Advent 2022 - Predigtreihe zum Pastoralen Weg

Von:
Pfarrgruppe Bingen

1. Predigt aus der Predigtreihe zum Pastoralen Weg von Pfarrer Markus Lerchl

1. Advent A – 27. November 2022 

Lesungen des Sonntags 

1. Lesung: Jes 2,1-5
2. Lesung: Röm 13,11-14a
Evangelium: Mt 24,29-44

 

Predigt 

Liebe Schwestern und Brüder! 

Mit diesem 1. Advent beginnen wir (wieder einmal) ein neues Kirchenjahr. Das ist an sich nichts Neues und Beunruhigendes. Ich meine aber, dass es ein besonderes Kirchenjahr sein wird, an dessen Ende große und wichtige Veränderungen in unserem Pastoralraum geschehen sein werden. Wenn ich in die Lesungen dieses Sonntags schaue, dann fallen mir zwei Begriffe ein, die m.E. gut hierher passen: Es sind die Worte „Abbruch“ und „Aufbruch“. 

I. Abbruch

Wir sind im Rahmen des Pastoralen Wegs auf dem Weg zu einer neuen Gemeindestruktur, die für unseren Pastoralraum schon in diesem heute beginnenden Kirchenjahr große Veränderungen mit sich bringt: Ich habe in der vergangenen Woche meine Ernennung zum Pfarrer von Sprendlingen, Gensingen und Badenheim erhalten. Ab dem 1. Februar 2023 werde ich auch in diesen drei Gemeinden den Leitungsdienst wahrnehmen. Die beiden bisherigen Pfarrer, Thomas Müller und Rüdiger Eckert, werden Vikare: Pfr. Eckert bleibt vor Ort mit seinem Auftrag, Pfr. Thomas Müller wird Vikar im Pastoralraum, d.h. er wird auch hier in Bingen, Gaulsheim und Kempten ab Februar an den Sonn- und Feiertagen Gottesdienste halten, für Taufen, Trauungen und Beerdigungen zur Verfügung stehen genauso wie für seelsorgliche Gespräche und andere Dinge. Am 1. Juli 2023 wird dann Pfr. Dr. Rheinbay in den Ruhestand gehen und ich werde auch dort in Hackenheim und Planig sein Nachfolger als leitender Pfarrer werden. Mit dem Weggang von Pfr. Dr. Rheinbay fällt dann nicht nur eine Pfarrer-, sondern auch eine Priesterstelle weg (was im Februar noch nicht so sein wird). Das hat zur Folge, dass wir für die Pfarrgruppen Sprendlingen und Hackenheim/Planig ab Juli 2023 eine neue, aufeinander abgestimmte Gottesdienstordnung benötigen. Aktuell ist noch offen, wie es mit Pfr. Mückstein an der Rochuskapelle weitergeht. Ich habe seine Zusage, verlässlich bis zum 30. Juni 2023 als Zelebrant am Sonntagmorgen zur Verfügung zu stehen. Wie es danach weitergehen wird, ist noch zu klären. 

Ich vermute, dass diese äußeren Veränderungen bei Ihnen Sorgen oder Ängste auslösen, wie es denn weitergehen kann/wird, ob Sie noch regelmäßig am Sonntag einen Gottesdienst besuchen oder auch einen Seelsorger erreichen können, etwa für ein Trauergespräch. Um all das werden wir uns sehr bemühen, auch wenn ich Ihnen aktuell noch keine Einzelheiten nennen kann, weil wir gerade erst mit der Arbeit an der Neuregelung begonnen haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich neben die schon genannten Gefühle aber auch die Trauer mischt, die Traurigkeit. Wir spüren hier den Abbruch sehr deutlich, das Ende einer „guten, alten Zeit“. 

Wenn wir Jesus heute im Evangelium genau zuhören, dann spricht auch er vom Abbruch, wenn er über seine Wiederkunft spricht: „Sofort nach den Tagen der großen Drangsal wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden“ (Mt 24,29). Für ihn ist seine Wiederkunft der Sintflut vom Anfang der Welt vergleichbar: „Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird die Ankunft des Menschensohnes sein. 38Wie die Menschen in jenen Tagen vor der Flut aßen und tranken, heirateten und sich heiraten ließen, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, 39und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein. 40Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. 41Und von zwei Frauen, die an derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen.“ Es geht um den Abbruch der bisherigen Welt, kein Stein wird auf dem anderen bleiben, wenn der Herr am Ende der Zeit kommt: Das bisherige alltägliche Leben findet nicht mehr statt (essen – trinken – heiraten – aber auch der Alltag, für den Feldarbeit und Hausarbeiten (Mahlen an der Mühle] stehen). 

Natürlich sind die erwarteten Strukturänderungen nicht so dramatisch, dass es danach überhaupt kein kirchliches Leben mehr gibt. Ich meine aber, dass wir uns vielleicht mit unseren Gefühlen in den biblischen Bildern wiederfinden können: Denn wenn wir auf die Kirche in unserem Land, auch in Westeuropa schauen, dann scheint tatsächlich kein Stein mehr auf dem anderen zu bleiben. Viele, viele Menschen verlassen unsere Kirche und vollziehen diesen Schritt auch nach außen durch den staatlich erklärten Kirchenaustritt. Wir müssen selbstkritisch zugeben, dass die Kirche selbst an diesem Prozess nicht unschuldig ist. Obwohl viel passiert ist in der Aufarbeitung und vor allem in der Prävention von sexuellem Missbrauch bleibt nach außen hin das Bild einer mauernden Kirche, die sich weigert und wehrt, vergangene Taten aufzuklären und vor allem Verantwortung zu übernehmen. Es kommen auch immer wieder erschütternde Berichte des Fehlverhaltens gerade der Leitungsebene (Bischöfe, Generalvikare, Personalverantwortliche) zum Vorschein, die bis zum aktiven Schutz der Täter vor der Strafe gehen. Das macht zu Recht sprach- und fassungslos. Trotz allem ist, wie gesagt, im Blick auf die Prävention viel geschehen, was auch nicht vergessen werden soll. Natürlich gehören in diese Reihe auch die großen anderen Reizthemen, die gerade in der Diskussion sind, ich nenne nur die Frage nach der Stellung der Frau in unserer Kirche. Es ist für viele Zeitgenossen aktuell schwer, sich in unserer Kirche zu beheimaten. 

Über diese Reizthemen hinaus scheint mir aber auch folgendes wichtig: Wir erleben aktuell schon in der dritten Generation einen Abbruch des religiösen Lebens und der religiösen Erziehung in der Familie. Wie viele Kinder werden noch getauft? Wie viele Erstkommunionkinder kennen am Anfang der Vorbereitung weder das Kreuzzeichen oder das Vater unser, weil Religion, Kirchlichkeit zu Hause keine Rolle mehr spielt? Und wenn diese Kinder dann als Firmlinge kommen, haben sie u. U. alles wieder vergessen. Auch viele, die Mitglieder der Kirche bleiben, haben wenig Bezug zur Gemeinde, zum Gottesdienst. Bei vielen Beerdigungen (und anderen Anlässen) bekomme ich etwa auf den liturgischen Gruß „Der Herr sei mit euch!“ keine oder nur eine sehr verhaltene Antwort mehr. Etwas bisher Selbstverständliches ist nicht mehr da, abgebrochen! 

Schließlich leben wir drittens in einer Gesellschaft, in der man sich scheut, sich längerfristig zu binden, aktiv Mitglied zu werden. Auch sind die Vorbehalte gegen Institutionen groß. Es hat die Bereitschaft abgenommen, sich längerfristig zu binden. Von diesem Problem können Vereine, Parteien, Chöre auch ein Lied singen. Es betrifft nicht nur uns, die Kirche. 

Abbruch – kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Das klingt jetzt alles ziemlich negativ. Ich bin mir dessen bewusst. Ich meine aber, dass es wichtig ist, den Blick nüchtern auf unsere Zeit zu werfen. Das bewahrt vor der Illusion, dass es immer so weitergehen könne, wie wir es gewohnt sind. Ich halte diesen Blick auf für wichtig, weil er vermutlich Trauer und Bedauern in uns auslöst. Es gilt, von einer uns gewohnten und sicher auch geliebten Gestalt von Kirche Abschied zu nehmen. Wir würden uns auf Dauer überfordern, eine Gestalt von Kirche am Leben zu halten, die immer weniger Menschen teilen und mittragen. Was uns wichtig war, ist es nicht mehr automatisch unseren Zeitgenossen. Das gilt es wahrzunehmen und verarbeiten. Denn Neues kann nur wachsen, wenn wir um das Alte richtig getrauert und vielleicht auch geweint haben. 

II. Aufbruch 

„Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere“; dieses Wort von Jean Paul Sartre gibt zu denken. Und es lädt m.E. auch ein, genauer hinzuschauen: Wenn wir ehrlich sind, dann gab es diese Momente, in denen alles zu Ende schien, ja schon oft in der Kirchengeschichte. Immer wieder hat die Kirche fundamentale Wandel durchgemacht – und überstanden. Ja, oft ging sie innerlich gestärkt daraus hervor, weil sie sich – gezwungenermaßen – auf ihren eigentlichen Kern, ihren Auftrag und ihr Wesen besinnen musste. 

Wenn ich dann genauer in das Evangelium schaue, entdecke ich, dass es Jesus auch nicht zu allererst um Untergang und Abbruch geht, sondern um sein Kommen, also den Aufgang des wahren Lichts. Er kommt. Er ist auch derjenige, der bleibt. Das bedeutet auch: An ihm dürfen wir uns festhalten. Bei allem Abbruch und Wandel ist es möglich, mit Ihm die Zukunft zu gestalten. 

Das Thema Aufbruch prägt auch die beiden anderen Lesungen des heutigen Sonntags: Da war Jesaja, der seine große Vision von der Friedenswallfahrt aller Völker zum Zion mit der Aufforderung beendet: „Haus Jakob, auf, wir wollen gehen im Licht des Herrn!“ (Jes 2,5). Paulus ruft der Gemeinde in Rom zu: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“ (Röm 13,11f.) In diesen Worten spiegelt sich ein Selbstbewusstsein wider, um das ich Jesaja und Paulus beneide: „Wir haben der Welt etwas zu sagen. Wir haben eine wichtige Botschaft, die das Leben heller und die Welt besser macht. Und wir verkünden diese Botschaft voller Freude“. Das ist die Haltung, die ich mir von dem Propheten und dem Apostel für unser Heute abschauen möchte, die ich von ihnen lernen will. Denn so sprechen Menschen, die eben ihre Wurzeln in Gott haben, die nicht auf ihre eigenen Werke schauen, sondern die wissen, dass sie Werkzeuge Gottes sind, dass Gott seinem Volk unbedingt die Treue hält, was Umkehr und Neuanfang ermöglicht. 

So will ich am nächsten Sonntag mit Ihnen diese Spur des Aufbruchs bedenken. Vor uns liegt eine Woche, in der wir die adventliche Haltung des Wartens, Lernens Jesaja und Paulus) einüben können, in der wir auch neu auf Jesus schauen, den wiederkommenden Herrn. Ich wünsche Ihnen mit den Worten des Eingangsverses des 1. Advent so eine gesegnete Woche: „Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Mein Gott, auf dich vertraue ich. Lass mich nicht scheitern, lass meine Feinde nicht triumphieren! Denn niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden“. (Ps 25,1-3)