Zeichen österlicher Hoffnung – gerade dort, wo die Zeichen auf Tod stehen!

Predigt von Weihbischof Bentz zur Osternacht 2016 / Mainzer Dom, 26.03.2016, 21.30 Uhr

Osternacht Mainzer Dom 2016 (c) Bistum Mainz
Osternacht Mainzer Dom 2016
Datum:
So. 27. März 2016
Von:
Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Mainz Bischöfl. Priesterseminar St. Bonifatius
Schwestern und Brüder, „Er ist nicht hier!“ – Dieses Wort sollten wir nicht zu schnell übergehen. Viele teilen in diesen Tagen dieses Empfinden. „Er ist nicht hier - Gott ist nicht da…“: Die Angehörigen der Opfer von Brüssel, die Verletzten, ihre Familien, die verängstigten Menschen - sie werden verzweifelt sagen: „Gott – an diesem Ort? Hier war er nicht!“ Die Christen im Irak oder in Eritrea – in ihrer lebensbedrohlichen Bedrängnis, in Not und Verfolgung werden sollen Ostern feiern. Auch sie werden fragen: „Gott? Ist er hier? Wo bist du?“
Osternacht Mainzer Dom 2016 (c) Bistum Mainz
Osternacht Mainzer Dom 2016

Aber – Schwestern und Brüder – auch das muss man in diesen Tagen deutlich benennen: Gerade als Christen dürfen wir über all dem nicht die Menschen muslimischen Glaubens vergessen. Wir dürfen die Not derer nicht ausblenden, die angesichts des Terrors und angesichts dessen, wie ihre Religion missbraucht wird, leiden und deutlich über ihre Religion sagen: „All das hat wirklich nichts mit Gott zu tun!“

In dieser Nacht mit Osterfeuer und österlichem Halleluja, gerade in dieser Nacht tun wir gut daran, nicht vorschnell zum österlichen Jubel überzugehen. Dann nämlich laufen wir Gefahr, die vorausgegangen inneren und äußeren Nächte Jesu – am Ölberg und auf Golgotha – zu schnell hinter uns zu lassen. Immer wenn der Mensch nicht selbst betroffen ist, neigt er dazu, solche Nächte schnell auszublenden. Diese österliche Nacht ohne die vorausgegangenen Nächte – es wäre nur die halbe Botschaft. Und wir wären als Zeugen von Ostern nicht ehrlich.

Warum? Zur österlichen Erfahrung der Frauen am Grab, am frühen Morgen in Jerusalem, gehört das Erschrecken, die verstörende Entdeckung der Leere, die schroffe Antwort des Engels dazu: „Er ist nicht hier!“ Diesem ersten Wort der Osterbotschaft sollten wir schon das rechte Gewicht geben, ohne den zweiten Satz des Engels zu schmälern: „Er ist auferstanden!“ Sind wir ehrlich: Wir wollen zwar österliche Menschen sein, oft genug aber bleiben wir Tastende, Suchende, Irrende und Zweifelnde.

„Er ist nicht hier.“ Diese Erfahrung hat ganz verschiedene Ursachen: Ja, es gibt diejenigen, die aufgehört haben, nach Gott zu fragen. Stattdessen zucken sie mit der Schulter und sagen resigniert: „Er ist nicht hier!“ Aber es gibt auch diejenigen, die glauben, wirklich glauben wollen, und dennoch die schmerzliche Erfahrung machen, dass sich ihnen Gott entzieht – sie sagen auf ihre Weise: „Er ist nicht hier!“ Bei denen, denen sich durch einen Schicksalsschlag der Blick auf Gott verstellt, ist es Verzweiflung. Bei anderen ist es enttäuschte Sehnsucht. Wieder bei anderen ist es oberflächliche Gleichgültigkeit.

So verschieden die zugrunde liegende Erfahrung ist – wir teilen sie mit den Frauen am Grab und den Jüngern. Die Erzählungen von Ostern berichten in immer neuen Varianten, dass dieses „Er ist nicht hier“ mitten in den Osterglauben hineingehört. Der Auferstandene ist gegenwärtig und abwesend zugleich. Das leere Grab verstört und lässt Ratlosigkeit zurück. Zu den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus gesellt sich ein Fremder und sie sind wie mit Blindheit geschlagen und erkennen ihn nicht (Lk 24,13-36). Auch am Ufer des Sees von Tiberias steht ein Fremder und wie lange dauert es, bis die Jünger ihn erkennen. (Joh 21) In Jerusalem, wo die Jünger sich verschanzt haben, erschrecken sie und meinen einen Geist zu sehen. (Lk 24, 37) Und es heißt: Sie konnten es nicht glauben.

Die geistliche Erfahrung der ersten Osterzeugen ist auch unser Osterglaube: Wir haben den Auferstandenen immer nur im Hin und Her von Nähe und Distanz, von Glaube und Zweifel, von Vertrautheit und Fremdheit. – Auch wer Gott mit ganzem Herzen sucht, wird immer auch seine Abwesenheit und Unbegreiflichkeit erfahren. Das spricht nicht gegen Ostern sondern für die Auferstehung. Da zeigt sich: Der Auferstandene sprengt unsere Vorstellungen.

Wenn wir meinen: „Er ist nicht hier!“ – dann heißt das noch lange nicht, dass er tatsächlich nicht da ist. Wir sollen uns davon nicht „gefangen nehmen lassen“. Er ist da! – Das sagt uns das Zeugnis der ersten Jünger von Ostern. Er ist da – aber ganz anders. Er ist da in den dunkelsten Nächten, gerade dann, wenn wir nichts von ihm ertasten können. Wir dürfen der paradoxen Ostererfahrung der Frauen am Grab und der Jünger vertrauen: Wenn Gott uns fremd und weit weg erscheint, er ist denn auf überraschend andere und neue Weise uns ganz nah. Ein österlicher Mensch sein, heißt: sich diese Offenheit bewahren für Gottes so andere Weise mir nahe zu sein. Oft erkenne ich erst sehr viel später, im Rückblick, wie er in einer bestimmten Situation lebendig bei mir war. Deswegen sagt der Engel am Grab den Frauen: „Erinnert euch…!“

Hören wir noch genauer auf die Botschaft  des Engels an die Frauen am Ostermorgen. Was sagt er noch? „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Wo also suchen daraufhin die Frauen nach dem Lebendigen? Sie kehren zu den anderen Jüngern zurück. Auch die Emmausjünger kehren zum Kreis der Elf nach Jerusalem zurück. In der Gemeinschaft der Jünger zeigt sich der Auferstandene. Für den lebendigen Gott braucht es die Gemeinschaft der Jünger – die Gemeinschaft der Kirche – so die Ostererzählungen.

Gerade dann, wenn wir die Erfahrung machen „Er ist nicht hier!“ – dann lasst uns Jesus, den Auferstandenen, suchen in den Gesichtern unserer Brüder und Schwestern, die mit uns glauben. Teilen wir miteinander die Erfahrung der Abwesenheit und der Nähe des lebendigen Gottes. Ergänzen wir uns darin, stützen wir einander. Was der Engel für die Frauen am Grab, das sind wir füreinander: Zeugen, die einander hinterfragen und ermutigen und antreiben mit der Frage: „Was suchst du den Lebenden bei den Toten?“ –Mit solchen Zeugen bleibt auch Kirche lebendig. Suchen wir Jesus unter den Lebenden, die durch die Taufe eingetaucht sind in ein Leben mit Gott. Deswegen erneuern wir jetzt gleich unser Taufversprechen.

Lasst uns miteinander und füreinander österliche Menschen sein, die die Augen vor den harten Realitäten des Todes und der scheinbaren Abwesenheit Gottes zwar nicht verschließen, die dabei aber nicht stehenbleiben. Lasst uns österliche Menschen sein, deren Herz gefüllt ist mit der Sehnsucht und dem Vertrauen: Gottes Liebe ist stärker als der Tod. Gerade in unseren Tagen, wo die Zeichen so brutal und beängstigend auf Tod stehen, braucht es die Zeichen unsrer österlichen Hoffnung. Leben wir nicht die Angst – leben wir die Hoffnung! Das ist unsere Verantwortung als Kirche, als Christen inmitten unsrer Gesellschaft. Setzen wir diese Zeichen, auch über alle Grenzen der Konfessionen hinweg.

Osternacht Mainzer Dom 2016 (c) Bistum Mainz
Osternacht Mainzer Dom 2016 (c) Bistum Mainz
Osternacht Mainzer Dom 2016 (c) Bistum Mainz