Drunter und drüber
Was für ein Chaos seit den letzten Wochen und Monaten! Weite Teile von Rheinlad-Pfalz und Nordrhein-Westfalen werden von einer monströsen Flut überschwemmt. Die Schäden sind katastrophal. Vieles ist nicht mehr zu retten, die ersten Häuser werden unter Tränen ihrer Besitzer abgerissen. Die Infrastruktur ist vielerorts zerstört, Brücken, Straßen und Bahnlinien fehlen. Hinzu kommen menschliche Schicksale, die irreparabel sind. Viele Menschen sind traumatisiert, einige haben Angehörige und Nachbarn verloren, die sich nicht mehr auf den Dächern halten konnten und von den Fluten mitgerissen wurden. Wie schrecklich! In anderen Teilen der Erde wiederum wüten Waldbrände und machen einen radikalen Kahlschlag. Zu allem Übel stoße der Amazonas-Regenwald mittlerweile mehr Co2 aus als er binde. Das kann doch alles wohl nicht wahr sein!
Nun spitzt sich auch noch die Lage in Afghanistan derart zu, dass uns das Blut in den Adern gefriert. Chaotische Zustände am Flughafen, die ersten Todesopfer, schon wieder Extremisten, die sich mit Waffen patrouillierend ganz stark fühlen. Einen sogenannten „Gottesstaat“ wollen die Taliban anscheinend errichten, ganz nach dem Modell eines im Mittelalter stehen gebliebenen Islam. Viele Frauen und Ortskräfte, die für die Bundeswehr gearbeitet haben und ausgebildet wurden, sowie Menschenrechtler mit Freunden und Angehörigen bleiben voller Angst zurück. Die Situation ist scheinbar nicht mehr zu retten, hat mir vor einigen Tagen ein junger Afghane erzählt, dessen Familie in Kabul wohnt. Wir blicken ratlos in die Röhre—vom bequemen und sicheren Sofa aus. Es ist entsetzlich.
In dieser Woche beginnt das neue Schuljahr. Nach wie vor läuft vieles noch nicht wie gewohnt ab. Immer noch gelten viele Einschränkungen und Hygieneregeln, die uns nerven. Aber die Inzidenzen steigen wieder, und noch ist nicht absehbar, wie dramatisch die Situation im Herbst sein wird, sobald wir uns wieder vermehrt in Innenräumen aufhalten. Auch wenn es verhältnismäßig wenige sind, sterben Menschen an Corona. Die Krise ist noch nicht vorbei. Manchmal sehnen wir uns nach einer besseren Welt, nach einem verheißenen Land, oder?
Das Chaos ist offenbar unserer Welt in die Wiege gelegt. Gott schuf laut dem Schöpfungsbericht Raum und Zeit aus einem „Tohuwabohu“, also einem gewaltigen Durcheinander, das er ordnete. Für das erneute Chaos ist die Menschheit durchaus mitverantwortlich: z. B. an der Ausnutzung der Ressourcen unserer Erde, an den Folgen des Klimawandels, an politischen Spannungen, an religiösem Fundamentalismus haben Menschen Anteil an Schuld.
Wir können uns bezüglich unserer Mitverantwortung für Gottes Schöpfung nicht herausreden oder Schuld immer nur auf andere weiterschieben. Dazu braucht es eine gesunde Lebenseinstellung. Im Evangelium wird dies konkretisiert: Distanziert euch von Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft, mahnt Jesus. Sicherlich könnte man die Liste negativer Tugenden fortsetzen. All dieses Böse komme „von innen“ und mache den Menschen unrein (Mt 7,21ff.). Auf Gottes „Gesetz“ zu hören, sei der Weg ins verheißene Land und wahre Leben (Dtn 4,1). Klar, unsere Welt ist noch ziemlich unvollkommen und chaotisch—auch wenn sie eigentlich eine perfekte Schöpfung Gottes ist. Denn kann Gott etwas Schlechtes erschaffen? Einiges haben wir nicht in der Hand. Höhere Gewalten werden wir niemals kontrollieren können. Aber im Hinblick auf unser Zusammenleben und unsere Umwelt können wir durchaus dazu beitragen, dass so manches innere und äußere Chaos beseitigt wird.
Herzlich (und nachdenklich),
Ihr Pfarrer Michael A. Leja