Ostern 2014 -  Pfr. Schäfer

Datum:
So. 20. Apr. 2014
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Ostern 2014 -  Pfr. Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

er konnte wohl ganz ungeheuer stur sein. Wenn er etwas für richtig erkannt hatte, ließ er sich nicht mehr davon abbringen.
Wäre er nicht so stur - man könnte freilich auch sagen: so standhaft und mutig - gewesen, würde er heute noch leben.

Am Montag vergangener Woche wurde Pater Frans van der Lugt erschossen. Er war der letzte Pfarrer in der Altstadt von Homs, jenem Brennpunkt des Krieges in Syrien, wo seit fast zwei Jahren die Zivilbevölkerung zwischen Rebellen und Regierungstruppen eingekesselt ist. Gegen den Rat und schließlich wohl auch die ausdrückliche Weisung seiner Vorgesetzten im Jesuitenorden, die ihn drängten, endlich zu gehen, blieb er auf seinem Posten.
Er sah für sich keine Wahl.
Er konnte diese verzweifelten Menschen nicht im Stich lassen. Er spendete ihnen Trost. Er hielt Gottesdienst und begrub ihre verhungerten Neugeborenen.
Mit großer Sanftheit, so wird er geschildert, sei er diesen Ärmsten und Schwächsten begegnet, deren Leben er sich entschlossen hatte zu teilen und mit einer großen Freundlichkeit, ohne Ansehen ihres Glaubens.
Den Kämpfern wollte er ein Beispiel geben, dass man die Welt nicht durch Gewalt gewinnt, sondern durch Liebe.
Man kann nur spekulieren. Aber vielleicht lag gerade darin das Motiv seines Mörders, der ihn mit zwei Kopfschüssen tötete: Wo der Hass das Denken bestimmt und wo die Gewalt herrscht, ist der Friedfertige eine Provokation.

Der Tod von Pater Frans van der Lugt hat bei uns keine Schlagzeilen gemacht. Die Wochenzeitschrift „ Die Zeit" hat ihm in Ihrer Osterausgabe mit einem Artikel jetzt ein kleines Denkmal gesetzt.

Ma könnte versucht sein, sich angesichts dieses Todes in Resignation oder gar in Zynismus zu retten: Wieder ein Beispiel, eines von unzählbar vielen, dafür, dass Sanftmut und Güte sich nicht lohnen, und dass der Friedfertige in dieser Welt unterliegt.
Wenn da nicht auch eine andere Stimme in uns wäre, die dieses Urteil nicht wahrhaben will und die ihm widerspricht:

Die Entscheidung von Pater Fans van der Lugt, sich sehenden Auges in größte Gefahr zu begeben aus Treue zu den Menschen, die, anders als er, keine Chance hatten, sich in Sicherheit zu bringen, stellt jeden, der davon hört und nicht wirklich völlig abgestumpft ist, vor eine Frage, und sei es nur für einen kurzen Moment:
Würde ich selbst in einer irgendwie vergleichbaren Situation die Kraft und den Mut finden mich so zu entscheiden?
Keiner von uns kann das im Vorhinein wissen. Auch Pater Frans wusste es wahrscheinlich nicht.
Aber wir spüren in uns die Möglichkeit, uns so zu verhalten.
Wir würden uns wünschen, im Augenblick des Herausgefordertseins den Mut dafür zu haben.
Weil wir wissen, dass es richtig ist, so zu handeln.
Und tief in unserem Innern weigern wir uns dem Urteil zuzustimmen, Pater Frans van der Lugt habe am Ende verloren und Hass und Gewalt hätten am Ende gesiegt.

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt."
Mit diesem Wort hat Jesus die Jünger auf seinen Kreuzestod vorbereitet. Er ist bereit, wenn es sein muss, sich selbst, sein Leben für die andern zu geben.
Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht dieses Opfer Jesu am Kreuz. Er gibt sich hin „für seine Freunde", oder, wie er im Abendmahlsaal sagt: „für euch und für alle".
Und gegen allen Augenschein wagt dieser Glaube dann an Ostern die kühne Behauptung:
Der Gekreuzigte lebt! Er ist in seinem schrecklichen Sterben nicht zerbrochen und untergegangen.
Das Gegenteil ist der Fall: Er hat den Tod besiegt. Sein Opfer, seine Lebenshingabe ist nicht das Ende, sondern der Anfang, der Durchbruch zum Leben „für euch und für alle".

Es sind keine harten Fakten, auf die wir setzen, wenn wir heute das Osterhalleluja anstimmen. Wir haben nur ein paar Verse in den Evangelien, Jahrzehnte erst aufgezeichnet nachdem sich im Kreis der Jüngerinnen und Jünger etwas ereignet hat, dass sich nicht mehr recht fassen lässt und um diese Erfahrung dann doch noch in Worte zu kleiden und von ihr zu erzählen.
Sie beweisen uns nichts.

Wir sehen das Kreuz. Und den, der sich daran opfert.
Wir sehen, was Hass und Gewalt und Ungerechtigkeit, diese Mächte des Todes, vermögen. Wie mächtig sie sind.
Wir sehen aber auch den, der bis in dieses Sterben hinein einen Gott des Erbarmens, der Gewaltlosigkeit, der Sanftmut und Liebe, selbst noch zu den Feinden, verkündet.
Und wir haben die Wahl:
Ob wir uns auf die Seite der Resignierten und der Zyniker schlagen, für die der Tod dieses Predigers der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes nur ein weiterer Beleg dafür ist, dass der Gerechte am Ende auf´s Kreuz gelegt wird und unterliegt.
Oder ob wir auf jene andere Stimme hören, die in uns diesem Urteil widerspricht.
Es ist die Stimme unserer Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Die Stimme unserer Hoffnung auf Leben für uns und den Andern, „für alle". Die Stimme des Herzens, das weiter sieht als alle Vernunft.
Ihr zu vertrauen, sie nicht zu verdrängen, ist der Anfang des Glaubens.

„Vielleicht ist es doch wahr", sagt diese Stimme, „was uns da heute erzählt und verkündet wird."
Dann aber läuft es im Leben eben doch nicht nur darauf hinaus, sich durchzusetzen um jeden Preis und stärker zu sein, auf einen ständigen Kampf, bei dem immer wieder die Falschen siegen, auf Konkurrenz und auf Selbstoptimierung.
Dann dürfen wir im Blick auf ihn, den Gekreuzigten, der auferstanden ist, von der Hingabe mehr erwarten als von der Selbstbehauptung.
Dann ist uns durch ihn ein Sinn und der Weg ins Leben erschlossen.

Und eigentlich sind wir alle schon auf diesem Weg.
Jede Mutter bringt Opfer aus Liebe zu ihren Kindern. Und Väter tun das auch. Es gibt keine Freundschaft ohne die Bereitschaft, sich selbst an den Freund dranzugeben. Und keine Liebe ohne Hingabe. Es gibt kein Zusammenleben unter den Menschen im Kleinen wie im Großen, ohne die Bereitschaft Opfer zu bringen, damit alle leben können.
Es ist ganz einfach der Weg des Menschseins in Menschlichkeit, auf dem wir immer schon irgendwie unterwegs sind oder unterwegs sein möchten, wenn wir guten Willens sind.

Die Osterbotschaft macht uns Mut für diesen Weg.
Und sie gibt uns dafür den Atem einer ungeheuren Hoffnung:
Wer sich selbst vergisst, sagt sie uns, der findet, wer sich hingibt, der empfängt, wer so stirbt, der erwacht zum ewigen Leben. Denn stärker als der Tod ist die Liebe.
Wo diese Hoffnung gelebt wird, alltäglich, oder in den großen Herausforderungen, vor die uns das Leben plötzlich stellen kann, verändert sie die Welt.

Die Trauerfeier für Pater Frans van der Lugt fand an einem leeren Grab statt. Seine Leiche liegt noch in der umzingelten Altstadt von Homs. Die Schar der Trauernden : Bischöfe, Imame, Nonnen, Scheichs, Alawiten, Christen, Muslime. Am Ende umarmten sich Menschen, die seit Kriegsausbruch nicht mehr miteinander gesprochen hatten.
Es war ein Fest der Auferstehung. Inmitten größter Verwüstung eine Feier der österlichen Hoffnung. Jener Hoffnung, die, wenn wir sie nur leben, den Tod überwindet und die Mächte des Todes in dieser Welt besiegt.
Amen