Synodalität in Leben und Sendung der Kirche

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
Do. 23. Sep. 2021
Von:
hoff (MBN)

Impuls von Bischof Peter Kohlgraf beim Studienhalbtag „Synodalität und Synodaler Weg - Aspekte und Perspektiven“ während der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 22. September in Fulda. Dokumentation im Wortlaut.

Das Thema der Synodalität ist Papst Franziskus ein Herzensanliegen. Jüngst hat er dies in seiner Ansprache am 18. September 2021 vor den Gläubigen in Rom erneut herausgestellt. Dass eine Weltsynode kein Spaziergang werde, ist dabei wohl jedem klar geworden. Der Papst selbst nennt eine Synode eine „ernste Angelegenheit“. In dieser Ansprache kritisierte der Papst zum wiederholten Male einen Klerikalismus als „Perversion“ und kirchlich starre Hierarchien. „Jeder ist Protagonist, keiner nur Statist“, so Papst Franziskus. „Und keiner, auch nicht der Papst, sei mehr Protagonist als die anderen“, weiß katholisch.de zu zitieren.

Natürlich ist die Synodalität keine Erfindung des aktuellen Papstes. Medard Kehl stellt in der 3. Auflage des „Lexikon für Theologie und Kirche“ die Synodalität als konstitutives Element der Kirche heraus, entsprechend Papst Franziskus als zur Natur der Kirche gehörig3. Medard Kehl begründet die Synodalität trinitätstheologisch, Einheit ist in Vielheit möglich, Vielheit gelingt nur in einer Einheit ohne Uniformität. Allerdings stellt auch Kehl fest, dass in der nachkonziliaren Zeit die Grundlagen nicht konsequent zur Umsetzung gekommen und auch kanonistisch nicht eingeholt worden seien.

Die synodalen Bemühungen dieses Pontifikats sind vielleicht ein bedeutsamer Schritt zur Umsetzung theologisch längst bekannter Grundlagen, auch wenn manches, das sage ich als persönlichen Eindruck, nebulös bleibt. Einetheologische Grundlage zur Praxis werden zu lassen, ist dann auch erfahrbar eine ernsthafte Angelegenheit, wir erleben es ja gerade bei uns. Für eine gelingende Synodalität genügt es offenbar nicht, die theoretischen und dogmatischen Grundlagen einfach nur zu wiederholen: Irgendwann muss man losgehen. Es ist notwendig, daran zu erinnern, dass im Begriff der „Synodalität“ der Wegcharakter der Kirche und des Glaubens enthalten ist. Es muss um mehr gehen als um die Weitergabe von in Sätzen gefasstem Glaubensgut, so notwendig selbstverständlich ein gemeinsames Credo ist. Andererseits bringt uns eine reine Emotionalität ohne solide Theologie auch nicht weiter. Die Rede vom Leben der Kirche als Weg ohne die Bejahung einer Möglichkeit vertiefter Zugänge zum Depositum Fidei und auch sich verändernder Zugänge wäre unsinnig. Wiederholt hat der Papst vor der Glaubenslehre als Museum gewarnt. Dass Papst Franziskus die von ihm im Vorfeld der römischen Synode zur Synodalität geforderten Prozesse in den Teilkirchen selbst als „Synodalen Weg“ bezeichnet, möge manchen Kritiker des Weges in der katholischen Kirche in Deutschland ein wenig durchatmen lassen. Wir erinnern uns an die Auseinandersetzung um den Begriff als Hendiadyoin, die natürlich das gesamte Bemühen ins Lächerliche ziehen wollte. Das sollte nun vom Tisch sein.

Einige Kernworte aus dem Vorbereitungsdokument zur Synode 2023 vom 7. September 2021 müssen genannt werden: Gemeinsames Gehen, Offenheit für Überraschungen, partizipative Ausübung der Verantwortung, die Kirche als verlässlicher Partner im Aufbau der Demokratie, Geschwisterlichkeit, soziale Freundschaft, Gebet, die Gläubigen als Anhänger des Weges, Jesus selbst als der Weg. Die Bischöfe sind Hirten, Hüter, Ausleger, Zeugen; sie brauchenMut, Vertrauen, Bereitschaft zur Umwandlung; schließlich benennt Papst Franziskus die Versuchung der Hirten, den „Geist auszulöschen“.

Die Kirche bildet in ihren synodalen Bemühungen keine binnenkirchliche Sonderwelt. Die „epochalen Veränderungen der Gesellschaft“ können bei der Suche nach Wegen der Evangelisierung nicht ignoriert werden. Zudem weist Papst Franziskus auf die Vielfältigkeit der Bedingungen kirchlichen Lebens in den unterschiedlichen Kulturen ausdrücklich hin. Die weltweite Realität der Kirche steht in der Spannung zwischen einer dramatischen Säkularisierung und einem religiösen Integralismus, der Intoleranz und Gewalt fördert. Weltweit gesehen scheint eher die Reaktion auf den Versuch einer Anpassung an säkulare Gesellschaften lehramtlich kritisch beäugt zu werden als die Formen von Ausgrenzung und Intoleranz in anderen kirchlichen Kontexten. Auch darauf muss Synodalität eingehen. Es ist klug, dass der Papst zehn Themenfelder in die Teilkirchen zur Bearbeitung gibt. Er fragt nach den Weggefährten und weitet den Blick über die kirchlichen Binnenkreise hinaus. In den Diskussionen fordert der Papst Freimut. Er erinnert an das sakramentale Zentrum der Eucharistie und das Gebet als Grundlage der Einheit. Er wiederholt den Gedanken, dass jeder und jede Getaufte Protagonist des Weitergehens sein muss. Der Papst nimmt die Traditionen kritisch aufs Korn, inwieweit sie Mission fördern oder behindern. Er ruft zum Dialog mit der Gesellschaft und anderen Konfessionen und auch Religionen auf. Und er mahnt zu Wegen geistlicher Unterscheidung.

Der Blick auf den Synodalen Weg in Deutschland ist für mich durchaus zwiespältig. Ich will einige Spannungsfelder kurz nennen. Eingehen muss ich auf den Vorwurf, wir beschäftigten uns mit reinen Strukturdebatten ohne den Aspekt der Evangelisierung ernst zu nehmen, natürlich ein klassisches „Totschlagargument“. Nicht erst durch den Brief von Papst Franziskus an die Gläubigen in Deutschland vom 29. Juni 2019 ist dieser Vorwurf aufgekommen. Ich habe mich mehrfach gegenteilig geäußert. Ich glaube fest, dass ein Ringen um eine glaubwürdige und authentische Gestalt und Praxis der Kirche eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass Menschen der Kirche und den Verantwortlichen in ihr die Botschaft abnehmen können. Selbst der Papst macht ja bis in die letzten Monate die Erfahrung, dass Verhaltensweisen im Umgang mit den Kirchenfinanzen seine berechtigten Anliegen nicht wirklich unterstützen. Auch die Autorität des Papstes wird durch unglaubwürdige Strukturen geschädigt. Es ist gut, dass der Papst den Horizont über unsere Themen in Deutschland weitet, aber obsolet werden sie dadurch nicht. Indem der Papst immer wieder auf den geistlichen Prozess der Unterscheidung zu sprechen kommt, weist er auf unsere Versuchung hin, kirchliches Leben einfach „machen“ zu wollen. Es stellt sich die Frage nach dem Charakter eines geistlichen Weges. Bischof Felix Genn hat dazu Grundlegendes gesagt, das muss ich hier nicht wiederholen. Ein Weg wird nicht dadurch geistlich, dass wir ihn mit religiösem Zuckerguss überziehen, sondern indem wir an Haltungen arbeiten.

Den Synodalen Weg nehme ich zunächst auch positiv wahr: Wir haben an Debattenkultur dazugelernt. Ich erlaube mir aber auch einen deutlichen kritischen Hinweis auf die nicht zu bewältigende Textflut. Wir haben versäumt, zu Beginn eine Verständigung über die Art und Weise zu erzielen, was am Ende stehen soll. Der Papst sagt es deutlich im Hinblick auf die römische Synode 2023: „Wir erinnern daran, dass es nicht Zweck dieser Synode und daher auch nicht der Konsultation ist, Dokumente zu produzieren, sondern ,Träume aufkeimen zu lassen, Prophetien und Visionen zu wecken, Hoffnungen erblühen zu lassen, Vertrauen zu wecken, Wunden zu verbinden, Beziehungen zu knüpfen, eine Morgenröte der Hoffnung aufleben zu lassen, voneinander zu lernen und eine positive Vorstellungswelt zu schaffen, die den Verstand erleuchtet, das Herz erwärmt, neue Kraft zum Anpacken gibt‘“. Was heißt das für unseren Weg in Deutschland? Die Textproduktion ist enorm, die anderen vom Papst genannten Aspekte erkenne ich nicht in derartiger Intensität. Und ich wage die Frage zu stellen, ob außerhalb von Foren und Synodalversammlung geführte Paralleldiskussionen den geistlichen Prozess fördern, wie ihn sich der Papst vorstellt. Es ist manchmal darauf hingewiesen worden, dass unsere gewachsenen Rätestrukturen manche Innovation verhindern, weil sie sich in scheinbar sicheren und festgefahrenen Bahnen bewegen.

Weitere Spannungsfelder erkenne ich: Sind wir wirklich im Gedanken der Einheit unterwegs, wie verhalten sich in unseren Überlegungen Einheit und Vielheit zueinander? Geht es um Mitreden oder Mitbestimmen – oder ist das Wort des Papstes von allen als Protagonisten (auch er selbst!) eine schöne, aber nichtssagende Floskel? Wo haben Minderheiten ihren berechtigtenRaum? Wenn Papst Franziskus uns als Unterstützer der Demokratie sieht, wieso werden demokratische Prozesse derart kritisch gesehen? Erzähle uns niemand, die Diskussionskultur etwa beim II. Vatikanum sei nicht politisch, sondern rein geistlich gewesen. Natürlich geht es bei Synoden und Konzilien nie ohne Absprachen, Gruppenbildung und kirchenpolitische Interessen ab. Alles andere ist eine historische Konstruktion. Sollten wir uns nicht dagegen bemühen, Vorbilder demokratischer Prozesse zu sein, auf der Grundlage einer lebendigen Tradition? Welche Rolle spielt der consensus fidelium? In allen Synoden spielen selbstverständlich auch Mehrheiten eine Rolle. Worin besteht unsere Einheit? Natürlich ist es keine Grundlage kirchlicher synodaler Debatten, wenn jeder Beteiligte seine eigene Wahrheit definiert.

Es gäbe viel zu sagen. Vor wenigen Tagen war die Tageslesung dem 1. Timotheusbrief entnommen (6, 3–10). Dort wird vor Wortgefechten gewarnt, die vorwiegend vom Eigennutz getrieben sind. Das kann mit Synodalität nicht gemeint sein.