Buchtipp

Mariette Navarro, Über die See

Über die See (c) Verlag Antje Kunstmann
Über die See
Datum:
Fr. 21. Juni 2024
Von:
Jutta Meyer

Das Buch heißt auf Französisch „Ultramarins“ („le marins“ – der Seemann,“ ultra“ - über, aber auch übertrieben, extrem).

Die Kommandantin eines großen Containerschiffes, die einzige Frau innerhalb einer Crew von nur Männern, erlaubt ihrer Mannschaft spontan, an einem besonders sonnigen und warmen Tag im stillen blauen und nur zu einladenden Meer baden zu gehen.

Das ist ein absoluter Regelbruch auf See. Man darf ein so großes Schiff nicht ein bis zwei Stunden einfach so auf hoher See stoppen und die Besatzung schwimmen gehen lassen. Dennoch stimmt sie zu, lässt die Männer im Meer baden gehen und bleibt als einzige (Frau) allein an Bord zurück. Das Schiff befindet sich allein auf der Höhe der Azoren.

Was nun kommt, ist eine Beschreibung des Meeres und der badenden Männer vom Feinsten: wie sie durch Wasser und Wellen gleiten, was sie dabei bewegt, was sie denken, etc. Hier spürt man, dass Mariette Navarro eigentlich Lyrik geschrieben und als Dramaturgin im Theater gearbeitet hat und dies ihr erster Roman ist.

Nach dem verbotenen Bad im Meer ist an Bord und im Inneren der Kapitänin nichts mehr, wie es vorher war. 20 Seeleute sind baden gegangen, es kamen 21 zurück. Und nun?

Die Kommandantin ist nicht mehr so souverän wie vorher, sie denkt viel mehr nach, über das Meer, über ihr eigenes Leben und auch das Leben an sich. Das Schiff selbst, vor allem der Motor, will nicht so recht und scheint plötzlich ein Eigenleben führen zu wollen. Erst als die Kapitänin langsam ihre Mitte, ihre gewohnte Souveränität und Strenge gegenüber der Crew und auch ihr mentales Gleichgewicht wiederfindet, wird alles gut.

Dem Roman vorangestellt hat die Autorin einen Gedanken von Aristoteles. Er teilte die Menschheit in Lebende, Tote und Seefahrer ein, wobei die Seefahrer ein Leben in einer Art „Zwischenwelt“ führen, wodurch sie weder zu den einen noch zu den anderen wirklich gehören.

Ein sehr interessantes poetisches Buch, auf das man sich einlassen muss. Wenn jemand zu viel über Seefahrt weiß, wird er / sie sich sicher die Haare raufen, aber sonst ist es ein toller und sehr lesenswerter Roman, der nicht den Anspruch hat, die Wirklichkeit auf einem Schiff und während einer Schiffsreise abbilden zu wollen.

Mariette Navarro ist Jahrgang 1980, arbeitet als Dramaturgin, schreibt auch eigene Stücke und Lyrik. Dies ist ihr erster Roman, für den sie in Frankreich schon einen Preis bekam. Die Idee zu dem Roman hatte sie, als sie zu einer achttägigen Fahrt auf einem Frachtschiff von St. Nazaire nach Point à Pitre auf den Antillen eingeladen war.