Schmuckband Kreuzgang

Predigt vom 13. Sonntag im Jahreskreis

Predigt 28.06.2020 (c) Pfarrgruppe Dom St. Peter und St. Martin / Martina Bauer
Predigt 28.06.2020
Datum:
So. 28. Juni 2020
Von:
Martina Bauer

Christus lieben im Nächsten

28.06.2020

  1. SONNTAG IM JAHRESKREIS, LJ A zu: Mt 10, 37-42

(2020: Dom (Sa und 10:00 Uhr)

 

Christus lieben im Nächsten

 

  1. Das Christentum ist eine familienfeindliche Religion. Das war die Erfahrung der Römer, und letztlich auch der Grund für die radikalen Christenverfolgungen im römischen Reich. Diese neue christliche Sekte spaltet unsere Familien, bringt unsere Ordnung ins Wanken. Bei den Christenverfolgungen ging es nicht um irgendwelche religiösen Motive. Die Römer waren, was Religion betrifft, außerordentlich tolerant. Wenn sie neue Länder eroberten, waren sie oft fasziniert von deren Gottheiten und hatten keine Probleme, neue Götter in ihren ohnehin bunten Götterkosmos zu übernehmen. Was bei den Christen, wie auch schon bei den Juden störte, war der Absolutheitsanspruch ihres Gottes: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. Was aber speziell bei den Christen noch erschwerend hinzukam, war, dass sie die Familienordnung aufmischten und durcheinander brachten. Die Familie galt als heilig. Die Ordnung war einfach: sobald ein Mann heiratete, ging die Frau in seinen Besitz über. Der Mann, der „Pater familias“ war das unumschränkte Oberhaupt über die Frau, die Kinder, die Knechte und Sklaven. Sie galten als sein Besitz, über den er zu wachen hatte, über den er aber auch frei verfügen konnte. Und jetzt kommt einer, der sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, ihnen mehr gehorcht als mir, ist meiner nicht wert! Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert!“ Die ganze römische Familienordnung wird auf den Kopf gestellt, wird relativiert. Das war revolutionär. Das konnte nur in die Anarchie führen. Deshalb musste eine solche Lehre, die die ganze Gesellschaftsordnung in Frage stellt, mit aller Macht bekämpft werden.
  2. In der Tat waren es besonders die Frauen und die Sklaven, die mit Begeisterung der neuen Lehre zuliefen, sich bekehrten, diesen Glauben an ihre Kinder weiter gaben und so die Autorität des „Pater familias“ untergruben. Denn jetzt gab es einen, der wichtiger ist, dem noch vor dem Familienpatriarchen alle Liebe, Achtung, Gehorsam geschuldet war: Jesus Christus. „Wer Vater, Mutter, Sohn, Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert!“ Und an anderer Stelle noch radikaler: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein!“ (Lk 14,26). Ist also das Christentum im Kern eine rebellische, familienfeindliche, revolutionäre Kraft? Und ist es vielleicht unser Problem, dass wir das Evangelium im Laufe der Jahrhunderte zu sehr verniedlicht, gezähmt, so familienfreundlich gemacht haben? Und damit am Ende auch so belanglos?
  3. Ich gebe ehrlich zu: mich faszinieren gerade deshalb diese ungezähmtem, anstößigen, revolutionären Stellen so sehr, weil hier etwas von der ursprünglichen Sprengkraft dieser Botschaft deutlich wird, die ganze Systeme, ja die am Ende das über Jahrhunderte so erfolgreiche Imperium der Römer ins Wanken gebracht hat. Und – Sie wissen, ich werde nicht müde, das zu sagen: der Zölibat als Lebensform, die sich, wie ich meine, sehr konsequent aus genau diesen radikalen Äußerungen Jesu entwickelte, der vielleicht noch der letzte anstößige Rest dieser Radikalität ist, ist für mich deshalb so kostbar. Eben weil er – zumindest wo er glaubwürdig gelebt wird – zeigen möchte: die Liebe zu Jesus Christus relativiert alles! Es gibt wichtigeres als Besitz, als Karriere, als sexuelle Erfüllung, ja wichtigeres als Familie und Nachkommenschaft: Es geht um das Reich Gottes! „Wer Sohn oder Tochter, wer eine Frau mehr liebt als mich….“
  4. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist: eigentlich sind die Sätze, wenn man genau hinhört, gar nicht so familienfeindlich, wie sie sich zuerst anhören. Im Gegenteil. Sie stellen Familie auf eine ganz neue Basis, ein ganz neues Fundament. Während nämlich im römischen Recht und in der damaligen Gesellschaftsordnung Ehe und Familie ganz in den Kategorien des Eigentumsrechts betrachtet wurden – die Frau ging samt ihrem ganzen Besitz und Hausstand mit der Heirat ins Eigentum ihres Mannes über. Mit fatalen Folgen. Wurde eine Frau früh Witwe und hatte noch keinen männlichen Nachkommen, war sie plötzlich Eigentümerin des ganzen Vermögens ihres Mannes – aber eben nur so lange, bis sie wieder heiratete. Eine unverheiratete Witwe war deshalb in Rom sehr schlecht angesehen – bis das Christentum kam. Und eine Art Frauen-Zölibatsbewegung entsteht. Und tatsächlich waren es zuerst vor allem reiche Witwen, die gar nicht daran dachten, wieder zum Eigentum werden zu wollen, die plötzlich in einem Zölibat aus religiösen Gründen eine Chance zu echter Emanzipation sahen. Aber das wäre ein eigenes Thema.
  5. Fakt ist: Jesus sagt im Evangelium nicht: Ihr müsst mich mehr leiben als Vater und Mutter, Tochter und Kind! Sonst seid ihr meiner nicht wert!“ Er sagt – und hier kommt es tatsächlich exakt auf den Wortlaut an: „Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, oder Sohn oder Tochter!“ Er will genauso geliebt sein wie Vater, Mutter, Sohn, Tochter. Nicht mehr und nicht weniger. Genau so. Und hier blitzt das erstmals auf, was sich später im Verständnis des Ehesakramentes entwickelt und entfaltet hat. Es geht eben nicht um ein Mehr oder Weniger, sondern: in der Leibe zu den Geliebten Menschen zeigt sich unsere Liebe zu Christus. In den Traugesprächen versuche ich das den Eheleuten gern zu vermitteln: Wenn wir davon sprechen, das die Ehe ein Sakrament nicht – nicht die Hochzeit, sondern die Ehe, also das Zusammenleben, das Miteinander; und wenn wir sagen, dass ein Sakrament ein Zeichen ist, in dem uns Gottes Liebe unmittelbar begegnet, dann bedeutet das: in der Art und Weise, wie Eheleute einander lieben, wie sie füreinander da sind, sich um einander sorgen, einander verzeihen, in der Zärtlichkeit miteinander zeigt sich, wird spürbar und erfahrbar, wie Gott uns liebt. Deshalb bekomme ich jedes Mal Pickel, wen einer sagt – und das hört man leider oft: „Im Ehesakrament wird Christus der Dritte im Bunde!“ Was ein Quatsch. Dreiecksbeziehungen funktionieren nicht, auch nicht, wenn Jesus der Dritte ist. Nein: In der Liebe der Partner zueinander zeigt sich die Liebe Christi zu uns Menschen. Und umgekehrt: im je anderen lieben sie eben auch Christus. Das ist das hohe Ideal.
  6. Und genauso ist das auch heute im Evangelium gemeint: kein „Entweder-Oder“: „Entweder liebt ihr Vater, Mutter, Kinder, oder ihr liebt mich!“ – sondern: in den Menschen, die euch anvertraut sind, liebt ihr mich. In der Art, wie ihr miteinander umgeht, liebt ihr mich! Das Jesus das genauso meint, wird deutlich in den folgenden Zeilen: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf! Wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser reicht, weil er zu mir gehört, der kommt nicht um seinen Lohn!“
  7. Das ist für mich das eigentlich Revolutionäre der Botschaft des Evangeliums: sie ist alles andere als familienfeindlich. Sie holt Familie aus den Kategorien des Eigentumsrechts und stellt sie auf ein ganz anderes Fundament: auf das Fundament der Liebe Gottes zu den Menschen. Liebe ist es, was Familien, was Menschen zusammen halten soll, nicht Verträge und Eigentumsfragen. Und in der Liebe zueinander zeigt sich unsere Liebe zu Gott! Keine Frage: das ist ein enorm hohes Ideal, ein hoher Anspruch. Denn er bedeutet auch: wo wir im Umgang miteinander die Liebe vermissen lassen, da treffen wir ebenso unmittelbar Gott. Deshalb funktioniert das auch nur, wenn wir aus seiner Liebe leben, wenn wir uns ihr immer neu öffnen. Uns von ihm beschenken lassen. Denn aus uns allein schaffen wir das nicht. Die Liebe ist ein Geschenk, eine Gnadengabe. Denn Gott ist die Liebe. Amen.