Nicht nur für die Frommen

Kopftuch, Beschneidung, Fasten. Religiöse Symbole und Praktiken sorgen für Debatten. Es geht um Religionsfreiheit. Was ist sie, wie weit geht sie?

An Äußerlichkeiten wie der Kleidung entzünden sich Diskussionen um ein Thema mit großer Tragweite: der Religionsfreiheit | Foto: fotolia / joserpizarro (c) fotolia / joserpizarro
An Äußerlichkeiten wie der Kleidung entzünden sich Diskussionen um ein Thema mit großer Tragweite: der Religionsfreiheit | Foto: fotolia / joserpizarro
Datum:
Mi. 28. Juni 2017
Von:
Kirchenzeitung "Glaube und Leben"
Professor Heiner Bielefeldt, Experte für Menschenrechte, nennt sie eine „Provokation“.

Ab und zu ein Wetterleuchten. Erdrückende Schwüle. Ein Gewitter braut sich zusammen. In der klimatisierten Lounge des Erbacher Hofs in Mainz dagegen ist es angenehm kühl. Gute Voraussetzungen für das Gespräch mit Heiner Bielefeldt. Der Professor aus Erlangen ist Experte für Menschenrechte und war sechs Jahre lang Sonderberichterstatter der UNO für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Er ist einer der Gastredner der Reihe „Religionsfreiheit ist Menschenrecht“ der Bistumsakademie Erbacher Hof.

Religionsfreiheit – das Thema sorgt immer wieder für „Gewitterstimmung“ in der Öffentlichkeit. Darf eine Lehrerin ein Kopftuch tragen? Muss ein „Glockenhasser“ das tägliche Glockenläuten der Kirche nebenan ertragen? Wie sieht es aus mit Fasten während der Arbeitszeit? Auch jene Frage stellt sich: Hasskommentare im Internet werden als „Hasskriminalität“ bezeichnet und aktuell von der Justiz geahndet. Aber was ist mit Hasspredigten von gewaltbereiten Salafisten, die ihre Botschaften auch in Moscheen verbreiten? Im Schutz eines Gotteshauses? Ist das Religionsfreiheit? „Nein. Aufstachelung zum Hass ist nicht geschützt. Im ,Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte‘ sind Staaten sogar aufgefordert, dagegen etwas zu tun, notfalls mit Verbotsmaßnahmen“, antwortet Bielefeldt.

Vor allem mit positiven Maßnahmen wie Aufklärung und Bildung, sagt der Professor. Denn Religionsfreiheit ist ein Grundrecht von Menschen, in das der Staat so wenig wie möglich eingreifen darf. Ideen, beispielsweise Imamen das Predigen auf Deutsch vorzuschreiben, seien Unsinn. „Dann müsste man auch den katholischen Gottesdienst auf Polnisch und Italienisch verbieten.“

Welche Bedeutung und Komplexität Religionsfreiheit als Grundrecht hat, wird deutlich, „wenn man sich den vollständigen Namen dieses Rechts bewusst macht“, erklärt der Menschenrechtsexperte. „Es heißt Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit.“ Jeder Mensch habe identitätsbildende Grundüberzeugungen, die für ihn existenziell sind. Menschen haben ein Recht darauf, ihren Grundüberzeugungen Konsequenzen folgen zu lassen, in einer Praxis, an der sie ihr Leben orientieren. Die kann sich in Kleidung, Fasten, durch Feiertage oder in der Kindererziehung äußern. „Das ist ein Recht nicht nur für die Frommen“, betont Professor Bielefeldt. Auch für Atheisten und Agnostiker ist die Religionsfreiheit da. Jede Einschränkung schneide tief ein. „Der Mensch ist ein Wesen mit Überzeugungen. Da besteht auch noch mal ein Unterschied zu Meinungen, die man morgen vielleicht wieder wechselt.“

Doch was gilt als religiöse Praxis? „Das hängt vom Selbstverständnis des jeweiligen Menschen ab, von seiner subjektiven Wahrnehmung.“ Bei jeder staatlichen Einschränkung der Religionsfreiheit liege die Beweislast beim Staat, der den Eingriff rechtfertigen muss. Der Staat selbst ist zu religiöser Neutralität verpflichtet.
International sieht Professor Bielefeldt die Religionsfreiheit als Provokation für Staaten. Autoritäre Staaten wie etwa Saudi-Arabien, die ihr politisches System auf die Wahrheit einer Religion bauen, sehen darin eine Gefahr für ihren Machterhalt. „Hier geht es allein um die Frage: Wahrheit oder Häresie.“ Zudem gebe es Staaten, die fremde Religionen als Verwässerung ihrer nationalen Identität betrachten, etwa Russland und Indien.

Er sieht noch ein drittes Muster: Die Sprengkraft der Religionsfreiheit in Ländern mit Ein-Parteien-Systemen. „Hier herrscht eine Kontrollobsession bei der Religionsausübung, um zu verhindern, dass Menschen ,sich erdreisten‘, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.“ In Deutschland sei Religionsfreiheit staatlicherseits gut gewährleistet. Hier müsse eher an der gesellschaftlichen Akzeptanz gearbeitet werden. Sein Tipp: Neue Gesprächsformate. „Es gibt den interreligiösen Dialog. Aber institutionalisierte Gespräche zwischen ,religiös Musikalischen und Unmusikalischen‘ fehlen.“

Von Anja Weiffen

Den ganzen Beitrag mit weiteren Hintergründen lesen Sie in der Print-Ausgabe von "Glaube und Leben" vom 1. Juli 2017.

Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de