Im Garten Gottes haben viele Blumen und Pflanzen Platz, so hat es einmal sinngemäß Augustinus in einer Predigt gesagt. Und im Hinblick auf die Weltkirche ist die Situation noch einmal bunter und vielfältiger. Sowohl das Bistum Mainz als auch das Bistum Hildesheim schauen auf eine lange Tradition zurück.
Am 2. Dezember 1022 treffen in Göttingen zwei bedeutende Personen der Kirchengeschichte zusammen. Aribo, Erzbischof von Mainz (1021-1031) weiht Godehard zum Bischof von Hildesheim. Beide sind ausgeprägte Persönlichkeiten. Sie sehen es mir sicher nach, wenn ich zunächst einen Blick auf Erzbischof Aribo werfe. In einer adligen Familie geboren, geht er eine steile kirchliche Laufbahn. Er ist mit Kaiser Heinrich II. verwandt, so dass er zu dessen Hofkapelle gehört. Der damalige Bischof von Hildesheim Bernward erteilt ihm die Priesterweihe. Der Charakter Aribos scheint nicht einfach gewesen zu sein. Er galt als unnachgiebig und hart in theologischen und moralischen Fragen. Allerdings auch als theologisch hochgebildet. Er scheint ehrgeizig gewesen zu sein und hatte wohl ein Gefallen daran, zu herrschen und Macht zu gestalten. Entscheidungen setzte er schnell und konsequent durch. Wenn er Widerspruch erfuhr, konnte er schnell gereizt reagieren. Er hatte als Erzbischof von Mainz ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und ein hohes Verständnis seiner Amtsvollmacht, den Anspruch des Papstes hielt er für gering im Vergleich der Autorität des Ortsbischofs und der von ihm einberufenen Synoden. Aribo hatte ein hohes Interesse an der Einhaltung der kirchlichen Disziplin. In einem prominenten Eheprozess forderte er die strenge Einhaltung der Morallehre, die sich allerdings nicht von Machtfragen trennen ließ. Da er sich gegen den Papst stellte, musste er das Pallium, das Kennzeichen der Erzbischöfe, abgeben. Allerdings bescheinigen ihm auch seine Gegner einen persönlich glaubwürdigen Lebensstil. Dieser Erzbischof weiht Godehard zum Bischof von Hildesheim.
Hildesheim war eines der kulturellen und politischen Zentren des Reiches. Godehard hat ebenfalls eine steile kirchliche Laufbahn hingelegt, beginnt, Kirchen zu bauen, das geistliche Leben zu vertiefen, Bildung zu fördern und die Caritas auszubauen. Die späteren Heiligenlegenden zeigen seine Wirksamkeit, seine Ausstrahlung und seine Nähe zu den Menschen. Sein einfacher Lebensstil sowie sein Humor werden immer wieder hervorgehoben. Er gilt als einer der meistverehrten Heiligen des Mittelalters. Humor gilt jedenfalls nicht als die Stärke des Mainzer Erzbischofs, religiöse Härte hingegen scheint Godehard nicht ausgezeichnet zu haben.
Zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten begegnen sich, sie sind in ihrer Unterschiedlichkeit Bischöfe der einen Kirche. Der eine rigoros, gebildet, papstkritisch, macht- und selbstbewusst, der andere volksnah, geistlich tief und humorvoll, verehrt von den Menschen mit einer großen liebevoll ausgestalteten Wirkungsgeschichte. Die Kirchengeschichte ist ein Sammelbecken unterschiedlichster Typen, Charaktere und Zeuginnen und Zeugen des Glaubens. Bischöfe gehören dazu. Zur Geschichte gehören auch Konflikte, das Ringen um Macht, um geistliches Leben und den rechten Weg der Kirche auf der irdischen Pilgerschaft.
Ich schaue in diesen Tagen auf den sogenannten Ad-Limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom zurück, bei dem der Synodale Weg der Kirche in Deutschland ein wichtiges Thema war. Ringen und Konflikte treten auch in diesem Zusammenhang offen zutage. Konflikte zwischen den Bischöfen und den anderen Gläubigen, Konflikte innerhalb der Bischöfe, Konflikte zwischen „Rom“ und den deutschen Bischöfen. Aribo wäre wohl ein Vertreter der Gruppe gewesen, der politisch stark die Deutungshoheit des Vatikans über Vorgänge in der Kirche vor Ort infrage gestellt hätte. Godehard hätte vielleicht leisere Töne angeschlagen und eher auf eine tiefere geistliche Erneuerung gesetzt. Ob er konkrete Vorschläge gehabt hätte für uns heute? Jedenfalls erinnert er uns an den Wert des geistlichen Lebens, das man Aribo natürlich auch nicht absprechen darf. Er hätte auf Bildung, Gottesdienst, Verkündigung, Caritas und die Menschenfreundlichkeit gesetzt, die man wohl auch nicht gegen Treue zur Lehrverkündigung setzen kann. Das Mittelalter konnte derartige unterschiedliche Ansätze gut aushalten. Von einem inhaltlichen Konflikt der beiden ist jedenfalls nichts überliefert.
Können wir uns davon inspirieren lassen, unterschiedliche Bischofs-„Typen“, Kirchenzugänge, Zeitanalysen und Glaubenszugänge auszuhalten, ohne das Ende der Kirche herbeizureden? Ich würde es mir so sehr wünschen. Aribo würde heute in seinem Machtanspruch sicher stark angefragt, seine Kritik an den Machtansprüchen des Papstes würde wohl gut aufgegriffen. Godehard hätte sicher eine stärkere Nähe zum Papst verkörpert, und seine Nähe zu den Menschen wäre wertgeschätzt worden. Wir werden auch heute damit leben müssen, dass diese verschiedenen Charaktere Kirche ausmachen, und das gilt nicht nur für Bischöfe, sondern für das ganze Gottesvolk. Es gibt die Leisen und die Lauten, die Ungeduldigen und Zögerlichen, die Mutigen und die Ängstlichen. Es gibt die papsttreuen Gläubigen und die kritischen, die Schaffenden und diejenigen, die das Gebet pflegen. Sie alle gehören zu Kirche.
Wir müssen damit aufhören, den jeweils anderen das wahre Christsein abzusprechen oder uns besser zu dünken. Im Garten Gottes haben viele Blumen und Pflanzen Platz, so hat es einmal sinngemäß Augustinus in einer Predigt gesagt. Und im Hinblick auf die Weltkirche ist die Situation noch einmal bunter und vielfältiger. Sowohl das Bistum Mainz als auch das Bistum Hildesheim schauen auf eine lange Tradition zurück. Jedes Jahr am Allerseelentag segne ich die Gräber der Bischöfe der letzten tausend Jahre im Mainzer Dom. Zu ihnen gehören Heilige, bekannte und wenig bekannte Persönlichkeiten, wir finden gute und schwierige Charaktere. Derzeit nehme ich den Dienst des Bischofs wahr, so wie vor tausend Jahren Aribo, Bischof Heiner Willmer als Nachfolger des Godehard. Kirche geht durch die Zeit, und die Bischöfe haben die Aufgabe, die Gläubigen in der Einheit zusammenzuhalten und mit Gottes Hilfe durch die Zeiten zu führen. Wenn ich die Gräber segne, sehe ich mich als einen Teil einer lebendigen Geschichte der Kirche, die immer geprägt ist durch konkrete Menschen. Das gilt auch für heute. Ich trage Verantwortung, aber das Amt des Bischofs ist auch ein relatives Amt, eingebettet in eine Geschichte, in einen Auftrag und in die Verheißung, dass Christus der Herr der Kirche ist und bleibt. Das lässt mich bei allen Schwierigkeiten meinen Dienst auch hoffnungsvoll ausüben. Es braucht Menschen, die Christus ihr Gesicht, ihre Hände und Füße, ihr Herz und ihren Verstand leihen. Jeder Bischof versucht es auf seine Weise.
Die lebendige Geschichte wird aber, und das darf nicht vergessen werden, von den vielen Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche gestaltet. Tradition ist deshalb lebendig, weil sie von lebendigen Menschen geprägt wird. Das war zur Zeit der beiden heute im Mittelpunkt stehenden Bischöfe der Fall, das ist heute so. Der Bischof ist nichts ohne seine Gläubigen, die Gläubigen müssen ihren Weg in Gemeinschaft mit dem Bischof gehen. Ich halte das nicht für eine Einschränkung, sondern für eine notwendige Lebensform der Kirche. Im Bischofsamt ist die Einheit dargestellt, im sakramentalen Dienstamt garantiert Christus selbst seiner Kirche, dass er der Herr ist und bleibt. Seine Nähe ist versprochen und verbürgt. Er bleibt der Herr seiner Kirche. Im Dienst des Bischofs wird konkret, was es heißt, apostolische Kirche zu sein. Bei meiner Priesterweihe 1993 bekam ich vom Bischof einen geistlichen Stammbaum überreicht, bis ins Mittelalter konnte man verfolgen, wer jeweils von welchem Bischof durch Handauflegung und Gebet geweiht wurde. Im Selbstverständnis geht das dann bis auf die Apostel zurück. Wir alle stehen in der apostolischen Tradition, der Bischof verkörpert diesen Auftrag. Zu oft wird heute so getan, als sei Tradition etwas Starres, eine Art Museum. Nein, wir geben nicht „Wahrheiten“ weiter, sondern „die Wahrheit“, eine Person, eine Beziehung, Jesus Christus selbst, der lebt, der sich in die Welt hineinbegibt, Wahrheit ist Beziehung, Liebe, Leben und wird zur Tat. Apostolisch sein muss auch heißen, Wichtiges vom weniger Wichtigen zu unterscheiden, Wandelbares vom bleibend Gültigen. Darin besteht heute eine der großen Herausforderungen.
Mögen uns die beiden Bischöfe, Aribo und Godehard ermutigen und begleiten, unsere Wege zu suchen und zu finden. Wir tradieren nicht die Form des Mittelalters, wir brauchen Mut für unsere Zeit. Heute erinnern wir uns an die Verbindung unserer Bistümer, die mehr sein muss als eine historische. Ich wünsche allen in Deutschland, dass wir unsere Geschichte nicht vergessen, aber unsere Geschichte heute weiterschreiben – mit Gottes Hilfe und unter seinem Segen.