Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz

Gesetzentwurf „unmenschlich“

Bischof Peter Kohlgraf
Datum:
Mi. 31. März 2021
Von:
Bischof Kohlgraf in "Glaube und Leben"

Wer will schon wirklich sterben? Anlässlich der „Woche für das Leben“ vom 17. bis 24. April hinterfragt Bischof Peter Kohlgraf im „Wort des Bischofs“ das umstrittene Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 zur Suizidhilfe.

Als katholische Kirche sollten wir die Angebote fördern und verstärken, die „Leben im Sterben“ ermöglichen

Die diesjährige „Woche für das Leben“ (17. bis 24. April) steht unter dem Leitwort „Leben im Sterben“. Die Thematik von Sterbebegleitung und Sterbehilfe hat in den vergangenen Monaten noch mehr an Aktualität gewonnen: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2020 hat das Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe für nichtig erklärt, jetzt stehen gesetzliche Neuregelungen der Beihilfe zum Suizid an.
Ein Gesetzentwurf, vorgelegt im Januar 2021, sieht vor, Beihilfe zum Suizid nach Beratung zu ermöglichen. Voraussetzung sei, dass der Betroffene aus autonom gebildeten, freien Willen sein Leben beenden wolle, ohne jeglichen Druck von außen; zudem müsse er in der Lage sein, das Für und Wider für sich abzuwägen. Kein Arzt dürfe jedoch zur Beihilfe gezwungen werden. Die Beratung solle die Motive klären und Handlungsalternativen aufzeigen. Zu diesem Gesetzentwurf müsste man viel sagen. Die deutschen Bischöfe haben sich dazu geäußert und werden das Thema mit großer Aufmerksamkeit weiterverfolgen. Denn auch unsere kirchlichen Einrichtungen müssen zu einem Umgang mit diesem Thema finden. Um es direkt zu sagen: Beihilfe zum Suizid kann nicht zum Portfolio kirchlicher Einrichtungen gehören. Zunächst bleibe ich bei der Vorstellung einer autonomen, reflektierten Entscheidung des Sterbewilligen hängen. Besonders bedroht von Suizidgedanken sind Menschen mit psychischen Erkrankungen, Psychosen, Suchterkrankungen und auch Depressionen. Es betrifft vor allem junge Frauen in Not, ältere Menschen, Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung und Frauen mit Migrationshintergrund. Oft lösen traumatische Erfahrungen Suizidwünsche aus. Und: Suizidgedanken sind vielfach kein beständiges Phänomen. Oft senden Menschen durch ihre Tat oder den geäußerten Suizidwunsch Hilferufe aus und im Letzten geht es gar nicht um einen realen Sterbewunsch.

"Indem Gesellschaften das Starke, Schöne, Gesunde als Maßstab in den Mittelpunkt stellen, kann es zu inneren Drucksituationen kommen"

Die Kirche muss selbstverständlich eine differenzierte Haltung in der moralischen Bewertung des Suizids einnehmen. Denn die beschriebenen Ursachen zeigen deutlich, dass Betroffene ihren Wunsch nicht als Auflehnung gegen den göttlichen Willen aussprechen, sondern aus einer sie überfordernden Notsituation heraus. Im Weiteren geht es daher nicht um die moralische Be- oder Verurteilung der Menschen. Allerdings sind die hier nur kurz beschriebenen Hintergründe eine erhebliche Anfrage an die in der Gesetzesvorlage unterstellte Autonomie des Menschen, der frei von äußerem Druck entscheiden kann. In den seltensten Fällen wird es sich um eine reflektierte und autonome Entscheidung handeln.
Der Blick in andere Länder zeigt: Es kann Formen subtilen gesellschaftlichen Drucks geben, der gerade alte und kranke Menschen dazu bringt zu meinen, sie könnten sich in ihrer Schwachheit der Gemeinschaft nicht mehr zumuten. Indem Gesellschaften das Starke, Schöne, Gesunde als Maßstab in den Mittelpunkt stellen, kann es zu inneren Drucksituationen kommen, die vom Einzelnen gar nicht reflektiert werden können. Und eine Beratung im Sinne des Gesetzesentwurfs, die nur der Klärung der Motive dient, lässt am Ende den Menschen in seiner Not allein. Hier kann ich als Christ und Bischof nicht mitgehen. Ich halte diesen Gesetzentwurf für unrealistisch – am Ende für unmenschlich. Als katholische Kirche sollten wir die Angebote fördern und verstärken, die „Leben im Sterben“ ermöglichen: Seelsorge und Beratung, die darauf ausgerichtet sind, Lebensmut zu stärken; Hospizarbeit, Palliativmedizin und menschliche Sterbebegleitung, die Lebensqualität auch in der letzten Phase möglich machen. Es gibt diese Angebote. Gerade auch der kranke und sterbende Mensch gehört zu uns, er ist keine Last, sondern Ebenbild Gottes, Bruder oder Schwester.
Ihr Bischof Peter Kohlgraf

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 4. April 2021. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de