Buchtipp

Claire Léost, Der Sommer, in dem alles begann

Der Sommer, in dem alles begann (c) Verlag Kiepenheuer & Witsch
Der Sommer, in dem alles begann
Datum:
Mo. 24. Juni 2024
Von:
Jutta Meyer

Dieser Roman ist die Geschichte von drei Frauen aus drei Generationen (Odette, Marguerite und Hélène) zwischen der Bretagne, wo die Handlung hauptsachlich angesiedelt ist, und Paris. Die Geschichte reicht vom 2. Weltkrieg und der deutschen Besatzung der Bretagne bis in die Gegenwart und „verwebt“ so die Schicksale der drei Frauen.

Odette, die intelligente und sehr belesene Tochter des Landarztes, des sog. „Doktor der Armen“ in einem kleinen bretonischen Dorf und Kämpfer im Widerstand (der „Résistance“), wird als junge Waise nach Paris geschickt. Ihr Vater war im Dorf als „Verräter“ denunziert, verhaftet und im Lager von den Deutschen ermordet worden, die Mutter starb kurz darauf. Sie kommt zu ihrer vermeintlich gut situierten Pariser Tante, die in Wirklichkeit aber als Dienstmagd arbeitet und mit ihrem Mann in einer kleinen Mansarde lebt. Also vermittelt sie die unwillkommene Nichte schnell als billige Arbeitskraft - als Dienstmädchen - an eine Pariser Bürgerfamilie. Odette schuftet von früh bis spät, stiehlt sich aber immer wieder in die Bibliothek der Familie, um zu lesen. Der Hausherr sieht das und fördert das junge intelligente Mädchen, wird aber eines Tages zudringlich, was zu einer ungewollten Schwangerschaft führt. Sie bringt durch Vermittlung ihrer Chefin, der betrogenen Ehefrau, in einem von Nonnen geleiteten Hospital ein kleines Mädchen zur Welt, von dem ihr gesagt wird, dass es kurz nach der Geburt gestorben ist.

Die zweite Frau ist Marguerite, eine Pariser Professorin für Literatur an der Sorbonne, die Poesie und Literatur liebt, obwohl ihr der Zugang zu beiden nie leicht gemacht wurde. Sie wuchs bei einer sehr lieblosen Mutter auf und verließ direkt nach dem Abitur ihre Familie. Sie ist Pariserin durch und durch und beschließt dennoch, mit ihrem Mann, einem Schriftsteller, in einem kleinen Dorf in der Bretagne eine Stelle an einem Gymnasium anzunehmen. Ihr Mann ist eher erstaunt, denn Marguerite hasst das Landleben. Sie versucht nun, in den 90er Jahren, ihren Schützlingen Poesie nahezubringen und ihren Geist für Literatur im Allgemeinen zu öffnen, was ihr besonders bei ihrer Schülerin Hélène gelingt. Diese besteht dank Marguerites Hilfe ihr Abitur als Jahrgangsbeste der Bretagne. Marguerites Familie ist allerdings im Dorf sehr unbeliebt, was auch an den Gerüchten liegt, die die Lebensmittelhändlerin, die Witwe Tanguy, über sie verbreitet. Sie hasst Marguerite, die eingebildete Pariserin, vom ersten Zusammentreffen an.

Hélène hingegen verehrt Marguerite, die ihr auch einen Studienplatz für Literatur verbunden mit einem Stipendium in Paris verschafft. Sie mag auch ihren Ehemann, was noch zu weiteren Verwicklungen, bösem Gerede und mehr führt. Hélènes langjährigem Freund Yannik, der mehr für sie empfindet als sie für ihn, gefällt das auch gar nicht.

Ein interessanter Roman über die Bedeutung der eigenen Herkunft, aber auch über Geheimnisse und Ungerechtigkeit, aus denen sich neues Unrecht entwickeln kann. Eine gute Sommerlektüre mit „Tiefgang“.

Claire Léost wurde 1976 in der Bretagne geboren und hat 2021 für diesen Roman den „Prix de la Bretagne“ erhalten. Ein anderer Roman von ihr wird gerade für das französische Fernsehen verfilmt.