Schmuckband Kreuzgang

Sonntagsgedanken zum 22. März

Pfarrer Holger Allmenroeder (c) St. Marien
Pfarrer Holger Allmenroeder
Datum:
23.03.2020
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Freundinnen und Freunde unserer Gemeinden,
 
schon viel früher wollte ich per Video einige Gedanken zum Sonntag an Sie und Euch alle richten, doch ich muss wohl noch viel lernen, um ein Video - oder in Zukunft vielleicht Gottesdienste im Lifestream - hochzuladen. Mein guter Wille ist da, aber der reicht manchmal nicht... ;-)
 
Mir ist es ein großes Anliegen mit möglichst vielen auch in räumlicher Distanz in geistlicher Verbindung zu bleiben.
Zu diesem Sonntag hatte ich in der Vorbereitung drei Gedanken, die ich gerne mit Ihnen teilen möchte.
 
1. Heute, am 22.März 2020, haben wir den vierten Fastensonntag begangen. Als Sonntag "Gaudete" (Freue dich, Stadt Jerusalem!) setzt die Fastenzeit in Erwartung der Osterfreude eine freudigen Akzent.
Freue dich, Stadt Jerusalem! Seid fröhlich zusammen mit ihr, die ihr alle traurig wart. Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung. (Jesaja 66, 10-11)
Woran könnten wir uns derzeit erfreuen, warum sollten wir fröhlich sein? Jesaja hatte vor langer Zeit sein trostlos gewordenes Volk im Blick, eben aus dem Exil zurück. Die "Reset"-Taste war quasi gedrückt - alles musste neu beginnen. Nur das flüchtig gewordene Gottvertrauen konnte ein Fundament bilden. Die Gemeinschaft und die Einzelnen sollten lernen, dass es nicht um eine vordergründige Freude, kurzfristiges Glück ging, sondern um eine fundamentale, eher stille Freude, des Herzens, die das Dunkel der Zeit und des Erlebten auflöst.
Ein Glas Champagner zu genießen, ist bestimmt ein Moment des Glücks. Lebendiges Wasser des Glaubens zu trinken, ist auf profunde Langfristigkeit über die kurzen Momente hinaus angelegt. Das zu kultivieren ist eine Aufgabe für uns als Gemeinde, auch, wenn der/die Einzelne Momente der Ängstlichkeit und Depression erlebt.
 
Glaube, kann der nicht enttäuscht werden? Ja, wenn die Sorgen und Ängste Menschen dominieren, dann kann Glaubeserwartung enttäuscht werden. Dann kann es passieren, dass "Angst essen Seele auf", wie der Titel eines R.W. Fassbinder Films mit Brigitte Mira aus den 70er Jahren heisst. Der westliche Mensch mit seinen großen individuellen Freiheiten und auch großer Verantwortung steht hier vor seiner großen Herausforderung, damit fertig zu werden. Wenn Menschen sich ihren Ängsten ergeben, dann frisst die Angst die Seele auf. Wie schlimm, wenn ein Mensch dieser Angst nichts entgegen zu setzen hat.
Eine Psychologin äusserte vor wenigen Tagen in einer Fernsehsendung zum Thema "Corona", dass viele Menschen jetzt wieder ins Beten kämen. Sie schien überrascht. Was ist die Macht des Gebetes? Nichtgläubige mögen es autosuggestiv nennen, doch insbesondere, wenn Menschen sich in Gemeinschaft des Gebetes wissen - auch, wenn das Gebet allein stattfindet, hat es das Potential, gewaltige Geisteskräfte zu entwickeln. Ich nenne dies eine Erfahrung des Wirken Gottes. 
 
Mir fällt das Lied Dietrich Bonhoeffers "Von guten Mächten wunderbar geborgen" 
(GL 430) ein. In der zweiten Strophe heisst es "Ach Herr gib unsren aufgeschreckten Seelen, das Heil, für das du uns geschaffen hast". Dieses Lied wird nicht von ungefähr von vielen, auch nicht so glaubenserfahrenen Menschen sehr gerne gesungen. Es bestärkt die aufgeschreckte Seele, auf dass sie sich nicht der Angst, dem Dunkel, der Depression hingibt.
 
2. In der zweiten Lesung ermutigt der Apostel Paulus im Epheserbrief (5, 8-14) die Gemeinde, das Licht in sich wahrzunehmen.
"Einst wart ihr Finsterniss, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn. Lebt als Kinder des Lichts."
Wann immer die Osterkerze entzündet wird, soll dies ein Zeichen sein, dass Christus das Licht ist - und dieses Licht soll auch in uns leuchten. Auch das ist natürlich ein Programm, eine Herausforderung, die erst und immer wieder alltagstauglich werden will. Der einzelne Mensch kommt oft an seine Grenzen Misserfolge, Abstürze, Leid zu tragen. Die Gemeinschaft der Glaubenden hat das Potenzial, etwas entgegen zu setzen. Klar kann und darf der einzelne Mensch auch skeptisch sein, doch hier ist jede/r Einzelne gefragt, welche Gemeinschaft da hilfreich ist, auch, wem ich vertrauen möchte oder kann: die ganze große Gemeinde? Eine kleinere Gruppe? 
Auch hier möchte ich ein Lied aus dem Gotteslob (GL 841) zur eigenen Meditation empfehlen: "Christus, dein Licht verklärt unsre Schatten, lasse nicht zu, dass das Dunkel uns ERDRÜCKT. Christus, dein Licht erstrahlt auf der Erde, und du sagst uns: Auch ihr seid das Licht."
Ich habe die Wortwahl "zu uns spricht" im Gotteslob durch "uns erdrückt" mit Absicht verändert. Denn auch das Dunkle in unserem Leben kann uns manches lehren, erzählen, auslösen, einzig auffressen lassen davon müssen wir uns nicht.
 
Eingefallen ist mir auch noch ein Bild aus der Astrophysik. (Die Astrophysiker unter Ihnen mögen mich rasch korrigieren und mir verzeihen, falls ich kompletten Unsinn schreibe!). Das unerforschte Phänomen der Schwarzen Löcher absorbiere alles Licht. Manchmal fühle ich mich wie ein solches schwarzes Loch, und meine innere Dunkelheit frisst alles Licht. Mein Gottvertrauen hat mir - bislang - immer geholfen, dieses Gefühl zu durchbrechen und wieder zum Licht zu kommen. Und denken Sie an den von Geburt an Blinden im heutigen Johannes-Evangelium (Joh 9, 1). Obwohl das Sonnenlicht nicht zu seiner sinnlichen Erfahrung gehört, hat er wie so manch anderer geburtsblinder Mensch Fähigkeiten entwickelt, dennoch Lebenslicht zu erfahren. 
 
3. Und damit möchte ich zu meinem letzten Gedanken für heute kommen. An diesem Blinden soll sich Gottes Kraft erweisen: Dieser Gott schickt auch den Blinden Licht. Blinden, die mit den Augen nicht sehen können und darüber hinaus, die blind im Geiste sind. Da fragten ihn ausgerechnet seine Jünger, und zeigen damit als Glaubende, dass diese für die richtigen Fragestellungen blind sind. Wer ist Schuld? Ja, das haben Menschen in der Kirche über die zwei Jahrtausende verstanden: die Schuldfrage in den Vordergrund zu stellen, anstatt nach Ursachen zu schauen. Die Schuldfrage lenkt ab von eigener Schuld und erzeugt allzuleicht Gewalt und Tod. Die Ursachenforschung versucht, Lösungen zu finden, ohne dass dafür Leben geopfert werden muss. 
 
Auch in diesen Tagen von Corona gibt es tatsächlich Menschen, die nach Schuldigen suchen (Donald Trump zum Beispiel, und vor einigen Wochen Menschen, die asiatische Menschen beschimpften und bezichtigten). Jesus ist in seiner Antwort klar. Niemand ist schuld. Nun, zu seiner Zeit gab es die Ursachenforschung in unserem Sinne nicht, doch die Jünger waren beschämt und mussten lernen. Unsere Reflexe, nach Schuldigen zu suchen, haben etwas Archaisches. Doch das Wort der biblischen Botschaft traut uns zu, als Glaubende lernfähig zu sein. Die Aufgabe des zu schnellen Vorurteils gehört dazu.
 
Liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie sich vom Licht Ihres, unseres Glaubens bestärken. Setzten Sie Herz und Verstand ein, auf dass Sie Sorgen und Ängste nicht auffressen. Bleiben wir einander im Geiste Gottes verbunden, auch, wenn wir Geduld haben müssen oder uns die gute Laune gelegentlich vergeht.
 
Achten Sie auf sich und andere, und bleiben Sie möglichst gesund!!
 
Ihr Holger Allmenroeder, Pfarrer
 
Sie sind willkommen, mich auch anzurufen: 0175-4034798