Schmuckband Kreuzgang

Wort zum und am Palmsonntag, 5. April 2020

Holger Allmenroeder (c) St. Marien
Holger Allmenroeder
Datum:
03.04.2020

Liebe Gemeinde,

mittlerweile ist es keine Überraschung mehr, dass nicht nur unser Alltag anders geworden ist; für viele scheint der Alltag gar still zu stehen. Alles soll zu einer ungewohnten, bedrohlich erscheinenden Ruhe kommen. Auch unsere höchsten Feiertage werden davon nicht ausgenommen sein. Corona/Covid-19 legt sich wie ein dichtes, klebriges Netz über den ganzen Erdball. Die allgemeinde Lebenslust wird mitten im anbrechenden, aufblühenden Frühling konfrontiert mit einem unerwarteten Absterben.

Was der Evangelist Matthäus und die anderen Evangelisten als Glaubenszeugnis beschreiben, fängt dieses Erleben für die Glaubenden nachträglich, also nach dem ersten Ostern, wieder ein. Es knallen der bejubelte Einzug des Messias Jesus in Jerusalem und sein grausamer Tod am Kreuz aufeinander. Dazu kommt, der Jubel erscheint wie ein kurz anhaltender Rausch, die Passion Jesu zieht sich elend lang dahin. Ja, dass er sterben müsse, hatte Jesus geahnt, angekündigt, an den Schriften der Propheten festgemacht - doch keiner wollte es hören, verstehen, annehmen - besonders seine Jüngerschaft nicht. 
Menschen wollen leben und nicht sterben. Und Menschen möchten ihren Lebenswillen und ihre Lebenslust nicht nur selber gestalten, sie möchten vielmehr am liebsten selber souverän darüber verfügen.

Nun bekommen wir "einen Schuss vor den Bug". Nein, wir haben weniger souverän in der Hand, als wir zugeben möchten. Die exakten Wissenschaften sind da nicht ausgenommen. 
Auf der Seite der Reichen jedenfalls - und dazu gehört unsere Hemisphäre, ohne dabei die Tatsache der Armut vieler Menschen unter uns zu verleugnen - haben wir uns wohl an eine trügerische Sicherheit gewöhnt. Nicht, dass uns auch hier nicht immer wieder einmal Krisen überkämen, doch diese Corona-Krise scheint alles zu übersteigen, was unsere Nachkriegsgenerationen gewohnt sind. Uns kann niemand bezwingen!

Andere Epochen hatten da einen fatalistischeren Umgang zu plötzlichem Tod durch Kriege, Pest und Cholera. Immer wieder tauchte der Gedanke auf, Gott persönlich habe für Sünden gestraft. Auch in diesen Tagen können wir das lesen; und ich kenne Priester, die das als Quasi - Tatsache verbreiten. Ich muss Ihnen gestehen, dies entspricht nicht meinem Glauben. Es ist nicht nur, weil ich mich als Kind meiner Zeit gerne von Vernunft, Aufklärung und Wissenschaft leiten lasse, es ist auch, weil die Bibel als Glaubensfundament im ersten wie im neuen Testament vor solchen Deutungen warnt. Hiobs Schicksal hat gar nichts mit einer Strafe Gottes zu tun. Im Gang durch die Krise und den Zweifel lernt er vielmehr sein verronnenes Glück als nicht selbstverständlich, weil er vor Gott gerecht ist, zu nehmen. Er kann und darf erkennen, dass es nicht um eine Strafe Gottes geht, wie seine Freunde mutmaßen, sondern dass es jeden treffen kann. Jona muss lernen, dass es Gott nicht darum geht, die verdorbenen, sündigen Menschen zu bestrafen. Weder der blind Geborene noch seine Eltern (Johannes 9) haben Schuld auf sich geladen, durch die das Schicksal zu erklären wäre.

Erst im Nachhinein deuten Menschen die Zeichen der Zeit und lernen daraus. Und wenn es gut geht, dann sind sie weit mehr ermutigt, das Leben wieder aufzunehmen und zu gestalten, als eingeschüchtert und verängstigt mit dauergesenktem Blick zu vegetieren. Das Zeugnis über Gott motiviert, und auch in der immanenten Warnung vor menschlicher Selbstüberhöhung will es uns weder das Leben verderben noch nehmen. Gott ist nicht zu instrumentalisieren, um Menschen einzuschüchtern. Aber mit Gottvertrauen, welches Christus uns lehrt, können wir lernen, das Leben auch mit seinen "dunklen Seiten" zu bewältigen. Der Mensch bleibt da in einem ständigen Diskurs. Über alle Epochen wird er wohl nie zu Ende gelernt haben. Die Botschaft der Bibel und des Evangeliums sind in ihrer Tiefe wahr - selbst, wenn sich unterschiedliche Glaubenssichten begegnen oder zu widersprechen scheinen. Wenn Kabarettisten vor glucksendem Publikum meinen, die Bibel als "Käse" verunglimpfen zu müssen, zeigen sie, dass sie vom Geist des Buches nichts verstanden haben.

Palmsonntag: ist es Absicht, dass die Liturgie uns mit dem Aufeinanderprallen von Hoffnung und Scheitern konfrontiert? Zumindest greift die Liturgie die Realität unseres Lebens auf: eben noch glücklich und in Hoffnung gelebt, dann plötzlich und unerwartet am Abgrund und in der Depression. In dieser Konfrontation geben uns die Liturgie und die Lesungen des Palmsonntags keine Ratschläge zu Sicherheitsabständen und sie nehmen uns auch nicht die Lösung weltlicher Probleme ab. Das Drama des langatmigen Verrats mit dem qualvollen Sterben am Kreuz kann uns ein Zeugnis und eine Anleitung sein, eine "Not"-Haltung einzunehmen, das Dunkel, den Schmerz, die innere Einsamkeit, gar den Tod auszuhalten. Spuren wird all das hinterlassen. Ich möchte mit Ihnen darauf vertrauen, dass wir mit langem Atem irgendwann nach Ostern wissen, warum es gut war, uns nicht irre machen zu lassen. Gott mag uns unsere Grenzen erleben lassen, doch Gott, wie ich es verstehe, gönnt uns das Leben auch angesichts des Todes. Mündig dürfen wir werden, befreit von Überängstlichkeit und Kleinmut im Blick auf Jesus, meine Glaubensbrücke zu Gott.

Ich wünsche Ihnen und uns allen trotz aller Einschränkungen eine starke Verbundenheit in diesen Tagen.

Ihr Holger Allmenroeder, Pfarrer

P.S.: in unseren täglich geöffneten Kirchen werden am Palmsonntag um 9.30 Uhr und 11.00 Uhr gesegnete Palmkreuze zum Mitnehmen bereit stehen. Im Laufe des Tages bis 18.00 Uhr dürfen Sie sich gerne bedienen.