Diakon Gerd Wagner (c) Maria Weißenberger

Glaube und Leben

Diakon Gerd Wagner
Datum:
Do. 17. Jan. 2019
Von:
Kirchenzeitung/ Maria Weissenberger

„Ich bin ansprechbar“

Eine Tendenz der Kirche, sich als „heiliger Rest“ einzuigeln, nimmt Gerd Wagner in jüngster Zeit wahr. Er dagegen meint: „Wir müssen mehr zu den Leuten.“ Deshalb hat der Diakon in Ober-Ramstadt zwei Projekte gestartet.

Einmal in der Woche sitzt Gerd Wagner mitten in Ober-Ramstadt im Café – im Sommer, wenn das Wetter mitspielt, meistens auf der Terrasse. Vor ihm auf dem Tisch ein Schild, das signalisiert: Dieser Mann ist ansprechbar. Und wer ein wenig Ahnung hat, der erkennt an dem Kollarhemd mit dem steifen römischen Kragen, dass er es mit einem offiziellen Vertreter der Kirche zu tun hat. Wagner legt Wert darauf, als solcher erkennbar zu sein: „Mein Diakonat ist schließlich eine Lebensform, nicht nur ein Amt“, betont er. „Meinen Ehering lege ich ja auch nicht ab.“
Unaufdringlich, aber auch unübersehbar will Gerd Wagner den Passanten und den Gästen des Cafés deutlich machen, dass er gesprächsbereit ist. Nach Möglichkeit wählt er einen Tisch am Rand aus, an dem möglichst viele Menschen vorbeikommen. „Ich verstecke mich nicht in der Menge“, sagt er, „aber ich will auch nicht zu auffordernd aussehen.“ So bestellt er sich einen Kaffee oder etwas anderes und hat immer auch ein Buch dabei, falls niemand ihn anspricht. Diese Befürchtung, die er anfangs hatte, hat sich aber nicht erfüllt. „Bisher sind immer Leute stehen geblieben oder haben sich zu mir an den Tisch gesetzt und geredet.“

Menschen, von denen man wenig weiß – weil die Zeit zum Reden fehlt

Dass Menschen wegen großer Nöte das Gespräch mit dem Seelsorger suchen, kommt hier kaum vor. „Oft waren es bislang Leute, die ich immer wieder treffe, etwa in der Gemeinde nach dem Gottesdienst, wo aber wenig Zeit zum Reden ist“, erzählt der Diakon. Auch Menschen, die er aus anderen Zusammenhängen kennt, beispielsweise aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in der Freiwilligen Feuerwehr, nutzen die Gelegenheit, im Café ein wenig mit ihm zu plaudern. „Auf diese Weise erfahre ich Dinge über Menschen, die ich nicht geahnt habe, obwohl ich sie zum Teil schon lange kenne“, erzählt er. „Einfach weil ich nie Zeit hatte, mich in Ruhe mit ihnen zu unterhalten.“ Und dann kommen gelegentlich schon mal Sorgen und Probleme zur Sprache. So wie bei einer früheren Schülerin, die er in einer schwierigen Zeit traf und dann beraten hat. „Bisher ist nur einmal jemand gekommen, den ich vorher nicht kannte“, sagt er. Und einmal habe sich jemand gezielt mit ihm verabredet.
In der Regel versucht Wagner, immer freitags um 17 Uhr im Café zu sein, und kündigt das auch auf seiner Facebook-Seite an. Sein „Kommunikationsprojekt“ spricht sich herum, immer wieder sprechen ihn Bekannte an: „Na, wieder mal im Café gesessen?“ Anfangs hatte er überlegt, sich mit Campingstühlen auf den Rathausplatz zu setzen, „aber das war zu aufwendig und kam mir zu exponiert vor“, erklärt er.
Natürlich hat er den Inhaber des Cafés gefragt, ob er etwas gegen seine Idee habe. Hatte er nicht. Und mittlerweile stellt er ihm bei seiner Ankunft schon mal ungefragt seinen Cappuccino hin. „Einmal“, erinnert sich Wagner lachend, „ging plötzlich mein Melder von der Feuerwehr los, da bin ich ohne langes Überlegen losgerannt und habe mir später Gedanken gemacht, ob er mich nun für einen Zechpreller hält. Aber er hat mir vertraut.“
Und weil Wagner gemerkt hat, dass mit der Vergrößerung der Pfarreigebiete nicht zuletzt jene aus dem Blick geraten, die schon lange dazu gehören, hat er noch ein zweites Projekt initiiert: Er besucht Gemeindemitglieder – wenn möglich einmal pro Woche. „Das Dilemma der pastoralen Mitarbeiter ist ja, dass wir oft von Termin zu Termin hetzen, anlassbezogen mit Leuten sprechen, etwa rund um Taufen oder Erstkommunion“, sagt er. So manchen treuen Küster oder Organisten, Rosenkranzbeter oder Kindergottesdienstmitarbeiter, ist ihm aufgefallen, hat er nie besucht. „Die sind ja immer da, machen zuverlässig ihren Dienst und fallen ansonsten nicht auf.“ Ihnen möchte er mit seinen Besuchen seine Wertschätzung zeigen.

Die Schoko-Besuchsbox als Türöffner – eine gute Erfindung

Er ruft vorher an und lädt sich mit seiner „Schoko-Besuchsbox“ ein. Was das ist? Eine Holzbox mit Trinkschokoladen, die er selbst kreiert hat – von Vollmilch über Weiße Erdbeere bis zu After Eight. „Elf Apostel“, sagt er schmunzelnd, bringt er mit. „Für den zwölften ist kein Platz mehr in der Box.“ Die Besuchten bittet er, mit heißer Milch dafür zu sorgen, dass sie gemeinsam „in den Genuss kommen“ können. Die Schoko-Box – im Sommer bringt er selbst kreierten Eistee-Sirup mit – sei ein prima Türöffner.
Die bisherigen Erlebnisse bei diesem Projekt, sagt der Diakon, sind sehr schön – weil es in entspannter Atmosphäre zu guten Gesprächen kommt. Eine Erfahrung allerdings war für ihn so traurig wie aufschlussreich: „Die erste Reaktion einer Ehrenamtlichen am Telefon war die Frage: Habe ich was falsch gemacht?“ Als weiteren möglichen Grund seines Besuchs vermutete sie, dass er eine Aufgabe für sie habe: „Nun sagen Sie halt, was Sie von mir wollen.“
Dass Menschen nicht davon ausgehen, Hauptamtliche könnten ohne ein Anliegen auf sie zukommen, hat Wagner nachdenklich gestimmt. Bei seinen Besuchen hat er gemerkt: „Wenn ich so ganz ohne den Hintergedanken ,Ich bräuchte jemand‘ zu den Leuten gehe, dann lerne ich wieder zuzuhören.“ Die Gespräche helfen ihm auch, seine Predigten daraufhin zu hinterfragen, ob sie mit dem Leben der Menschen etwas zu tun haben – denn das sei immer sein Ziel gewesen.
„Man macht sich so viele Gedanken über alle möglichen Projekte und Initiativen, aber das sind gar nicht die Themen, die die Menschen bewegen“, stellt Wagner bei seinen Besuchen immer wieder fest. Und das bestätigt ihn in seinem Bemühen, „nicht irgend etwas anzubieten, sondern mich selbst als Seelsorger zum Gespräch.“

 

 

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