Grusswort des PGR - Herr Stillemunkes

Datum:
So. 6. Jan. 2013
Von:
Herr Stillemunkes

Grusswort des PGR - Herr Stillemunkes

 

Sehr geehrter, lieber Herr Pfarrer Egon Retsch,

 

Sie feiern heute Ihr goldenes Priesterjubiläum, den fünfzigsten Jahrestag Ihrer Priesterweihe - und wir mit Ihnen;  das sind fünfzig Jahre Verkündigung des Wortes Gottes, Seelsorge, Wirken als Diener Christi.  Dazu gratulieren wir Ihnen sehr herzlich, die ganze Gemeinde und der Pfarrgemeinderat. Und zugleich danken wir Ihnen sehr herzlich für die vielen Jahre, in denen Sie diesen Dienst in unserer Gemeinde und für uns geleistet haben - das reicht ja weit über die Zeit hinaus, in der Sie als Pfarrer von St. Stephan wirkten.

 

Lieber Herr Retsch,

 

nur wenige Monate vor Ihrer Priesterweihe begann das Zweite Vatikanische Konzil. Dass das Konzil sich auch mit den Priestern beschäftigte, ist nicht so stark im Bewusstsein wie die  zentralen Entscheidungen zum Verständnis der Kirche, zur Religionsfreiheit, zum Verhältnis zum Judentum.  Am 6.3.1963 wurde ein Schema, das sich den Priestern widmete, vorgelegt - zunächst hieß es noch „de clericis". Im Laufe der Beratungen erhielt es einen anderen Zuschnitt und wurde schließlich unter der Überschrift „Presbyterorum ordinis"  am 7.12.1965, also einen Tag vor dem Ende des Konzils verabschiedet. Es soll hier erwähnt werden, weil der Priester Egon Retsch in vielerlei Hinsicht beanspruchen darf, dem dort gezeichneten Bild des Priesters zu entsprechen. Das hat gerade seine Zeit in St. Stephan bewiesen. Ich nenne einmal neben der Hauptaufgabe der Verkündigung : die Zusammenarbeit mit den gläubigen Laien, die Erfüllung des seelsorglichen Auftrags mit der Bereitschaft „wenn nötig, auch neue Weg der Seelsorge zu gehen"; ausdrücklich wird in dem Text auch  festgehalten, dass den Priestern die Lebensverhältnisse der ihnen anvertrauten Menschen nicht „fremd" sein dürfen, dass sie ihre Herde kennen müssen - und das bedeutet doch wohl auch, dass die Geselligkeit gepflegt werden soll, dass ein Glas Rotwein mit den Pfarrkindern, dass unsere gelegentlichen gemeinsamen Abendessen früher  bei Michele und im Gautor  den konziliaren Segen haben.

 

Nur an einer Stelle muss ich einräumen, dass es wohl Schwierigkeiten gibt.  Im Zusammenhang mit Verkündigung und Predigt gibt es eine Stelle, an der es heißt: „ Die Priester schulden also allen, Anteil zu geben an der Wahrheit des Evangeliums, deren sie sich im Herrn erfreuen."  Und dann geht es weiter: „Niemals sollen sie ihre eigenen Gedanken vortragen, sondern immer Gottes Wort lehren..." Aber wie soll man Gottes Wort ohne eigene Gedanken verkündigen? Wie soll man das, wenn der gleiche Text verlangt, man müsse die heutigen Lebensverhältnisse beachten?

Ich kann jedenfalls aus den mehr als zwanzig Jahren, in denen ich Predigten von Egon Retsch hören und genießen durfte, nur sagen: Egon Retsch ist absolut unverdächtig, dieser Forderung  gefolgt zu sein. Niemals hat er sich dieser merkwürdigen Vorgabe unterworfen, keine eigenen Gedanken vorzutragen! Alles war eigene Überzeugung und authentisch. Und dafür sei ihm gedankt!

 

Denn er geht keine ausgetretenen Trampelpfade und bietet nicht die gewohnten, häufig gehörten und hergebrachten Erläuterungen. Seine Ansätze sind eher unkonventionell. Predigten von Egon Retsch sind ein theologischer und sprachlicher Genuss. Er ist der Mann sprachlicher und theologischer Feinheiten. Seine Liebe gilt dem Detail. Auch dem Detail von Übersetzungen. Wie oft hat er auf kleine, aber wichtige Unterscheidungen in den Übersetzungen der Evangelien aufmerksam gemacht und der Einheitsübersetzung andere Möglichkeiten kontrastierend gegenübergestellt - und plötzlich öffneten sich noch ganz andere Horizonte, gewannen die Texte an Leuchtkraft, Tiefe, Dringlichkeit und Deutlichkeit.

 

Besonders häufig und gern greift er zu Fridolin Stier (1902-1981), einem Alttestamentler, dem wir eine beeindruckende Übersetzung des Neuen Testaments verdanken. Ich werde nicht vergessen, wie Retsch erläuterte, dass Stier den griechischen Ausdruck „kai idou" nicht mit „auf einmal" übersetzt, was wie beiläufig klingt, sondern mit einem kurzen ausrufartigen Satz: „Und da!"  Da spürt man, wie etwas Wichtiges, Großes, Neues passiert. Auch Stier war nun gewiss kein Mann der gewohnten Bahnen, des Üblichen, sondern eher ein Außenseiter. Gilt ihm deshalb die Sympathie Retschs?

 

Die Kirche hatte sich mit dem Zweiten Vatikanum erneuert und für die moderne Welt geöffnet; die sechziger Jahre, in die die ersten Priesterjahre Egon Retschs  fallen, waren dann insgesamt ein Jahrzehnt des Wandels - „dynamische Zeiten"  hat ein Historiker sein Buch darüber betitelt. Weitere Herausforderungen verlangten Antworten der Kirche. Egon  Retsch gehörte und gehört zu denen, die nach neuen Antworten suchen - und sie nicht allein im Bestehenden oder der Tradition finden. Er hat keine Angst vor dem Wandel, sondern eher vor dem Stillstand. In einer Predigt des vergangenen Jahres hat er sehr positiv Thesen kommentiert, die sich auf das Verhältnis von Priestern und Laien, von Mann und Frau und von Leitungsaufgaben von Frauen in der Kirche beziehen. Er bleibt ein kritischer Geist.

 

Weil er ungewöhnliche Wege in der Seelsorge ging, war er für Menschen interessant, die etwas Neues suchten, also für junge Menschen, deshalb war er auch ein beliebter Religionslehrer und Religionspädagoge. In Zeiten, in denen junge Menschen schwerer zum Glauben fanden, öffnete er neue Zugänge. Das kann er, weil er im Leben steht und die Fragen von heute ernst nimmt.

 

Und schließlich: Nein, Egon Retsch ist nicht der Mann der Mächtigen, er stellt ihnen Fragen nach dem Gebrauch der Macht und er erinnert sie an die Begrenztheit der Macht, er sieht die Kirche wie Jesus an der Seite der Machtlosen,  Retsch ist ein Vertreter des Sozialkatholizismus. Er hat enge Verbindungen zur Kolping-Familie, zur Tradition der katholischen Arbeiterbewegung.

 

 Pfarrer Retsch ist bei allem ein Mann der leisen Töne, der sparsamen und kleinen Geste, des ausgestreckten Fingers.

 

Lieber Herr Retsch, mögen wir noch oft Ihre eigenen Gedanken hören und mögen Ihnen noch viele Jahre geschenkt sein, vor allem gesunde!