für die Zeit 06.03. - 10.04.2022

Pfarrbrief Nr. 2 / 2022 für die Zeit vom 06.03. - 10.04.2022

Stell Dir vor, die Glocken läuten, und keiner kommt zur Kirche…

Eigentlich will ich mir das nicht vorstellen! Aber wir erleben in diesen Tagen, dass Menschen, mit denen wir gerne und oft zusammen gebetet und gearbeitet haben, mit dem Gedanken spielen, aus der Kirche auszutreten. Oder dass sie sogar schon gegangen sind. Sie kommen nicht mehr, wenn die Glocken läuten!

Für viele Menschen sind die schrecklichen Ereignisse in der Kirche und im kirchlichem Umfeld, die in den letzten Wochen publik wurden, nur noch der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Viele waren schon lange enttäuscht vom allgegenwärtigen Klerikalismus. Enttäuscht davon, dass in zu vielen Fällen Geschlecht und Weihe die einzigen Kriterien dafür sind, ob jemand in der katholischen Kirche etwas zu entscheiden und zu sagen hat – oder halt nicht.

Und nun hören wir von Verlautbarungen, die für uns nicht nachvollziehbar sind: Die grässlichen, schändlichen Taten von geweihten Verbrechern wurden kleingeredet. Die Opfer, Kinder oder ehemals Kinder, die der Kirche anvertraut worden sind, werden in sehr vielen Fällen immer noch ignoriert und vergessen.

Eine tiefe Krise erschüttert unsere Kirche. Vertrauen ging verloren, vielleicht unwiederbringlich verloren. Wir erleben Versagen bei Verantwortlichen. Wir hören Lügen von Bischöfen, die die 10 Gebote gepredigt hatten.

Viele von den Menschen, denen die Kirche wichtig ist, empfinden angesichts all dessen Enttäuschung, Fassungslosigkeit, Traurigkeit, Hilflosigkeit – und wohl auch Wut. Wie konnten diese Verbrechen über einen so langen Zeitraum unerkannt oder geduldet in der Kirche passiert sein? Und wie wird jetzt mit den Tätern und den Opfern umgegangen? 

Wut ist nicht salonfähig. Man wird nicht wütend, sondern man behält immer einen klaren Kopf. Cool bleiben ist angesagt. Wütend sein nicht. Von Jesus aber berichten uns die Evangelien durchaus, dass er wütend werden konnte – und da ging es auch darum, das über einen langen Zeitraum in seiner Kirche, im Tempel von Jerusalem, etwas passiert ist, was er als nicht hinnehmbar angesehen hat - wir alle kennen die Geschichte: Kurz vor seinem Tod, als er nach Jerusalem kam, hat Jesus Händler im Tempel angetroffen. Autorisiert von den kirchlichen Behörden gingen sie ihren kommerziellen Geschäften und ihren persönlichen Interessen nach, und das im Tempel, der heiligsten Stätte der Juden.

Jesus hat das gesehen, und er hat sich nicht dezent zurückgehalten. Er hat nicht gesagt, dass das doch eigentlich so nicht sein sollte, aber dass er sich da raushalten würde. Und Jesus ist auch nicht einfach weggegangen.  Er hat nicht gesagt: „Macht doch im Tempel, was ihr wollt, was kümmert es mich…“. Und das hätte er sagen können, denn die Menschen haben ihm auch so zugehört, er hat den Tempel wirklich nicht gebraucht. Jesus hielt seine Predigten, wie wir wissen, auf freiem Feld, auf Marktplätzen, am Ufer vom See Genezareth oder vom Boot aus. Er hat den Tempel nicht gebraucht und es kamen dennoch genug Leute, um ihm zuzuhören und um von ihm zu lernen.

Wir lesen, dass Jesus, als er in den Tempel kam, bei dem, was er dort vorfand, sehr wütend wurde: Er hat alle, die sich im Tempel, im Haus seines Vaters, nicht so benommen haben, wie es sein soll, wie es sich gehört, kurzerhand rausgeworfen. 

Wir wissen, dass Jesus diesen Einsatz für den Tempel letzten Endes mit seinem Leben bezahlt hat. Für die kirchliche Obrigkeit war diese Aktion der letzte Beweis dafür, wie gefährlich ihnen Jesus werden konnte. Deshalb musste er aus dem Weg geräumt werden. 

Wir wissen wie es weitergeht: Jesus wurde verraten, angeklagt, gefoltert und hingerichtet. Aber er ist letzten Endes doch der Sieger gewesen: Er ist auferstanden, er hat den Tod und die Mächte besiegt, die ihn zum Schweigen bringen wollten.

Ich frage mich heute oft, was aus meiner Kirche geworden ist, der Kirche, der ich mich freiwillig angeschlossen habe, nicht von Geburt an, sondern aus freier Entscheidung als Erwachsene.

Ich höre Menschen, die sagen, dass sie die Kirche nicht brauchen, dass sie auch woanders beten können. Das mag sein. 
Aber wie ist es umgekehrt? Vielleicht braucht die Kirche uns, unseren Einsatz, unsere Kritik, unsere Ideen, unseren Reformwillen, unsere Hingabe und unsere Gebete.

Wenn die Glocken läuten, erinnern sie mich daran, dass es etwas Größeres gibt, woran ich glaube, den Schöpfergott, der in Jesus Christus Mensch wurde und in seinem Heiligen Geist unser täglicher Beistand ist. 

Wenn die Glocken läuten, rufen sie zur Kirche. Aber wer oder was ist denn Kirche? Der Papst? Bischöfe, Kardinäle? Die geweihten Amtsträger? Die Amtskirche, über die sich viele momentan so sehr ärgern und von der so viele enttäuscht sind? Sie gehören dazu, aber: Wir alle sind Kirche. Wir, die wir vor Ort Gottesdienst feiern, in Gemeinschaft miteinander und in Gemeinschaft mit Jesus in unserer Mitte.  Er ist es, an den wir glauben. Es ist seine Kirche – in der es für jede und jeden einen Platz gibt. Und deshalb komme ich, wenn die Glocken läuten. 

Gabriele Krämer-Kost