„Kreativ, hilfreich, verlassen, unzumutbar“: Kirche im Corona-Lockdown

Große Beteiligung und Spannbreite bei Online-Umfrage zur Pandemie im Bistum Mainz

800 Rückmeldungen gab es zur Corona-Umfrage im Bistum Mainz. (c) Bistum Mainz / Nichtweiß
Datum:
Mi. 16. Dez. 2020
Von:
BN (MBN)

Mainz. Erste Ergebnisse einer Online-Umfrage im Bistum Mainz zur Corona-Krise wurden am Dienstag, 15. Dezember, in der wöchentlichen Dezernentenkonferenz der Bistumsleitung mit Bischof Peter Kohlgraf vorgestellt. Stephan Weidner und Kerstin Aufenanger, federführend in Durchführung und Auswertung der Umfrage, berichteten von Einsichten aus 800 eingetroffenen digitalen Antwortbögen.

Die Beantwortung erfolgte aus Datenschutzgründen anonym. Von Mitte August bis Ende September waren insgesamt 1.851 haupt- und ehrenamtlich Verantwortliche in den verschiedenen Arbeitsgebieten des Bistums Mainz (Pfarrgemeinden, Caritas, Kindertageseinrichtungen, Schulen, Jugendarbeit, Orden und Verbände) sowie weitere Interessierte eingeladen, Erfahrungen im kirchlichen Raum während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr mitzuteilen und zu bewerten. Die Umfrage mit dem Titel „Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Pastoral im Bistum Mainz?“ war von Bischof Kohlgraf und dem Leiter des Seelsorgedezernats, Ordinariatsdirektor Hans Jürgen Dörr, in Auftrag gegeben worden. Beide zeigten sich erfreut vom hohen Rücklauf.

Digitalisierungsschub in der Kirche

Überrascht vom gesetzlich verordneten Stillstand des gesellschaftlichen Lebens mit Kontakteinschränkungen und Verbot von Versammlungen auch bei Gottesdiensten zur Osterzeit, war in den Gemeinden des Bistums digitale Kreativität gefragt. Rund 1.550 neu entwickelte Projekte in diesem Bereich wurden in den Antworten auf die Umfrage genannt. Im Mittelpunkt der Gemeindearbeit standen dabei oft die Gottesdienste in den Kirchen und weitere spirituelle Anregungen, zum Beispiel für Hausgottesdienste. Etliche Gemeinden gingen dazu über, ihre Sonntagsgottesdienste im Internet zu streamen. Allerdings lassen die Antworten erkennen, dass das Streamen von Eucharistiefeiern eher als Notbehelf empfunden wurde, der die persönliche Präsenz und Erfahrung von Gemeinschaft auf Dauer nicht ersetzen könne. Im Falle einer Weiterführung solcher Angebote zeichnet sich ab, dass vielfach qualitativ höherwertigere mediale Formate mit interaktiven Elementen entwickelt werden müssten.

Weitgehend positiv bewertet wurde der Digitalisierungsschub in der Kommunikation untereinander und in den Arbeitsabläufen. Abgesehen von Telefon und E-Mail nutzten 51 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Medium der Videokonferenz zu Absprachen. Es fehlte in den Gemeinden und anderen kirchlichen Einrichtungen vor Ort allerdings vielfach an technischer Ausstattung und Medienkompetenz. Dieser Mangel erwies sich auch oft als Hindernis, mit bestimmten Altersgruppen oder anderen besonderen Zielgruppen der Gemeinden und sozialen Einrichtungen in Kontakt zu bleiben, vor allem mit Kindern, Senioren und sozial Schwächeren. Im nicht-digitalen Bereich wurden vor allem Einkaufshilfen als praktische Dienstleistung angeboten.

Kritische Selbstwahrnehmung

In der Bewertung der Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit während des ersten Corona-Lockdowns überwogen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Umfrage Kritik und Selbstkritik: 57 Prozent waren der Meinung, dass die Kirche mit ihrem Personal und ihren Angeboten nicht ausreichend in Erscheinung getreten wäre oder ein negatives Bild abgegeben hätte, nur 21 Prozent stellten ihrer Kirche ein positives Zeugnis aus, während der Rest geteilter Ansicht war oder sich nicht näher dazu äußerte. „Kreativ, hilfreich, verlassen, unzumutbar“, formulierte ein Diakon die ganze Spannbreite der Wahrnehmung. Drastischer noch die Worte eines Pfarrgemeinderats: „Plötzlich war man ohne Gläubige in den Kirchenbänken ‚arbeitslos‘. Traurig. Raus aus der Komfortzone!“

Bischof Kohlgraf dankte Weidner, Aufenanger und ihrem Team für Durchführung und Auswertung der Umfrage. Es seien in den Antworten viele Themen angesprochen worden, die ihn auch selbst immer wieder beschäftigten, besonders die Notwendigkeit einer besseren Vernetzung von liturgischem, seelsorglichem und sozialem Handeln der Kirche. Auch stelle sich nochmals verschärft die Frage: „Was ist ‚die Kirche‘ für die Menschen, was wird von ihr erwartet, was überhaupt wahrgenommen?“ Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz, Generalvikar des Bistums Mainz, äußerte die Hoffnung, dass sich die Lernerfahrungen des ersten Lockdowns im gegenwärtigen zweiten Lockdown positiv auswirken werden.

Eine noch intensivere Auswertung der Online-Umfrage sowie von 26 parallel erfolgten vertieften Interviews wird im Seelsorgedezernat in den kommenden Wochen in Angriff genommen, außerdem die Erarbeitung eines Konzepts zur Veröffentlichung und Diskussion der Ergebnisse.