Der 4. Sonntag der Osterzeit wird auch der Sonntag vom guten Hirten genannt. Damit verbunden wird der Weltgebetstag um geistliche Berufungen begangen. Das Wort „Hirte“ kommt im heutigen Evangelium zwar nicht vor; trotzdem wird darin Jesus als der gute Hirte geschildert. Zwischen einem guten Hirten und den Schafen besteht ein tiefes Vertrauensverhältnis. Ein solches Vertrauensverhältnis besteht auch zwischen Jesus und uns Menschen. „Das Christentum ist keine Lehre, sondern eine Beziehung“ – hat ein großer Theologe diese Wahrheit auf den Punkt gebracht. Wissen über Jesus reicht nicht aus, denn es rührt noch nicht ans Herz. Erst wenn ich die Erfahrung gemacht habe, Jesus meint es gut mit mir und zeigt mir den rechten Weg, wird Vertrauen wachsen. Und einem, dem ich vertrauen kann, werde ich eher folgen, als wenn mir nur ein Gebot oder Verbot mitgeteilt wird. Das Vertrauen zwischen den Gläubigen und Jesus ist das Herzstück des christlichen Glaubens.
Im Evangelium sagt Jesus: „Ich kenne meine Schafe und sie folgen mir“ (10,27b). Wenn Jesus sagt, „ich kenne meine Schafe“, dann spricht er damit eine tiefe menschliche Sehnsucht an, nämlich den Wunsch, es möge jemand für mich da sein, der mich wirklich kennt und dem ich mich vorbehaltlos anvertrauen kann. „Kennen“ im biblischen Sinne bedeutet vielmehr, als es in unserer Sprache ist. „Kennen“ ist im biblischen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit „lieben“. Die Beziehung zwischen Christus und uns Menschen ist von einer tiefen Liebe gekennzeichnet. Er kennt uns, d.h. er liebt uns. Er weiß um unsere Ängste und Sorgen, er weiß um unsere Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, er kennt unsere Nöte und Schwierigkeiten. Er interessiert sich für uns, er kümmert sich um uns, er lässt uns nicht im Stich. Es ist schön, wenn wir Menschen haben, die uns verstehen. Ja, es ist gut, wenn wir Freunde haben, auf die wir uns verlassen können, die zu uns halten, denen wir Kummer oder Freude erzählen können.
Es kann aber auch sein, dass Freunde uns tief enttäuschen. Da ist es gut zu wissen: Es gibt einen Freund, der auf jeden Fall zu mir hält. Jesus, der gute Hirte, ist dieser Freund! Wenn ich Unglück erfahre, krank werde, erfolglos bin, den Mut verliere, gerade dann ist er an meiner Seite. Er wendet sich nicht ab von mir. Niemand kann mich seiner Hand entreißen. Mögen die anderen über mich lachen, mich links liegen lassen, Er wendet sich nicht ab von mir. Er sieht tiefer in mich hinein, er sieht auf den Grund meiner Seele und Er sieht, dass dieser Grund gut ist.
Gott lässt mich nicht fallen! Oder anders ausgedrückt: Man kann nicht tiefer fallen als in die Hände Gottes! Eine wunderbare Botschaft! Eine Frohe Botschaft für uns! Eine Botschaft, die uns tröstet; eine Botschaft, die uns Mut macht!
Wir begehen heute den Weltgebetstag um Geistliche Berufungen. Berufung durch Gott ist immer eine Gnade, ein unverdientes Geschenk. Man kann und soll aber um diese Gnade der Berufung beten. Gott ist es, der beruft. Der Mensch kann Gottes Ruf auch überhören oder sich weigern, ihm zu folgen. Denn Gott zwingt niemanden in seinen Dienst. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen für den Ruf Gottes sensibel gemacht werden und dass sie auch die Kraft finden, diesem Ruf zu folgen.
„Pilger der Hoffnung“- so lautet in diesem Jahr das Motto des Weltgebetstages um Geistliche Berufungen. „Pilger der Hoffnung“ ist zugleich das Motto des Heiligen Jahres, das Papst Franziskus an Heiligabend 2024 symbolisch im Petersdom eröffnet hat. Mit diesem Motto richtet der Papst unseren Blick auf die Hoffnung für die ganze Schöpfung, die uns in der christlichen Frohbotschaft geschenkt wird: Gott wird alle Tränen abwischen! Lassen wir uns von diesem Trostwort aus der heutigen Lesung (aus der Offenbarung des Johannes) erfüllen, auch gerade im Angesicht von Krieg, Profitstreben und Egoismus. Es gibt viel Hoffnungslosigkeit in unserer Welt. Um so wichtiger ist es, dass gläubige Christen Zeugnis geben von ihrer Hoffnung und die ganze Kirche als pilgerndes Volk Gottes zu Pilgern der Hoffnung wird.
Mit Hoffnung erfüllt mich auch die Wahl des neuen Papstes Leo XIV. Als US-Amerikaner, der viele Jahre in Peru, zunächst als Missionar und danach als Bischof gelebt und gewirkt hat, ist er in zwei verschiedenen Kulturen beheimatet. Außerdem kennt er auch das Zentrum der Weltkirche, also Rom, gut, denn er hat hier wichtige Aufgaben wahrgenommen. Mit einer solchen Lebensgeschichte kann er ein echter Brückenbauer zwischen Völker und Kulturen, aber auch zwischen den verschiedenen Strömungen in der Kirche werden. Seit seiner Wahl zum Papst hat er mehrfach bekräftigt, dass er den Weg der Kirche, den sein Vorgänger Papst Franziskus eingeschlagen hat, weitergehen will. Und das ist eine gute Nachricht!
Liebe Schw. u. Br.! Geistliche Berufung beschränkt sich in der Kirche nicht nur auf die Männer und Frauen, die geistliche Berufe bzw. kirchliche Dienste ausüben. Jeder Getaufte und Gefirmte ist ein von Gott Berufener. Diese grundlegende christliche Berufung zu erkennen und glaubwürdig zu leben ist der beste Nährboden für geistliche Berufe im engeren Sinne. Gebetstage um geistliche Berufungen sollen uns für diese Anliegen sensibel machen.
Beten wir darum, dass die Christen in der Kirche erkennen, was Gott mit ihnen vorhat und dass sie den Mut finden, der Stimme des Guten Hirten zu folgen.
In einer Welt, in der der christliche Glaube nicht mehr selbstverständlich ist, braucht Gott Menschen, die an Christus glauben und aus diesem Glauben heraus leben. Gott braucht Menschen, die seine Botschaft überzeugend und begeisternd verkünden. Er braucht Menschen, die „Werbung“ machen für die „Sache Jesu“; die andere einladen zu einem Leben in der Nachfolge Jesu. Er braucht Menschen wie du und ich!
A m e n