„Kultur der Barmherzigkeit“ ist Schlüssel

Hirtenwort des Mainzer Bischofs, Kardinal Karl Lehmann, zur Österlichen Bußzeit

Lehmann offiziell (c) Bistum Mainz
Datum:
Sa. 20. Feb. 2016
Von:
tob (MBN)
Mainz. „Barmherzigkeit ist eine Grundeinstellung des Menschen, ähnlich wie das Erbarmen die Grundeigenschaft Gottes ist. Weil es eine solche tief im Glauben verwurzelte und allzeit bereite Einstellung des Menschen ist, sprechen wir heute gerne von einer ‚Kultur der Barmherzigkeit’. Es ist ein Schlüssel christlichen Lebens, der uns in vieler Hinsicht zum richtigen Tun führt.“

Das betont der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, in seinem Hirtenwort zur Österlichen Bußzeit. Das Hirtenwort wird am zweiten Fastensonntag, 21. Februar, in den Gottesdiensten (sowie in den Vorabendmessen am Samstag, 20. Februar) im Bistum Mainz verlesen. Es trägt den Titel „Barmherzigkeit leben“.

Neben den klassischen sieben leiblichen Werken und sieben geistlichen Werken der Barmherzigkeit brauche es aktuell darüber hinaus „sensible Beiträge des Christen zu einer menschenwürdigen, gerechten und barmherzigen Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung“. Wörtlich schreibt der Kardinal: „Wir dürfen außerdem gerade hier die kleinen Alltagstugenden, die doch eine erhebliche Wirkung in unserem Leben haben, nicht vergessen, so zum Beispiel dass wir in unseren verschiedenen Lebenskreisen - von Ehe und Familie über Freunde bis zum Beruf - Zeit füreinander haben, vor allem zum Gespräch, um Misshelligkeiten und langsam entstehende Konflikte schon am Beginn ihres Ausbrechens zur Sprache zu bringen und dadurch ihnen ihr verderbliches Gift zu entziehen.“

Barmherzigkeit zerstöre sich selbst, „wenn sie auf etwas anderes aus ist als ungeheuchelte Zuwendung zum Menschen“, betont Lehmann. „Darum ist die Aufforderung zu ungeheuchelter, unauffälliger Frömmigkeit ohne Nebenabsichten in der Bibel so häufig.“ Und weiter: „Jesus selbst warnt ja jeden Wohltäter vor Selbstgerechtigkeit. Zur Schau gestellte Barmherzigkeit kann den Bedürftigen und Armen, aber auch denjenigen, der Vergebung erfährt, noch mehr erniedrigen. Ein herablassender Umgang mit Menschen in Not verkehrt das, was man Barmherzigkeit nennt. Jesus geht ja gerade mit allem Zur-Schau-Stellen von Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Liebe hart um und versteht solche Selbstgerechtigkeit, die uns nicht selten begegnet, als Heuchelei.“ Als „Höhepunkt der biblischen Verkündigung vom barmherzigen Gott“ bezeichnet der Kardinal das Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Gleichzeitig hebt Kardinal die Spannung zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit hervor: „Liebe und Erbarmen gibt es nicht ohne den Willen zur Gerechtigkeit“, schreibt Lehmann und zitiert dann Papst Johannes Paul II. mit den Worten: „An keiner Stelle der Frohen Botschaft bedeutet das Verzeihen, noch seine Quelle, das Erbarmen, ein Kapitulieren vor dem Bösen, dem Ärgernis, vor der erlittenen Schädigung oder Beleidigung. In jedem Fall sind Wiedergutmachung des Bösen und des Ärgernisses, Behebung des Schadens, Genugtuung für die Beleidigung, Bedingungen der Vergebung.“ Weiter heißt es im Hirtenwort: „In unserer oft brutalen und rücksichtslosen Welt sind dies zunächst fremde Gedanken. Es ist nicht zufällig, dass man sich im Lauf der Geschichte in verschiedenen Kulturen schwer tat mit ‚Barmherzigkeit’. Deshalb ist es eine kostbare Einsicht von Papst Franziskus, im Blick auf die Bibel, die große Überlieferung in der Kirche und die zentrale Botschaft der letzten Päpste ein eigenes Jahr der Barmherzigkeit auszurufen. Er gibt uns viele Hinweise, Impulse und Beispiele, mit deren Hilfe auch wir heute unseren Alltag entsprechend gestalten können.“

Zu Beginn seines Schreibens verweist Lehmann darauf, dass gerade die Päpste der letzten 50 Jahre ein ganz besonderes Gewicht auf die Betonung der Barmherzigkeit Gottes gelegt hätten. Lehmann verweist unter anderem auf ein Zitat von Papst Johannes XXIII., wo es heißt: „Oft hat sie (die Kirche) auch verurteilt, manchmal mit großer Strenge. Heute dagegen möchte die Braut Jesu Christi lieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden als die Waffe der Strenge erheben.“ Außerdem habe etwa Papst Johannes Paul II. den Sonntag nach Ostern, den Weißen Sonntag, zum Sonntag der Barmherzigkeit erklärt.

Weiter schreibt der Kardinal: „Wenn man dies bedenkt, dann ist es nicht mehr so außergewöhnlich, dass Papst Franziskus die Barmherzigkeit zum grundlegenden Thema der Antwort der Kirche auf unsere Zeit und zum ‚Zeichen der Zeit’ gemacht hat. Freilich hat er aus seiner persönlichen Glaubenstiefe heraus das Einzigartige der Barmherzigkeit für viele Nöte unserer Zeit eindrucksvoll in die Mitte gestellt. Er sieht darin in konzentrierter Form auch eine Kernaussage des vergangenen Konzils. Darum hat er wohl am Ende unseres Gedenkens an dieses Konzil nach 50 Jahren, nämlich am 8. Dezember 2015, ein außerordentliches Heiliges Jahr für 2016 mit dem zentralen Hauptthema Barmherzigkeit ausgerufen.“

Hinweis: Der Wortlaut des Hirtenwortes ist verfügbar unter www.bistum-mainz.de/kardinal