sonnenseite zu den Glücklichen, auf die Seite der Gewinner, der strahlenden Sieger schlägt;
der es vorzieht im Stall geboren zu werden, als Kind kleiner Leute und der keinen Ort hat, wo er sein Haupt niederlegen kann.
Sie zeigt uns einen Gott, der in der Ohnmacht dieses Kindes all denen nahekommt, die selbst schwach sind und wenig gelten: zuerst den Hirten. Später dann den Zöllnern und Dirnen, den Kranken, den Sündern und irgendwie an den Rand und ins Abseits Gedrängten.

Sie spricht uns von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, die uns darin aufleuchtet, dass er unser Menschsein angenommen hat. Gerade auch in seinen dunklen Seiten: Einsamkeit und Armut, das Schicksal des Fremden, vor dem sich die Türen verschließen, ja selbst die Möglichkeit eines letzten Scheitern hat er - am Kreuz - mit uns geteilt.

Wir ahnen mehr, als dass wir es auch nur im Ansatz verstehen könnten, was uns da erzählt und zugesprochen wird:
Weiter kann Gott in seinem Erbarmen nicht gehen als sich so klein zu machen, um uns in Armut zu begegnen.
Seine Armut macht uns reich.
Denn sie stellt uns vor das Geheimnis einer Liebe, die sich entäußert und alles hingibt, um dem Geliebten nahe zu sein,
des Mitleidens Gottes mit uns Menschen und seiner Barmherzigkeit, die uns nachgeht, damit keiner verlorengeht:
Nicht die Alten und Kranken in den Krankenhäusern und Pflegeheimen,
nicht die Obdachlosen im Thaddäusheim und nicht die Gestrandeten in den Strafanstalten.
Und auch wir nicht. In deren Leben auch nicht immer alles glatt, harmonisch und ohne Brüche verläuft.
Allen ist er nahe in der Angewiesenheit und Zerbrechlichkeit dieses Lebens. In Trauer und Angst, in Freude und Hoffnung. In dem, was unser Leben ausmacht.

Unsere Lieder, die wir an Weihnachten singen, fordern uns auf, mit den Hirten zur Krippe zu gehen.
Manche von uns stimmen sie froh und gläubigen Herzens an.
Manche vielleicht auch eher zögerlich und wie auf Probe. Sie wissen nicht recht, ob sie diesen Liedern noch glauben und wünschen sich vielleicht, es wieder zu können.
Denen aber, die sie in diesen Tagen angestimmt haben, um Mauern zu ziehen und mit Weihnachtsliedern angesungen haben gegen ihre Angst vor den Fremden, ist der Gesang zum Gegröle geraten. Sie verstehen nicht, was sie da eigentlich singen und treten das Erbe, das sie meinen verteidigen zu müssen, in Wahrheit mit Füssen.
Denn diese Lieder fordern uns auf, uns mit den Hirten einzureihen in die Prozession all derer, die unbehaust sind und draußen stehen, der Armen und Bedürftigen, der Außenseiter und Verachteten, der Fremden. Solidarisch mit ihnen. Weil wir selbst doch auch Bedürftige sind.

„Wenn dieses Kind/ nicht geboren wäre für uns" so heißt es in einem Gedicht, das mir dieser Tage n die Hände gefallen ist, „das eine/ im Stall weil seine Eltern/keine Herberge fanden/ wie wagten wir selbst/Heimatlose zu sein und unterwegs/zwischen den Zeiten/Suchende unbehaust/unter den Sternen" (Gertrud Fussenegger).

Dazu feiern wir Weihnachten:
In Armut pilgern wir zum Stall.
Das Kind in der Krippe beschenkt uns mit dem Ja der Liebe, das Gott ein für alle Mal zum Menschen, dem konkreten, tatsächlichen Menschen, nicht einem erträumten, perfekten Menschen, in Größe und Elend gesprochen hat.
Dieses „Ja" leuchtet als Licht auf unserem Weg, im Fragen und Suchen.
Es führt uns zueinander und aus unserer Einsamkeit:
denn es leuchtet auf im Antlitz des Andern, vor allem des Schwachen, in dem wir sein Ebenbild und zugleich den Bruder, die Schwester erkennen.

Amen