Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz

Kunst mit Kirchenkleidern

Bischof Peter Kohlgraf
Datum:
Mi. 29. Juni 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Im „Wort des Bischofs“ in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung geht es um ein Kunstprojekt mit liturgischen Gewändern. Es verweist auf die Wahrnehmungsblase, „in der wir oft meinen, Kirchenpolitik zu betreiben, sei schon Glaube“, sagt Bischof Peter Kohlgraf.

Den jungen Menschen sind Zeugnisse ihres Denkens, Zweifelns und Glaubens gelungen, für die ich dankbar bin.

Unter dem Titel „Der goldene Faden“ läuft zur Zeit eine Sonderausstellung im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum. Es werden Kollektionen von Studierenden der AMD Akademie Mode & Design in Wiesbaden gezeigt, die sich auf faszinierende Weise mit Themen des Lebens, des Glaubens, der Kirche, der Geschlechterrollen sowie der Bibel beschäftigen. Es sind Kleidungsstücke, die auch durch Paramente inspiriert sind. Sie regen zum Nachdenken und Staunen an. Den jungen Menschen sind Zeugnisse ihres Denkens, Zweifelns und Glaubens gelungen, für die ich dankbar bin. Selbstverständlich werden auch kritische Anfragen an die Kirche und ihre Praxis gestellt. Manche Ausstellungsstücke mögen auch provozieren, wenn etwa der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufgegriffen oder eine (vielleicht nicht nur) für diese junge Künstlerin problematische Vorstellung von Maria thematisiert wird. Ich lade herzlich zum Besuch dieser Ausstellung ein, die bis zum 2. Oktober zugänglich sein wird.
Auch in der Kirche erleben wir oft, dass sich viele Menschen in ihrer eigenen Wahrnehmungsblase bewegen. In sozialen Netzwerken bekomme ich das angezeigt, was meinem Interesse entspricht. Wenn ich meinen Account öffne, scheint mir, die ganze Welt dreht sich nur um kirchliche Themen. Die einen loben und verteidigen die Kirche, die anderen beschimpfen und kritisieren sie. Auch für meine Facebookseite gilt das. Alles dreht sich um Kirche, meistens kirchenpolitische Themen, um Bischöfe und deren Bewertungen. Wenn ich auf die Kommentarspalten sehe, lese ich meist von hinlänglich bekannten Kommentatorinnen und Kommentatoren, deren Positionen festgezimmert sind. Es geht ja auch nicht darum, die Meinung des anderen wirklich wahrzunehmen und zu bedenken, sondern seine eigene in die Öffentlichkeit zu geben. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich behaupte, dass sich ein Großteil der Gesellschaft ziemlich wenig um die Themen schert, die mir als so bedeutend angezeigt werden.
Ich erlebe dieses Phänomen nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch im Gespräch mit Gruppen und Menschen im Umfeld meiner bischöflichen Tätigkeit. Ich frage mich manchmal, ob uns bewusst ist, wie vielfältig auch die innerkirchliche Landschaft ist und wie fern unsere so aufgeheizten Themen sind von den Fragen vieler Menschen auch außerhalb der Kirche.
Es hilft allen, nicht nur im Bereich der Kirche, sich der Begrenztheit der eigenen Wahrnehmung bewusst zu sein und immer wieder aus der eigenen Wahrnehmungsblase auszusteigen. Ausstellungen wie die genannte sind ein überzeugendes Beispiel dafür, wie notwendig und hilfreich es sein kann, Zugänge kennenzulernen, die meine Perspektiven erweitern oder infrage stellen. Immer wieder waren es nicht die Angepassten und nur Kirchenfrommen, die Theologie und kirchliches Leben weitergeführt haben, sondern gerade die Nachdenklichen, ja sogar die „Ketzer“, wie es Walter Nigg, in seinem Buch „Das Buch der Ketzer“ von 1949 formuliert: „Er (der Ketzer) ist der stärkste Gegenpol zum religiös Indifferenten, zum diplomatischen und kirchenpolitisch orientierten Menschen.“ Die jungen Künstlerinnen und Künstler sind keine „Ketzer“ im klassischen Sinn, aber sie zeigen uns unsere Blase, in der wir oft meinen, Kirchenpolitik zu betreiben, sei schon Glaube. Wir sollten uns derartige Blicke viel öfter gönnen.

Ihr Bischof Peter Kohlgraf

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 3. Juli 2022. Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf - 06131/28755-0 - oder E-Mail: info@kirchenzeitung.de

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