„Den Menschen nahe sein!“ Interview mit den Kaplänen Valentine Ede und Lévi Hinglo

Kaplan Valentine Ede (c) Valentine Ede
Kaplan Valentine Ede
Datum:
Di. 8. Juni 2021
Von:
Alfons Waschbüsch

Über ihre Erfahrungen nach rund einem Jahr seelsorglicher Arbeit in der Pfarrgruppe Hechtsheim/Ebersheim berichten nachfolgend die beiden westafrikanischen Kapläne Valentine Ede (32) und Lévi Hinglo (31). Die Fragen stellte Alfons Waschbüsch.

Der aus Nigeria stammende Kaplan Ede kam 2017 nach Deutschland. Nach seiner Zeit als Diakon wurde er im Dezember 2020 in Nigeria zum Priester geweiht. Kaplan Hinglo erhielt 2016 in seiner Heimat Benin die Priesterweihe. Nach einem Jahr als Bischofskaplan begann er seine erste Kaplanstelle in Deutschland in Hainburg/Dekanat Seligenstadt. Kaplan Ede wird nach seinem Praktikumsjahr in Hechtsheim-Ebersheim am 10. und 11. Juli verabschiedet. Er wird dann als Kaplan in Heppenheim/Bergstraße seelsorglich tätig sein. Kaplan Hinglo bleibt noch weitere zwei Jahre als Kaplan in Hechtsheim-Ebersheim.


Herr Kaplan Ede und Herr Kaplan Hinglo, wie fühlen Sie sich nach rund einem Jahr pastoraler Arbeit in in der Pfarrgruppe Hechtsheim-Ebersheim?


Kaplan Ede: Gott sei Dank kann ich sagen, dass ich mich hier in Hechtsheim-Ebersheim wirklich wohlfühle. Ich bin froh, dass ich hier in der Gemeinde ein gutes Team gefunden habe, mit dem ich gut gemeinsam arbeiten kann. Darüber hinaus gibt es in der Gemeinde sehr nette Leute, mit denen eine sehr gute Pastoralarbeit möglich ist. Dafür bin ich sehr dankbar. Mittlerweile bin ich in dieser Gemeinde also zu Hause.


Kaplan Hinglo: Es ist kaum zu glauben, dass schon fast ein Jahr vorbei ist. In diesem ersten Jahr hatte ich die Gelegenheit, das Pfarreileben kennenzulernen. Ich hoffe, dass jetzt im zweiten Jahr noch mehr Kontakt möglich sein wird.


Welche Unterschiede fallen Ihnen im kirchlich-religiösen Leben in Deutschland im Vergleich zu
denen in Ihrer westafrikanischen Heimat besonders auf?


Kaplan Ede: Im Vergleich zu der Kirche in Deutschland, gibt es in meiner westafrikanischen Heimat eine Kirche, die lebendiger, präsenter, näher an den Menschen und viel offener ist. Wir sind eine lebendige Kirche, in der nicht nur viel gesungen und getanzt, sonden vor allem eben auch gebetet wird. Leider hat die Beteiligung von Laien im Vergleich zu der Kirche in Deutschland eine geringere Bedeutung. Bei uns in der westafrikanischen Kirche gibt es zwar in allen Gemeinden Pfarrgemeinderäte, aber im Vergleich zu der Situation in Deutschland spielen sie eine weniger wichtige Rolle.


Kaplan Hinglo: Mir fällt es schwer, einen Vergleich zwischen dem christlichen Leben Deutschlands und dem meiner Heimat zu machen. Denn es sind zwei völlig verschiedene Welten, mit ihren Realitäten, mit ihren Bräuchen und Besonderheiten. Man muss in dem jeweiligen Land einige Zeit gelebt haben, um die Kultur zu verstehen.


Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Priestern und Gläubigen in Deutschland im Vergleich zu dem in Ihrer Heimat in Westafrika?


Kaplan Ede: Ich nehme das Verhältnis zwischen Priestern und Gläubigen in Deutschland als freundlich und positiv wahr. Im Vergleich zu meiner Heimat in Westafrika ist es jedoch distanzierter und auch irgendwie formeller. In Nigeria kann man zum Beispiel zu einem Gespräch zum Pfarrer gehen, ohne einen vorherigen Termin zu vereinbaren oder sich an einen vereinbarten Gesprächstermin in der Pfarrei zu halten.


Kaplan Hinglo: Hier möchte ich noch einmal betonen, dass das Verhältnis zwischen Priestern und Gläubigen in Deutschland und in Benin gar nicht vergleichbar ist. Priester mancher Gemeinden in Benin sind z.B. nicht nur Seelsorger. Sie sind auch Küster, Pfarrsekretär, Hausmeister, Gärtner, usw. Darüber hinaus haben sie noch viele weitere Aufgaben im sozialen Bereich und sind Berater in den verschiedensten Angelegenheiten. Das prägt das Verhältnis zwischen Priestern und Gläubigen.


Was kann Ihrer Ansicht nach die deutsche Kirche von der afrikanischen Kirche lernen und umgekehrt, was könnte die afrikanische von der deutschen lernen?


Kaplan Ede: In der afrikanischen Kultur ist das religiöse Leben ein ganz selbstverständlicher Teil des Alltags und damit auch in der Öffentlichkeit präsent. Meiner Ansicht nach kann die deutsche Kirche lernen, über den Glauben unbefangener zu sprechen und Gottesdienste freier zu halten, damit alles noch lebendiger wird. Es müssten nicht immer wieder die bekannten Lieder aus dem Gotteslob gesungen werden. Es sollte ein System geben, nach dem neue Lieder aus dem Alltag heraus komponiert werden können, damit die Menschen mehr Interesse an der Kirche entwickeln.

Kaplan Lévi Hinglo (c) Lévi Hinglo
Kaplan Lévi Hinglo

Kaplan Hinglo: Nicht nur die deutsche Kirche kann etwas von der afrikanischen Kirche lernen. Jede Kirche kann etwas von der anderen lernen. Ich persönlich sehe an der deutschen Kirche viele Aspekte, die ich irgendwann für meinen Dienst in Benin umsetzen werde; zum Beispiel hinsichtlich der Vorbereitung auf die Sakramente und die Jugendarbeit. Allerdings würde ich die Katechese und die Jugendarbeit in meiner Heimat Benin mit mehr Flexibilität organisieren. Für Deutschland träume ich auf Grund meiner afrikanischen Wurzeln, dass die deutsche Kirche sich traut, ein bisschen mehr Vitalität und Freude am Glauben zu zeigen.

Was fällt Ihnen spontan ein, das Sie aufgrund der Erfahrungen in Deutschland in Ihrer Heimat umsetzen würden?


Kaplan Ede: Da fällt mir natürlich sofort etwas ein: Pünktlichkeit ist ein kultureller Wert, den die afrikanische Kirche unbedingt von der deutschen Kirche lernen könnte. Es wurde mir auch vorgeschlagen, die Gottesdienste ein bisschen zu verkürzen. Die Dauer der Gottesdienste ist in meiner Heimat meiner Meinung nach, zu lang, obwohl die Menschen schon daran gewöhnt sind. Die Laien in unserer afrikanischen Kirche sollten außerdem die Möglichkeit haben, eine bedeutendere Rolle in der Kirche zu spielen. Und das heißt auch mehr Freiheit und Offenheit. Die Pünktlichkeit in der deutschen Kirche möchte ich unbedingt mit nach Hause nehmen.


In Ihrer Heimat geht der überwiegende Teil der Christen noch in den Sonntagsgottesdienst. In Deutschland ist das nicht so. Würden Sie aufgrund dessen Deutschland als ein Missionsland ansehen?


Kaplan Ede: Aufgrund der abnehmenden Zahl der Katholiken in Deutschland würde ich Deutschland zurzeit als ein Missionsland ansehen. Die Kirche in Deutschland müsste gestärkt werden, damit die Kirche noch lebendiger wird. Die Situation in Deutschland lädt ein, darüber nachzudenken, wie Berufungen aktuell geschehen können. Die Frage sollte erneut gestellt werden: Auf welche Weise, wo und wodurch spüren Menschen, dass sie als Jünger und Jüngerinnen Jesu Christi leben können- und dass es für sie möglich ist, einen seelsorgerlichen Beruf zu ergreifen? Der pastorale Weg ist schon ein Schritt in diese Richtung, aber es gibt noch viel zu tun.

 

Kaplan Hinglo: 

Nach fast 5 Jahren im kirchlichen Dienst (davon 4 im Ausland) würde ich kein Land als Missionsland bezeichnen, selbst wenn die Zahl der Teilnehmer sich deutlich stärker in einem Land als in einem anderen zeigt. Während die Einen vergeblich darum kämpfen, mehr Leute in die Gottesdienste zu bringen, müssen die Anderen noch überprüfen, ob die überwiegende Zahl ihrer Gottesdienstbesucher aus einer lebendigen Christusbeziehung heraus den Gottesdienst besucht. Wir werden immer missionarische Kirche sein und Missionsland bleiben, egal, wo wir leben.  


Zur Zeit wird in der Kirche in Deutschland viel über eine pastorale Erneuerung nachgedacht. Was könnte Ihrer Ansicht nach mit dazu beitragen, das kirchliche Leben in Deutschland noch lebendiger zu gestalten?


Kaplan Hinglo: Ich habe den Eindruck, dass diese pastorale Erneuerung von vielen verstanden wird als eine nur einmalige Erneuerung. Erneuerung hat es aber schon immer in der Kirchengeschichte gegeben. Und auch diese pastorale Erneuerung wird nicht die letzte der Kirche sein. In all diesen Erneuerungen müssen wir, wie Michael Seewald es einmal geschrieben hat, dieselbe Kirche anders denken und dabei eine Haltung des Gebetes und des Zuhörens auf Gott haben.

 

Was ist Ihr Herzensanliegen bei Ihrer seelsorglichen, pastoralen Arbeit?


Kaplan Ede: Priestersein ist der Sinn meines Lebens. Ich bin als Priester glücklich, wenn ich die Sakramente, besonders die Eucharistie feiere. Und was mir am Herzen liegt, möchte ich mit anderen teilen. Für mich ist das Priestertum ein Sakrament des Dienens und dies bedeutet für mich konsequent, einfach für die Menschen da zu sein! Ich möchte für die Menschen da sein, um ihre Lebens- und Leidensgeschichte und ihre Glücksgeschichte zu teilen. Besonders möchte ich für die älteren Leute da sein, die fast immer unter Einsamkeit leiden. Die frohe Botschaft allen verkünden und die Sakramente zu spenden - darum geht es. Zusammenfassend heißt das für mich: ,,All things for all men“- alles für alle Menschen!


Kaplan Hinglo: Eines ist und bleibt mir wichtig: den Menschen nahe zu sein!

Die Fragen stellte Alfons Waschbüsch.