Karfreitag - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
Fr. 22. März 2013
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Karfreitag - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Und er neigte das Haupt und gab den Geist auf."
Die Liturgie des Karfreitags sieht, nachdem dieser Satz gelesen worden ist, eine Gebetsstille vor: Jesus ist tot. Und in denen, die im Hören und innerlichen Mitgehen der Passion ihn auf seinem Leidensweg begleitet haben, soll in dieser Stille die Erschütterung angesichts des Geschehenen nachklingen.
Was geht uns dann durch den Kopf oder das Herz?

Wir waren Zeugen im Drama menschlicher Schuld: In einen Abgrund der Gewalttätigkeit haben wir geschaut, die immer wieder neu unschuldige Opfer fordert. Der Mitleidslosigkeit, der kalten Neugier, der Schadenfreude, der Schaulust, die sich weidet am Leid des andern, sind wir begegnet. Auch der Feigheit und dem Verrat, die sich lieber auf die Seite der vermeintlichen Sieger schlagen, als es beim Opfer auszuhalten. Und in alledem sind wir irgendwie auch uns selbst begegnet, haben einen Blick in die eigenen Abgründe getan:
„Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last. Ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast."
Wir sind der ganzen Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit unseres leiblichen Lebens begegnet. Wir haben ein Sterben begleitet. Waren Zeugen der Schmerzen, mit denen das verbunden sein kann. Und haben dabei vielleicht an Menschen gedacht, die wir kennen und lieben, die ihren eigenen Kreuzweg gegangen sind oder ihn gerade gehen. An Ängste und Verzweiflung und bittere Klagen. Und vielleicht haben wir uns auch gefragt, was uns selbst noch bevorsteht und wie wir es wohl bestehen werden.

Jesus ist tot. Und in der Stille, die eintritt, begegnen wir uns selbst.
Wir selbst stehen unter dem Kreuz als die in Schuld Gefangenen, als die, die immer wieder die Liebe schuldig bleiben, die ihren Anteil haben am Unrecht, dass hier so brutal zur Erscheinung kommt und schließlich: als die, die selbst dem Tod überantwortet sind.
„Ecce homo" - seht den Menschen!

Ist das alles? Wo ist Gott?

„Und er neigte sein Haupt und gab den Geist auf"."
In die Stille, in der die Erschütterung nachklingt, in der die Welt für einen Augenblick den Atem anzuhalten und Gott zu schweigen scheint, dringt eine andere Stimme. Leise und überhörbar. Eine Stimme tastender Hoffnung:
„Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!"

Im Blick auf diesen Sterbenden ist mehr zu erkennen als nur ein Bild unseres eigenen Lebens, Leidens und Sterbens. Noch vor dem Ostermorgen tut sich im Mitgehen dieser Passion, inmitten all der „Angst und Pein", die auch die unsere ist, ein Weg auf, eine Perspektive:

Der da den Geist aufgibt, gibt dabei nicht auf. Er gibt sich hin:
„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist", so lautet eines der kostbaren Kreuzesworte, die uns die Evangelien überliefern.
Noch im Tod, in dieser letzten Ausweglosigkeit, festgenagelt an das Kreuz, behält das Leben dieses Sterbenden eine Richtung: auf Gott zu. Auch wenn er fern ist. Auch wenn seine Gegenwart sich verdunkelt hat. Das ist der Fluchtpunkt seines Sterbens, wie es auch der Bezugspunkt seines ganzen Lebens gewesen ist.
Nun, da er sich selbst nicht mehr halten kann, lässt er sich Gott entgegenfallen.

„Vater, in deine Hände . . ."
Wenn dieses Wort eines letzten Vertrauens doch auch uns auf unserem Weg und in seinen Abgründen und Abstürzen leuchten könnte! Wenn wir doch lernen könnten, es ihm nachzusprechen: wenn wir schuldig geworden sind oder andere an uns schuldig werden, wenn wir scheitern und vor Wände laufen und es von uns her nicht mehr weitergeht: „in deine Hände . . .!"
Auch das ist eine Wahrheit, der wir begegnen, wenn wir den Kreuzweg mitgehen:
Wir haben uns ja selbst nicht und niemals wirklich in der Hand. In allem, was uns zutiefst betrifft, sind wir immer uns selbst entzogen und eigentlich Empfangende: Im Schönen wie im Schweren unseres Lebens. Und meinen doch immer wieder, wir müssten uns selbst schaffen. Noch im Sterben suchen wir uns festzuhalten und vermögen es nicht uns loszulassen. Noch im Tod wollen wir allein von der Freiheit leben, die wir uns selbst eröffnen. Statt sie von jenem manchmal dunklen Geheimnis am Grund unseres Lebens zu erhoffen, das wir meinen, wenn wir „Gott" sagen.

Der Mann am Kreuz hat uns das Leben und das Sterben nicht abgenommen oder verschönert. Im Blick auf ihn begegnen wir der nackten Wahrheit über uns selbst: Gewalttat und Schuld und dem Schmerz unserer Endlichkeit.
Aber er hat einen Sinn aufgedeckt in seinem Sterben und einen Weg gewiesen, den wir gehen können, inmitten all dessen, was uns bedrängt: Wir können uns in Gottes Hand geben. Wer sonst könnte uns tragen, auch über Abgründe unserer Angst und Schuld?

Bis in die Klage seiner Gottverlassenheit hinein macht Jesus sein Sterben zur letzten konsequenten Tat der Hingabe an Gott.
„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist."

Nehmen wir sein Wort mit in die Stille unseres Gebets. Es könnte zum Gebet unseres Lebens werden. Und etwas in uns könnte zu heilen beginnen.
Wir dürfen uns loslassen.
Der Tod, auf den wir zulaufen und der in seinen Vorboten schon mitten im Leben anwesend ist, ist nur der endgültige Ausdruck dafür, dass wir nicht aus uns selbst und unserer eigenen Macht leben. Dass wir uns aber aus der Hand eines anderen empfangen: das ist die Hoffnung, die unserem Leben Richtung geben kann.
Jede noch so kleine Tat wirklich selbstloser Liebe im Alltag unseres Lebens ist ein Schritt auf diesem Weg: der Hingabe, des Loslassens. Ein Schritt, der uns tiefer in das Vertrauen führen kann, dass der das Leben findet, der es verliert um es als Geschenk neu zu empfangen. Eine Einübung ins Sterben.
Bis es dann einmal endgültig gilt, uns mit unserer Endlichkeit in den unendlichen Abgrund fallen zu lassen, den wir Gott nennen und dem Herrn nachzusprechen:
„Vater in deine Hände lege ich mein Leben".

Amen