Er geht wohl nie weg, der blöde Lockdown
Der Lockdown, für den wir scheinbar keinen deutschen Begriff finden können, geht in die nächste Verlängerung. Schon wieder. Die Nerven vieler Menschen liegen blank, von „Corona-Müdigkeit“ ist die Rede. Aktuelle Studien berichten schon davon, dass Kinder und Jugendliche vermehrt an Ängsten, Depressionen und Essstörungen leiden würden. Bei den Erwachsenen ist es wohl nicht anders. Der Online-Konsum hat ebenfalls stark zugenommen, auch die Vereinsamung älterer „Mit-Bürger“. Die Menschen verändern sich. Das letzte Jahr geht an keinem spurlos vorbei.
In einem Bericht einer Abendsendung im Ersten klagte neulich ein Erstklässler: "Wann ist er denn weg?! In 330 Jahren wahrscheinlich schon wieder. Er geht wohl nie weg, der blöde Lockdown." Der traurige Blick dieses allein spielenden Jungen hat mich sehr getroffen.
Die Ministerpräsidenten sitzen zwischen allen Stühlen und müssen entscheiden, inwieweit sie unter Berücksichtigung der Sieben-Tage-Inzidenz, R-Wert und Co. Ausnahmen machen können. Der Druck wächst. Ich möchte nicht mit ihnen tauschen. Über Schritte zurück in die "Normalität" müsse nachgedacht werden. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sinke. Sie möchten Perspektiven für ihr Leben sehen.
Auch das kirchliche Leben befindet sich weiterhin nahezu im Stop-and-Go. Vieles ist weiterhin nicht möglich. Wenigstens dürfen wir unter schärfsten Sicherheitsauflagen Gottesdienste feiern - und ich bin dankbar dafür.
Seit einigen Tagen befinden wir uns in einem weiteren Lockdown - diesmal aber in theologischer Hinsicht. Seit Aschermittwoch hat die Fastenzeit begonnen. Schon „vor Corona“ waren diese 40 Tage vor Ostern schon immer eine gute Gelegenheit, die kommen-den Wochen etwas bewusster zu leben und manches ganz gezielt sein zu lassen: Weniger Internet, weniger Süßigkeiten, weniger Alkohol, weniger Streit; dafür mehr Zeit für Familie, mehr Zeit zum Telefonieren, mehr Zeit zum Spazieren gehen, mehr Zeit zum Klären von Konflikten, mehr Zeit zum Beten, mehr Zeit für Stille.
Insofern steht in der Fastenzeit nicht so sehr der Verzicht im Vordergrund und schon gar nicht geht es um das Verzichten um des Verzichtes willen. Viel wichtiger am Beispiel Jesu, der 40 Tage allein in der Wüste verbringt, ist die Haltung, dass ich in der nächsten Zeit wieder ganz bewusst an meinen Beziehungen arbeite: Am Umgang mit mir selbst, an der Beziehung zu anderen und natürlich zu Gott - und dies ist, wenn wir ehrlich sind, eine "ewige Baustelle". An Beziehungen muss man schließlich immer arbeiten, sonst schlafen sie mit der Zeit ein oder gehen in die Brüche.
Ich wünsche Ihnen für die kommenden Wochen des Lockdowns starke Nerven. Es bleibt uns nichts anderes übrig: Wir alle müssen hier gemeinsam durch. Aber wir sind ja nicht allein. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Auch Gott leidet mit uns, weiß ein Christ. In der Fastenzeit betrachten wir verstärkt die Passion, den Leidensweg Jesu hin zum Kreuz, ein unausweichlicher Weg - gefühlt eine Sackgasse. Aber für Gott gibt es keine Sackgassen— er sucht nach Auswegen. Ostern war ein solcher Ausweg, das Leben. Klar: Gott löst manche Probleme nicht oder zumindest nicht sofort und hat dafür sicherlich seine guten Gründe, die wir nicht durchschauen können. Aber auf unserem Lebensweg (Krisenerfahrungen mitinbegriffen) geht er mit uns - und dies wird auch noch über die nächsten 330 Jahre hinaus so sein. Der „blöde“ Lockdown wird irgendwann weg sein—Gott nicht, Gott bleibt. Als Christ glaube ich daran und will Ihnen Mut machen.
Bleiben Sie behütet und lassen Sie sich von niemandem runterziehen.
Herzlich, Ihr Pfarrer
Michael A. Leja