Bitte wenden! - Gott zeigt uns die Richtung

Predigt zum Versöhnungsgottesdienst am 6.4.2025 in den Griesheimer Gottesdiensten
Liebe Schwestern und Brüder,
Neulich bin ich mit dem Auto in einer fremden Region unterwegs gewesen. Wie die meisten Leute heutzutage natürlich nur noch mit einem Navi, also einem Navigationsgerät. Das Navi gibt mir dabei stets eine klare Richtung vor. Es kennt mein Ziel, berechnet den kürzesten Weg, sagt mir wo ich links oder rechts abbiegen muss, um auf dem richtigen Weg zu bleiben. Doch plötzlich passe ich nicht auf, bin einen Moment unachtsam, verpasse die angesagte Abzweigung, und fahre plötzlich in die falsche Richtung. Wäre das Navi ein Mensch und würde menschlich reagieren, könnte das in etwas so klingen: Oh man Thomas, Du Hornochse. Ich hab Dir doch gesagt, Du sollst abbiegen, hätteste mal auf mich gehört. Letzte Woche hast Du auch schon einen Stuss zusammengefahren und meine Hinweise ignoriert. Ach weist Du was - sieh doch ab jetzt alleine zu, wie Du weiter kommst. Mir reichts!
Zu meinem Glück ist das Navi aber nicht menschlich. Es gerät nicht in Rage, verurteilt mich nicht. Nein! Es berechnet mir ganz ruhig eine neue Route, um wieder den richtigen Pfad zu finden, oder wenn ich mich wirklich mal in eine Sackgasse meneuveriert habe, sagt es einfach: “Bitte wenden!”. Ich finde, das ist ein schönes Bild für unser Leben mit Gott. Wenn wir auf ihn hören, zeigt er uns die richtige Richtung. Vielleicht nicht so offensichtlich wie das Navi, aber in Zeichen, die wir mit dem Herzen hören können. Manchmal machen wir im Leben aber auch Fehler, kommen vom rechten Pfad ab, das ist menschlich. Gott gibt uns aber jedes Mal eine zweite Chance, zur Not auch noch eine dritte oder vierte, damit wir unseren Weg korrigieren können.
Haben Sie bei Ihren Mitmenschen schon einmal erlebt, dass Ihnen jemand eine zweite Chance gegeben hat? Vielleicht nach einem Fehler in der Familie, im Beruf oder unter Freunden? Es gibt immer wieder Momente, in denen wir uns schuldig fühlen, in denen wir denken: „Das hab ich jetzt echt verbockt, das kann ich nicht mehr gutmachen.“ Und doch gibt es immer wieder die Erfahrung, dass jemand sagt: „Ich vergebe Dir. Lass uns neu anfangen.“ Das ist ein unglaublich befreiendes Gefühl. Nicht umsonst gibt es den Spruch: “Gib jedem eine zweite Chance, denn irgendwann brauchst Du sie selber.”
Genau darum geht es heute, sowohl in der Lesung, im Evangelium, ja - in der ganzen Fastenzeit: um Neuanfang, Umkehr und Vergebung.
„Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr!. Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ Diese Worte der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja laden uns ein, den Blick nach vorne zu richten. Gott spricht uns einen Neuanfang zu, auch wenn es oft schwer oft ist, loszulassen – sei es unsere eigene Vergangenheit oder die Fehler anderer.
Das Evangelium zeigt uns wiederum eine Szene, die uns alle berührt: Eine Frau wird des Ehebruchs beschuldigt und vor Jesus gezerrt. Die Menschen sind bereit, sie nach dem damaligen Gesetz zu verurteilen und zu steinigen. Doch Jesus reagiert anders. Er hält der wütenden Meute den Spiegel vor: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein.“ Und nach und nach lassen die Ankläger ihre Steine fallen. Schließlich bleibt nur noch Jesus mit der Frau zurück. Er verurteilt sie nicht, sondern spricht ihr Vergebung zu: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
Das ist die Botschaft Jesu: Gott ist kein Gott der Strafe, sondern ein Gott der Barmherzigkeit. Er will nicht, dass Schuld und Fehler uns gefangen halten, dass unser ganzen Sein nur noch auf unsere Fehler und Schwächen der Vergangenheit reduziert wird. Er lädt uns ein, unsere Steine fallen zu lassen – die Steine der Anklage gegen andere und genauso auch die Steine, die wir gegen uns selbst richten. Jesus zeigt uns immer wieder einen neuen Weg zu unserem Ziel: Er lädt uns ein, uns von der Barmherzigkeit Gottes berühren zu lassen und selbst barmherzig zu sein.
Ein Neuanfang ist nicht nur in unserem persönlichen Leben möglich, sondern auch in unserer Welt. Die diesjährige Fastenaktion von Misereor steht unter dem Motto „Auf die Würde. Fertig. Los!“ Sie macht uns darauf aufmerksam, dass jeder Mensch eine unverlierbare Würde hat. Doch allzu oft wird diese Würde mit Füßen getreten – durch Armut, Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Besonders in Ländern wie Sri Lanka, das im Fokus der Aktion steht, leiden Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Die Würde eines jeden Menschen ist nicht nur im Grundgesetzt als unantastbar verankert, sie ist auch von Gott geschenkt und besteht unabhängig von unseren Leistungen oder Fehlern. Die Frau im Evangelium wurde von ihren Anklägern auf ihre vermeintliche Schuld reduziert. Doch Jesus sieht sie als Menschen, sieht ihre Würde, als geliebtes Geschöpf Gottes. So sollten auch wir uns selbst und andere betrachten: Nicht mit den Augen des Urteils, sondern mit den Augen der Liebe.
Umkehr bedeutet nicht nur, unsere eigenen Fehler zu bereuen, sondern auch aktiv für eine bessere Zukunft einzutreten. Vielleicht heißt das, sich für gerechtere Verhältnisse einzusetzen, bewusster mit Ressourcen umzugehen oder Menschen in Not konkret zu helfen. Vielleicht bedeutet es auch, Frieden in unseren Familien zu stiften oder alte Verletzungen zu heilen.
Gott spricht uns Vergebung zu. Er schenkt uns einen Neuanfang. Er zeigt uns die neue Route, oder flüstert uns zu: “Bitte wenden!” Und er beruft uns, diese Vergebung weiterzugeben. Lassen wir die Steine fallen, die wir vielleicht noch in den Händen halten. Und vertrauen wir auf das, was Gott uns zusagt: „Seht her, nun mache ich etwas Neues!“
Ich lade Sie nun ein, sich selbst in Stille einigen Fragen zu stellen – nicht als Urteil, sondern als eine Möglichkeit, sich für einen Neuanfang zu öffnen. Vielleicht spricht eine dieser Fragen Sie besonders an. Lassen Sie die folgenden Fragen in Ihrem Herzen wirken:
- Wo trage ich noch einen Stein des Urteils gegen jemanden in meinem Herzen, und bin ich bereit, ihn loszulassen?
- Gibt es eine Person, der ich Vergebung schenken sollte – oder von der ich selbst Vergebung erbitten müsste?
- Wo in meinem Leben fahre ich in die falsche Richtung, und höre nicht, wenn Gott oder meine Mitmenschen “Bitte wenden” zu mir sagen?
- Wie kann ich dazu beitragen, dass die Würde anderer Menschen geachtet wird – in meiner Familie, meiner Gemeinde, der Gesellschaft?
- Gibt es Situationen, in denen ich Menschen nur nach ihren Fehlern oder Schwächen beurteile, anstatt ihre Würde zu sehen?
Amen.