Agape – liebende Hingabe: Gütesiegel christlicher Existenz

Predigt von Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz zum Abendmahlsamt an Gründonnerstag, 24.03.2016, 19.00 Uhr Mainzer Dom

Datum:
Do. 24. März 2016
Von:
Udo Bentz
Schwestern und Brüder, ein feierlicher Ernst liegt über diesem Abend – wir treten ein in in das Innerste Geheimnis Jesu. Jesu Stunde ist gekommen. Es gab eine Zeit, da war sie noch nicht gekommen. Erinnern wir uns an die Hochzeit von Kana, als Jesus seiner Mutter antwortet: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen." (Joh 2, 4). Und der Frau am Jakobsbrunnen sagt er: „Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet." (Joh 4, 21) Jetzt naht diese Stunde. Es spitzt sich etwas zu. Der Evangelist Johannes lässt uns aufhorchen: „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung." (Joh 13,1)

Dieser Abend lebt von einer gewissen Intimität. Jesus zieht sich zurück. Nur er mit seinem engsten Kreis. Es sind „die Seinen". Um erfassen zu können, was geschieht, braucht es diese Vertrautheit, die „familiaritas" der Seinen. Um hineinzufinden in das Geschehen dieses Abends, braucht es auch unsrerseits diese Vertrautheit mit Jesus. Dieser Abend ist nicht der Abend „öffentlicher Prokolamation". Es ist nicht der Abend, um die gesellschaftspolitische Relevanz des Glaubens zu bedenken, wie wir das oft und richtig zu anderen Zeiten tun. Es ist der Abend, an dem unsere Vertrautheit mit Jesus an Tiefe zunimmt.

Es heißt: „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war." (Joh 13,1) Was jetzt geschieht, geschieht im klaren Bewusstsein seiner Sendung. In einer solchen Stunde ist nichts zufällig. Nichts ist überflüssig. Kein Wort zu viel. Und keine Geste beiläufig. Alles ist auf das Wesentliche konzentriert. Alles ist Vermächtnis. Testament. Ein Zeichen folgt dem anderen. Und jedes Wort ist ein Deutewort.

Worum geht es in dieser intimen Stunde? Es ist die Stunde „seiner Liebe bis zur Vollendung." Der Evangelist spricht von der „agapae" – von der sich hingebenden Liebe; „eis telos" – bis ans Ziel, bis ans äußerste. Grenzenlose Hingabe bis ans Ende, bis Jesus am Ziel ist und selbst sagt „Es ist vollbracht." (Joh 19,30). Da gibt einer alles. Und zwar nicht für sich, sondern „pro vobis" – für euch, für alle. Indem Jesus sich in den Staub bückt und die Füße wäscht, indem er das Brot bricht und den Kelch reicht, nimmt er im Zeichen vorweg, was Stunden später leibhaftig mit ihm geschieht: „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben gibt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde!" (Joh 15,13) Beides – Fußwaschung und Eucharistie – leben aus derselben inneren Dynamik: „Ich für euch!"

Das an sich heran lassen. Das auf sich wirken lassen. Diese Dynamik verinnerlichen. Darum geht es zuerst an diesem Abend, wenn wir hineingehen in die heiligen Tage. Ich sage bewusst: Es geht zuerst darum, diese Dynamik an sich heranzulassen. Warum? Weil eine Gefahr lauert: Die Fußwaschung ist Zeichen hingebungsvoller Liebe. Ja, wir können sagen: Die Fußwaschung ist das „Gütesiegel" unseres christlichen Lebens und unseres kirchlichen Handelns. Das ist tatsächlich der Maßstab, an dem wir uns messen lassen müssen. Dann könnte man das nun im Einzelnen weiter durchbuchstabieren. Und natürlich sagt Jesus: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe." (Joh 13, 15) Hier lauert die „Gefahr": Gehen wir nicht zu schnell in die „Aktion". Ziehen wir die Linie nicht zu rasch ins Ethische und Moralische. Dieses Beispiel, das Jesus uns gibt, ist nicht in oberflächliches „So sollst du nun auch!". Wir stehen als Kirche oft in der Gefahr, zu schnell, zu rasch zur ethischen Konsequenz und zur moralischen Deutung zu gehen. Wir sprechen zu leicht von „du sollst" und „du musst". Wir laufen damit Gefahr, die „Macher" zu sein, Glaube als Leistung und Anstrengung – als unser Werk zu erfahren.

Der Evangelist Johannes verwendet ganz bewusst den Begriff „agapae" – hingebende Liebe. Nicht „eros", die sinnliche Liebe; nicht „philia", die freundschaftliche Liebe; sondern „agape" – hingebende Liebe. Diese hingebende Liebe hat in der Bibel nämlich eine bestimmte Struktur und grundlegende Dynamik. Sie geht gerade nicht vom Menschen aus zu Gott. Agape ist eine Liebe der Hingabe, die von Gott zum Menschen geht: „Darin besteht die Liebe" – sagt Johannes – „nicht dass wir Gott ... lieben, sondern dass er uns geliebt hat." ( 1 Joh 4,10). Und zwar: „... zuerst geliebt hat." (1 Joh 4,19) Das ist die entscheidende Dynamik an diesem Abend: „Mein Leib für euch" – „pro vobis" – „ich für euch."

Gottes Dienst an mir! Das ist die Bewegung Gottes auf mich zu. „Begreift ihr, was ich an Euch getan habe?" – so fragt Jesus zu Recht. Können wir zulassen, was an uns geschieht, wenn wir diese hingebende Liebe auf- und annehmen? Dass das nicht selbstverständlich ist, erkennen wir am Widerstand des Petrus´. Wie sehr wehrt er ab! „Du, Herr, willst mir die Füße waschen?" Ja, es braucht diesen geistlichen Schritt, sich so lieben lassen zu können – mit allen Grenzen und aller Abwehr, die wir dabei in uns verspüren. Wenn wir das aber an uns zulassen, dann werden wir hineingenommen in diese Dynamik seiner Hingabe. So verstehen wir nun auch die Antwort Jesu an Petrus: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir." (Joh 13, 8) – Heißt: Wenn du es nicht zulassen kannst, dich von mir so lieben zu lassen, kannst du selbst auch nicht lieben.

Jetzt verstehen wir besser, warum ich gesagt habe: Wir dürfen nicht zu rasch zum ethischen Impuls bei dieser Erzählung übergehen. Das Beispiel, das Jesus uns gegeben hat, können wir nicht einfach aufgreifen mit einem oberflächlichen: „So sollst du auch!" Der „Zwischenschritt" ist das Entscheidende: Dieses „sollen" ist nicht unsere moralische Anstrengung, sondern: Nur wer die Liebeshingabe an sich erfahren hat, den drängt es von innen her, weiterzugeben, was er empfangen hat.

Davon leben wir: als Christ, als Kirche – mit den Worten des heiligen Paulus: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe." (1 Kor 11,23) Empfangen – weitergeben. Wer Liebe schenken will, muss selbst von ihr beschenkt worden sein. Damit wir Quelle der Liebe sein können, müssen wir selbst immer wieder aus der ersten der ursprünglichen Quelle trinken – bei Jesus Christus. (vgl. Benedikt XVI. / Deus caritas est 7)