Präsenz und Inter-esse

Datum:
Fr. 1. Juli 2022
Von:
Nicole Demuth

Die Diözesankonferenz der Hochulseelsorger:innen im Bistum Mainz hat gemeinsam mit Dr. Hubertus Schönemann, Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP), ein Diskussionspapier zu Potentialen und Perspektiven der Hochschulpastoral im Bistum Mainz erarbeitet. Diese Potentiale können ein Schlüssel sein für das Verständnis und die Gestaltung der zukünftigen hochschulpastoralen Arbeit in unserem Bistum.

Ein Diskussionspapier zu Potenzialen und Perspektiven der Hochschulpastoral im Bistum Mainz

Wir, die derzeit hauptberuflich in der Hochschulpastoral des Bistums Mainz Tätigen, gemeinsam mit der Diözesanreferentin Christine Schalk, haben in einem begleiteten Prozess Bilder und Narrative, Erfahrungen und Potenziale unserer Arbeit an verschiedenen Standorten der Hochschulpastoral im Bistum Mainz zusammengetragen und analysiert. Diese Potenziale können ein Schlüssel sein für das Verständnis und die Gestaltung hochschulpastoraler Arbeit für die Zeit, die vor uns liegt.

Angesichts von wachsender gesellschaftlicher Komplexität und ihren Ambivalenzen, von Relevanzverlust der Institution Kirche und Verringerung von kirchlichen Ressourcen wie auch angesichts der Transformation des religiös-spirituellen „Systems“ in unserem Land[1] kann es zukünftig grundsätzlich nicht mehr darum gehen, eine als „klassisch“ bezeichnete Pastoral aufrechtzuerhalten in dem Sinne, dass an möglichst vielen Orten eine möglichst umfangreiche Form von Pastoral „angeboten“ wird.

Der Weg führt uns hin zu einem kooperativen und inklusiven Stil von Pastoral an unterschiedlichen Orten, in verschiedenen Kontexten und Situationen (Räumen, s. u.). Dabei bedingen und prägen die vielfältigen Bezüge, Beziehungen, Prozesse und Gaben die Art und Weise, wie im gemeinsamen pastoralen Handeln vor Ort der Glaube relevant und Kirche erkennbar wird.

Ein solch veränderter Stil von Pastoral verknüpft die Ressourcen und Gaben der hauptberuflich Handelnden mit vielfältigen Akteur:innen vor Ort und dies unter den gegenwärtigen soziokulturellen Rahmenbedingungen in exemplarischer und experimenteller Weise zu kirchlicher Präsenz. Wir meinen, dass wir in der Hochschulpastoral unser pastorales Tun bereits in hohem Maße in einer solchen Weise verstehen und gestalten. Dreh- und Angelpunkte eines solchen Kirchen- und Pastoralbildes sind das „personale Angebot“ und die „Räume“ einer zukünftigen Hochschulpastoral.

Wir haben daher in diesem Gesprächsprozess unser Selbstbild und unser pastorales Umfeld analysiert und bieten unsere Ergebnisse als Beitrag zum weiteren Diskurs über Pastoral im Bistum Mainz an.

 

Personales Angebot als zentrale Ressource

Das entscheidende Potenzial ist die Art und Weise des personalen Angebots, das wir vorhalten. Zentrale Aspekte sind für uns Präsenz und Inter-esse: (Hochschul-)Leben teilen und darin mit anderen Gottes Wirken entdecken und darstellend bezeugen. Wir können und müssen Gottes Präsenz nicht herstellen; Gott ist schon da. Unser Anliegen ist es, mit anderen die Deutungskompetenz dafür zu schärfen (Mystagogie). Dazu qualifizieren wir die Beziehungsarbeit mit den Menschen als „Ressource“ vor Ort.

Als Hochschulseelsorger:innen schätzen wir, dass wir Zeitressourcen im Rahmen des Arbeitsauftrags einbringen können und Gestaltungsfreiheit haben. Zu unseren Ressourcen gehören Offenheit für unterschiedliche Menschen und Situationen (diversity management), Dialogfähigkeit, Erfahrungswissen und Qualifikation/en (formale und essential skills). Unabdingbar ist eine geerdete Theologie und Spiritualität. So gestalten wir unsere beruflichen Rollen fruchtbar als Seismograf:in, Ermöglicher:in, Türöffner:in und Netzwerk:in.

Teamarbeit praktizieren wir in vertrauensvoller und gabenorientierter Weise nicht nur im Team vor Ort, sondern auch im weiteren Kontext von Personen, Gruppen und Einrichtungen im Hochschulbereich und im Bistum. Dabei wollen wir unterschiedliche „Theologien“, Weltsichten und Arbeitsweisen als mögliche Inspiration schätzen. Wir sichern die Qualität durch regelmäßige Reflexion und konstruktive Ausrichtung unserer Arbeit.

Eine kooperative und inklusive Pastoral im Hochschulkontext bedeutet für uns ein gutes und reflektiertes Verhältnis von Planung (Programmangebot, Veranstaltungen etc.) einerseits und Offenheit für ungeplante Begegnung und Kontakt (aufsuchende Pastoral) andererseits. „Gemeinde“-Orientierung und pastorales Streetworking sind für uns wie Standbein und Spielbein, wie Basislager und Expedition.

Wir knüpfen in unserer hochschulpastoralen Arbeit an das an, was vor Ort schon ist, und setzen konsequent auf kooperierende Vernetzung (Networking) und Synergieeffekte. Wir verstehen unsere Arbeit als Gabenorientierung und Beteiligungsförderung, d. h. wir nehmen eine sozialräumliche Perspektive ein und stärken Selbstverantwortung nach Kräften.

Eine solche Arbeitsweise benötigt die Eröffnung von kreativen institutionellen Rahmen, die Freiräume schaffen für Unvorhersehbares, sowie die Gestaltung eines experimentierfreudigen Umfelds, das Umstände und Zufälle als Prinzip der pastoralen Bereicherung sieht. Zuweilen braucht es auch das absichtslose Unterwegssein.

Unser zentrales Anliegen für unser spezielles Feld der Seelsorge ist: Den Spuren gelebten Lebens von Menschen im Bereich der Hochschulen nachgehen. Dabei machen wir selbst die Erfahrung, dass wir beschenkt werden und dies mit anderen teilen können. Angebote der Beheimatung, die wir machen, sind immer in einen passageren Horizont des Freisetzens und Loslassens eingebettet.

Um die beschriebenen personalen Potenziale zu erhalten und zu erschließen, ist es unabdingbar, dass wir Kontakt bekommen und halten zu einer Freude und Energie, die uns gut und sinnvoll handeln lässt.

 

„Räume“ als pastorale Ressource

Wir werten „Räume“ als pastorales Potenzial.

Diese sind zum einen gebaute Räume, die wir als Hochschulzentrum vorhalten und als Gastgeber:innen selbst und mit anderen gestalten, anbieten und mit Leben füllen können. Wir achten auf Zweckmäßigkeit, Funktionalität, Angemessenheit und Ästhetik unserer Räumlichkeiten.

Wir denken aber auch an gebaute Räume anderer, in denen wir unsererseits Gast sein dürfen, was eine besondere pastorale Qualität mit sich bringt.

Im übertragenen (soziologischen) Sinne verstehen wir „Raum“ als Vernetzung und Gestaltungsmöglichkeit von Beziehungen. Auch in diesen kann sich etwas Lebendiges vom Evangelium her ereignen. Auch ihnen gilt unsere Aufmerksamkeit. Sie haben intermediäre, verbindende Qualität.

In einer besonderen Weise nutzen und gestalten wir die digitale Konnektivität als „Raum“ und sehen darin Chancen der Beteiligung, der Sichtbarkeit und der Ansprechbarkeit.

Wir wollen in Kooperation und Arbeitsteilung mit den jeweils anderen katholischen Hochschulgemeinden bzw. -zentren (inklusive der Wohnheime und anderen Einrichtungen in Campus, Stadt und Region) diese Vernetzung als „Raum“ der Hochschulpastoral im Bistum Mainz voranbringen.

 

Wir hoffen, dass die Rezeption dieses Papiers das wahrnehmende Handeln in der Hochschulpastoral fördert und einen veränderten pastoralen Stil des Nach-Draußen-Gehens stärkt.

 

 

Dieses Positionspapier entstand in einem Prozess, der in einer digitalen Veranstaltung am 8.7.21, einem eintägigen Workshop in Mainz am 8.11.21 und einer digitalen Ergebnissicherung am 10.2.22 und am 24.2.2022 bestand.

Beteiligte:
Andreas Baaden, KHG Worms
Marcus Grünewald, KHG Bingen
Dr. Siegfried Karl, KHG Gießen
Ignatius Löckemann, KHG Mainz
Sigrid Monnheimer, KHG Gießen
Dr. Monika Müller, KHG Mainz
Gerlinde Neufurth, KHG Rüsselsheim
Dr. Anne-Madeleine Plum, KHG Darmstadt
Tobias Sattler, KHG Darmstadt
Christine Schardt, KHG Mainz
Dr. Kerstin Rehberg-Schroth, KHG Friedberg
Christine Schalk, Leitung des Referates Hochschulseelsorge

Die Begleitung des Prozesses erfolgte durch Dr. Hubertus Schönemann, Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP), Erfurt.

 

[1] Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Hochschulpastoral als Dienst der Kirche im öffentlichen Leben Deutschlands. Status quo und Zukunftsperspektiven, Bonn 2013, 8ff.