Erster Weihnachtsfeiertag, Pfr. Stefan Schäfer

Gott wird Mensch, der unermessliche Gott begibt sich in die Enge und Endlichkeit eines Neugeborenen, der Ewige begegnet uns in der Geschichte:

Datum:
Di. 25. Dez. 2018
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

Gott wird Mensch, der unermessliche Gott begibt sich in die Enge und Endlichkeit eines Neugeborenen, der Ewige begegnet uns in der Geschichte: So vertraut uns solche Formulierungen auch klingen mögen – eigentlich wird uns an Weihnachten eine provozierend paradoxe Botschaft verkündet. An ihr muss jeder Versuch scheitern, sie mit dem Verstand einzuordnen und zu begreifen.

„Der Urheber der Schöpfung bekleidet sich aus Liebe selbst mit einem menschlichen Wesen, indem er es ohne Abstriche in einer Person mit sich vereinigt." So versucht ein christlicher Autor des 6. Jahrhunderts, Maximus der Bekenner, das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Worte zu fassen. Um dann angesichts des Satzes, den er gerade niedergeschrieben hat, in ungläubiges Staunen zu verfallen: „Ein wahrhaft unerhörter Gedanke und eine Botschaft, die erschüttert."

„Ich weiß nicht", lässt Jean Paul Sartre eine Figur in einem seiner Theaterstücke sagen, „was einen Gott zum Menschsein verlocken könnte. Ein Gott-Mensch, ein Gott, aus unserem gedemütigten Fleisch gebildet. Ein Gott, der erfahren wollte, wie der Salzgeschmack auf unserer Zunge schmeckt, wenn uns alles verlassen hat, ein Gott, der alles Leiden im Voraus auf sich nähme, das ich heute leide . . .Nein, ein Unsinn."

Ja, es ist Unsinn. Es ist ein Ärgernis und eine Torheit vor unserer Vernunft.

Der Glaube aber erkennt in dieser Botschaft vom menschgewordenen Gott das Geheimnis einer Liebe, die größer nicht sein kann, die Torheit der Liebe Gottes, der alles hingibt, sich entäußert und herabsteigt, um dem Geliebten nahe zu sein.
Gott kennt den Salzgeschmack auf der Zunge, wenn uns alles verlassen hat. Er kennt noch mehr: unsere Armut, unsere Not, unsere Versuchung und ihre Abgründe, die Passion und den bitteren Tod.
Wir ahnen: näher kann er uns nicht kommen als so: indem er Mensch wird, nicht nur zum Schein oder vorübergehend, sondern in vollem blutigen Ernst. Weiter kann die Liebe nicht gehen. Weiter kann selbst Gott nicht gehen. Er erweist seine Macht, indem er die Ohnmacht seines Geschöpfes annimmt:
„ein wahrhaft unerhörter Gedanke und eine Botschaft, die erschüttert."

„Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten", heißt es im Hebräerbrief. Seine Menschwerdung aber ist ein letzter, der äußerste Schritt seines Erbarmens.

Aber auch das gehört zur Botschaft von Weihnachten: dass diese Welt, dass das Herz des Menschen sich dem in der Ohnmacht der Liebe nahekommenden Gott, sich dem Erbarmen verschließt.
„Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst."

Auch wir tun uns schwer, zumindest dann, wenn die Festtage vorüber sind und der Alltag uns wiederhat, in dem man doch besser mit harten Bandagen und spitzen Ellbogen unterwegs ist, mit dieser Botschaft der Liebe und des Erbarmens, mit diesem Gott, der wehrlos wird, um uns als reine Güte und Menschenfreundlichkeit zu begegnen. Das Licht ringt mit dem Dunkel. Auch in uns: Das Mitgefühl ringt mit der Gleichgültigkeit, die Großmut mit unserer Angst um uns selbst, das Vertrauen mit der Vernunft und dem rechnenden Denken, die nach Sicherheiten fragen.
Dass Gott uns so, in dieser Weise nahekommt, in der Ohnmacht der Liebe, wird auch uns, die wir es doch glauben möchten, immer wieder überfordern:
Was ist das für ein Gott, der in unserer Haut steckt, der Haut, aus der wir doch manchmal fahren möchten, der ohnmächtig wird, um die Last unseres Lebens mit uns zu teilen, anstatt in seiner Allmacht uns endlich aus unseren Grenzen, aus dem, was uns bedrückt, herauszureißen? Können wir ihm den wirklich für unser Leben vertrauen?
Auch wir werden ihn immer wieder abweisen, diesen Gott. Nicht ausdrücklich und nicht bewusst, aber in der Praxis unseres alltäglichen Lebens, das dann bald doch wieder den Grundsätzen folgt, die uns Menschenvernunft und Erfahrung nahelegen. Und vertrauen doch lieber der eigenen Macht und schlagen uns auf die Seite der Starken als uns im Ernst auf das Angebot, die Einladung zur Liebe und zum Erbarmen einzulassen und, dem Weg Gottes, wie er in der Weihnachtsbotschaft aufleuchtet, folgend, von der Hingabe mehr zu erwarten als von der Selbstbehauptung.

„Er kam in sein Eigentum. Aber die Seinen nahmen ihn nicht auf."

Weihnachten ist auch ein beunruhigendes Fest. Nicht nur das Fest der Besinnlichkeit: Gott offenbart sich in der Zumutung, der Torheit, ein Mensch zu werden. Das ist eine Botschaft, die erschüttert, weil sie an die Grundsätze geht, nach denen wir leben:

Das Wort, das im Anfang war, in dem diese Welt erschaffen ist, und das uns ins Leben ruft: an Weihnachten offenbart es sich als Liebe und als Erbarmen und begegnet in der Armut, der Ohnmacht und Angewiesenheit eines Kindes.
Wird uns vor dieser Botschaft der Glanz aus der Krippe, der uns in der Christmette zu Herzen geht, zum Licht auf dem Weg auch noch im Alltag unseres Lebens?
Können wir glauben, dass, gegen alle Vernunft und Erfahrung, was als Torheit erscheint, eben doch trägt und die Güte, die uns im menschgewordenen Gott aufscheint, tiefer reicht als alles, tiefer als alles Böse und Gemeine, tiefer als das Leid, die Sinnlosigkeit und der Tod?
Und dass sie in Wahrheit die Kraft ist, die die Welt im Innersten zusammenhält?

Maximus der Bekenner, mein Gewährsmann aus der Frühzeit des Christentums, sagt es so:
„Gott hat die Liebe zu einem strahlenden Weg gemacht, zu einem wahrhaft göttlichen Weg, der zu ihm führt. Man kann sogar sagen, dass dieser Weg selbst Gott ist."

Weihnachten stellt uns auf diesen Weg. Wir werden auf ihm immer wieder straucheln und immer wieder mit dem Kompass unserer kleinen Vernunft eigene Wege gehen wollen.
Die Güte, das Erbarmen, die Liebe, ganz konkret der Einsatz für unseren Nächsten und zuerst für den Armen, in dem uns inkognito der menschgewordene Gott selbst begegnet, aber sind die Lichtpunkte, die unserem Tasten und Suchen Orientierung geben.
Wo wir uns darauf einlassen, werden wir dann auch immer wieder Anlass haben, in den dankbaren Jubel derer einzustimmen, die einen Grund und das Licht der Wahrheit für ihr Leben - und sei es vielleicht auch immer nur für Augenblicke - berührt und gefunden haben.
Den Jubel, in dem unser heutiges Evangelium mündet:

„ . .wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater. Voll Gnade und Wahrheit."

Amen